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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Mit und ohne Waffen

noch gesonnen ist: Armee. Flotte und Intendantur find aus dem Derange-
ment, welches der Krieg mit Japan teils verursachte, teils aufdeckte, noch lange
nicht heraus und müssen für ihre Erholung und Gesundung noch eine ganze
Weile Frieden haben.

Wichtiger aber als dieser militärische Einwand ist der wirtschaftliche: die
Finanzpolitik Rußlands befindet sich seit den letzten drei Jahrzehnten in steter
Entwicklung und hat bisher große und schnelle Erfolge gezeitigt. Die Einführung
der Goldwährung 1897 hat den leidigen Kursstörungen, die Rußland sich bis
dahin im Welthandel gefallen lassen mußte, ein Ende bereitet. Anderseits hat
die vom früheren Finanzminister Witte inaugurierte, später fleißig fortgesetzte
internationale Verschuldung den Übergang Rußlands von der Natural- zur Geld¬
wirtschaft beschleunigt. Die Entwicklung der Industrie wurde durch Inanspruchnahme
des fremden Kapitals gefördert und damit war auch eine Steigerung der Anteilnahme
Rußlands am Welthandel ermöglicht. Die Kombination aber von Goldwährung
und internationaler Verschuldung ist es, was den Frieden von einiger Dauer
zur Voraussetzung hat. Gold ist gutes Geld und wird als solches vom Gläubiger
gekündigt, sobald dem Schuldner, sei es in Gestalt eines Krieges, sei es sonst
Gefahr droht. Den alten Papierrubel zu kündigen, gäbe es immer noch
mancherlei Bedenken, weil man in der Welt doch nichts Rechtes mit ihm an¬
fangen konnte. Gewiß kann sich ein Staat trotz aller solcher Hindernisse in
einen Krieg einlassen. Aber er begeht dabei zum mindesten einen technischen
Fehler, der nach Möglichkeit vermieden werden muß, wenn vorher der Kurs in
jeder Hinsicht geflissentlich auf Frieden eingestellt war.

Rußland ließ sich freilich seinerzeit in den Krieg mit Japan drängen, trotz
der schon damals vorhandenen finanziellen und wirtschaftlichen Gegengründe;
es hat sich aber, wie schon erwähnt, bis heute noch nicht erholen können.
Übrigens ist Rußland damals vor noch übleren Folgen des Krieges bewahrt
worden: auf die starke Sieghaftigkeit Japans war man nicht eingerichtet gewesen
und so beschlossen die Mächte unter dem Druck Nordamerikas auf der Friedens¬
konferenz zu Portsmouth, Japan seine wohlverdiente Siegesbeute zu verkürzen.
Schließlich darf nicht außeracht gelassen werden, daß die Finanz- und Wirt¬
schaftspolitik Rußlands auf den einmal eingeschlagenen Bahnen rüstig weiter
entwickelt worden ist, und daß dementsprechend das Rußland von heute viel
mehr zu verlieren hätte, als das Nußland vor dem japanischen Kriege.

Zu den speziell für Rußland bedeutungsvollen aktuellen Gründen eines
ausgesprochenen Friedensbedürfnisses kommt natürlich noch der ganz allgemein
gültige: der Menschenverlust, der allerdings wieder sür Rußland noch viel schwerer
ins Gewicht fällt, als für jeden anderen Staat, der sich anheischig macht Kultur¬
staat zu sein. Rußland hat wenig, viel zu wenig Menschen, was sich erst jetzt
recht fühlbar macht, d. h. in einer Zeit, da alles sich zu einem beschleunigten
Tempo der Kulturarbeiten anschickt. Die wichtigste aller dieser Arbeiten ist die
Füllung der sarmatischen Tiefebene mit Menschen. Und jedes Hemmnis dieses


Mit und ohne Waffen

noch gesonnen ist: Armee. Flotte und Intendantur find aus dem Derange-
ment, welches der Krieg mit Japan teils verursachte, teils aufdeckte, noch lange
nicht heraus und müssen für ihre Erholung und Gesundung noch eine ganze
Weile Frieden haben.

Wichtiger aber als dieser militärische Einwand ist der wirtschaftliche: die
Finanzpolitik Rußlands befindet sich seit den letzten drei Jahrzehnten in steter
Entwicklung und hat bisher große und schnelle Erfolge gezeitigt. Die Einführung
der Goldwährung 1897 hat den leidigen Kursstörungen, die Rußland sich bis
dahin im Welthandel gefallen lassen mußte, ein Ende bereitet. Anderseits hat
die vom früheren Finanzminister Witte inaugurierte, später fleißig fortgesetzte
internationale Verschuldung den Übergang Rußlands von der Natural- zur Geld¬
wirtschaft beschleunigt. Die Entwicklung der Industrie wurde durch Inanspruchnahme
des fremden Kapitals gefördert und damit war auch eine Steigerung der Anteilnahme
Rußlands am Welthandel ermöglicht. Die Kombination aber von Goldwährung
und internationaler Verschuldung ist es, was den Frieden von einiger Dauer
zur Voraussetzung hat. Gold ist gutes Geld und wird als solches vom Gläubiger
gekündigt, sobald dem Schuldner, sei es in Gestalt eines Krieges, sei es sonst
Gefahr droht. Den alten Papierrubel zu kündigen, gäbe es immer noch
mancherlei Bedenken, weil man in der Welt doch nichts Rechtes mit ihm an¬
fangen konnte. Gewiß kann sich ein Staat trotz aller solcher Hindernisse in
einen Krieg einlassen. Aber er begeht dabei zum mindesten einen technischen
Fehler, der nach Möglichkeit vermieden werden muß, wenn vorher der Kurs in
jeder Hinsicht geflissentlich auf Frieden eingestellt war.

