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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Freie Advokatur und numerus clsusus

Was ist zu tun?

Wer die ganze Frage leidenschaftslos, frei von politischen Erwägungen
betrachtet, der wird ohne weiteres zu der Überzeugung kommen, daß dem Zu-
dmnge zur Anwaltschaft für die Zukunft Einhalt geboten werden muß. In
welcher Weise das geschieht, ist eine reine Zweckmäßigkeitsfrage. Notwendig,
um die bisherige Unabhängigkeit der Anwaltschaft zu erhalten, ist lediglich, daß
die Zulassung nicht in das freie Belieben irgendwelcher Instanzen gestellt wird.
Die Schlagworte "freie Advokatur" und "numeru8 clausus" haben hier un¬
endliche Verwirrung gestiftet. Die Freiheit der Zulassung wird als politische,
im wesentlichen liberale Errungenschaft -- ähnlich den Schwurgerichten -- mit
Eifer verfochten und in jedem Anhänger des numerus cIau8U8 wird ein finsterer
Reaktionär gesehen. Der historische und psychologische Ursprung solcher Auf¬
fassung liegt klar auf der Hand. Als Gegensatz zu dem frei zugelassenen, in
seiner politischen, religiösen Überzeugung unabhängigen, in seiner Geschäfts¬
führung nur den Ehrengerichten seines Standes unterworfenen Rechtsanwälte sieht
man den beamteten Advokaten der früheren Tage, dessen Zulassung schon im
freien Ermessen der Verwaltungsbehörde steht, der sich durch Wohlverhalten bei
Gericht und Regierung beliebt zu machen strebt und dessen Amtsführung einer
ständigen Kontrolle unterliegt. Und man denkt bei dem Schlagwort numeru8
LI-M8U8 an die reichsgerichlliche Rechtsanwaltschaft, wo die Zulassung vom Er¬
messen des Reichsgerichtspräsidiums abhängt und wo tatsächlich Anwälte nur
bis zu einer gewissen Höchstzahl zugelassen werden.

Und doch ist von alledem keine Rede. Kein verständiger Mensch denkt
ernstlich daran, die Anwälte zu Beamten zu machen oder sie auch nur in ihrer
Berufsausübung einer anderen Aufsicht zu unterwerfen, als bisher. Das einzige,
was verlangt wird und immer wieder verlangt werden muß. ist, daß der Zu¬
gang zur Anwaltschaft nicht mehr an jedem Orte und zu jeder Zeit jedem, der
die gesetzlichen Bedingungen erfüllt hat, offen stehen soll. Es soll einzig und
allein dafür gesorgt werden, daß über eine gewisse Zahl hinaus kein Anwalt
an einem Orte sich niederläßt. Im einzelnen gehen die Vorschläge über die
Einführung eines numeru8 c!an8U8 erheblich auseinander. Inwiefern aber in
irgendeiner Weise dadurch die Unabhängigkeit des Anwaltsstandes gefährdet
werden sollte, ist schlechterdings nicht einzusehen. Theoretisch denkbar wäre es
ja. daß zugleich mit der Einführung einer Höchstzahl die Justizverwaltung das
Recht erhielte, auch bis zur Erreichung dieser Höchstzahl die Rechtsanwalts¬
kandidaten nach Belieben zurückzuweisen. Ein derartiger Vorschlag wird aber,
soviel ich sehe, von keiner Seite gemacht.

Die Vorschläge bewegen sich vielmehr alle etwa in folgender Richtung: es
wird von der Justizverwaltung nach Einholung eines Gutachtens der Anwalts¬
kammer für den Oberlandesgerichtsbezirk eine Höchstzahl auf eine bestimmte Reihe
von Jahren festgesetzt. Wer die Befähigung zur Ausübung der Rechtsanwalt,
schaft erlangt hat, läßt sich in eine für den Oberlandesgerichtsbezirk gebildete Liste


Freie Advokatur und numerus clsusus

Was ist zu tun?

Wer die ganze Frage leidenschaftslos, frei von politischen Erwägungen
betrachtet, der wird ohne weiteres zu der Überzeugung kommen, daß dem Zu-
dmnge zur Anwaltschaft für die Zukunft Einhalt geboten werden muß. In
welcher Weise das geschieht, ist eine reine Zweckmäßigkeitsfrage. Notwendig,
um die bisherige Unabhängigkeit der Anwaltschaft zu erhalten, ist lediglich, daß
die Zulassung nicht in das freie Belieben irgendwelcher Instanzen gestellt wird.
Die Schlagworte „freie Advokatur" und „numeru8 clausus" haben hier un¬
endliche Verwirrung gestiftet. Die Freiheit der Zulassung wird als politische,
im wesentlichen liberale Errungenschaft — ähnlich den Schwurgerichten — mit
Eifer verfochten und in jedem Anhänger des numerus cIau8U8 wird ein finsterer
Reaktionär gesehen. Der historische und psychologische Ursprung solcher Auf¬
fassung liegt klar auf der Hand. Als Gegensatz zu dem frei zugelassenen, in
seiner politischen, religiösen Überzeugung unabhängigen, in seiner Geschäfts¬
führung nur den Ehrengerichten seines Standes unterworfenen Rechtsanwälte sieht
man den beamteten Advokaten der früheren Tage, dessen Zulassung schon im
freien Ermessen der Verwaltungsbehörde steht, der sich durch Wohlverhalten bei
Gericht und Regierung beliebt zu machen strebt und