Rußland ließ sich freilich seinerzeit in den Krieg mit Japan drängen, trotz
der schon damals vorhandenen finanziellen und wirtschaftlichen Gegengründe;
es hat sich aber, wie schon erwähnt, bis heute noch nicht erholen können.
Übrigens ist Rußland damals vor noch übleren Folgen des Krieges bewahrt
worden: auf die starke Sieghaftigkeit Japans war man nicht eingerichtet gewesen
und so beschlossen die Mächte unter dem Druck Nordamerikas auf der Friedens¬
konferenz zu Portsmouth, Japan seine wohlverdiente Siegesbeute zu verkürzen.
Schließlich darf nicht außeracht gelassen werden, daß die Finanz- und Wirt¬
schaftspolitik Rußlands auf den einmal eingeschlagenen Bahnen rüstig weiter
entwickelt worden ist, und daß dementsprechend das Rußland von heute viel
mehr zu verlieren hätte, als das Nußland vor dem japanischen Kriege.

Zu den speziell für Rußland bedeutungsvollen aktuellen Gründen eines
ausgesprochenen Friedensbedürfnisses kommt natürlich noch der ganz allgemein
gültige: der Menschenverlust, der allerdings wieder sür Rußland noch viel schwerer
ins Gewicht fällt, als für jeden anderen Staat, der sich anheischig macht Kultur¬
staat zu sein. Rußland hat wenig, viel zu wenig Menschen, was sich erst jetzt
recht fühlbar macht, d. h. in einer Zeit, da alles sich zu einem beschleunigten
Tempo der Kulturarbeiten anschickt. Die wichtigste aller dieser Arbeiten ist die
Füllung der sarmatischen Tiefebene mit Menschen. Und jedes Hemmnis dieses


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[0458] Mit und ohne Waffen noch gesonnen ist: Armee. Flotte und Intendantur find aus dem Derange- ment, welches der Krieg mit Japan teils verursachte, teils aufdeckte, noch lange nicht heraus und müssen für ihre Erholung und Gesundung noch eine ganze Weile Frieden haben. Wichtiger aber als dieser militärische Einwand ist der wirtschaftliche: die Finanzpolitik Rußlands befindet sich seit den letzten drei Jahrzehnten in steter Entwicklung und hat bisher große und schnelle Erfolge gezeitigt. Die Einführung der Goldwährung 1897 hat den leidigen Kursstörungen, die Rußland sich bis dahin im Welthandel gefallen lassen mußte, ein Ende bereitet. Anderseits hat die vom früheren Finanzminister Witte inaugurierte, später fleißig fortgesetzte internationale Verschuldung den Übergang Rußlands von der Natural- zur Geld¬ wirtschaft beschleunigt. Die Entwicklung der Industrie wurde durch Inanspruchnahme des fremden Kapitals gefördert und damit war auch eine Steigerung der Anteilnahme Rußlands am Welthandel ermöglicht. Die Kombination aber von Goldwährung und internationaler Verschuldung ist es, was den Frieden von einiger Dauer zur Voraussetzung hat. Gold ist gutes Geld und wird als solches vom Gläubiger gekündigt, sobald dem Schuldner, sei es in Gestalt eines Krieges, sei es sonst Gefahr droht. Den alten Papierrubel zu kündigen, gäbe es immer noch mancherlei Bedenken, weil man in der Welt doch nichts Rechtes mit ihm an¬ fangen konnte. Gewiß kann sich ein Staat trotz aller solcher Hindernisse in einen Krieg einlassen. Aber er begeht dabei zum mindesten einen technischen Fehler, der nach Möglichkeit vermieden werden muß, wenn vorher der Kurs in jeder Hinsicht geflissentlich auf Frieden eingestellt war. Rußland ließ sich freilich seinerzeit in den Krieg mit Japan drängen, trotz der schon damals vorhandenen finanziellen und wirtschaftlichen Gegengründe; es hat sich aber, wie schon erwähnt, bis heute noch nicht erholen können. Übrigens ist Rußland damals vor noch übleren Folgen des Krieges bewahrt worden: auf die starke Sieghaftigkeit Japans war man nicht eingerichtet gewesen und so beschlossen die Mächte unter dem Druck Nordamerikas auf der Friedens¬ konferenz zu Portsmouth, Japan seine wohlverdiente Siegesbeute zu verkürzen. Schließlich darf nicht außeracht gelassen werden, daß die Finanz- und Wirt¬ schaftspolitik Rußlands auf den einmal eingeschlagenen Bahnen rüstig weiter entwickelt worden ist, und daß dementsprechend das Rußland von heute viel mehr zu verlieren hätte, als das Nußland vor dem japanischen Kriege. Zu den speziell für Rußland bedeutungsvollen aktuellen Gründen eines ausgesprochenen Friedensbedürfnisses kommt natürlich noch der ganz allgemein gültige: der Menschenverlust, der allerdings wieder sür Rußland noch viel schwerer ins Gewicht fällt, als für jeden anderen Staat, der sich anheischig macht Kultur¬ staat zu sein. Rußland hat wenig, viel zu wenig Menschen, was sich erst jetzt recht fühlbar macht, d. h. in einer Zeit, da alles sich zu einem beschleunigten Tempo der Kulturarbeiten anschickt. Die wichtigste aller dieser Arbeiten ist die Füllung der sarmatischen Tiefebene mit Menschen. Und jedes Hemmnis dieses

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/458>, abgerufen am 21.10.2024.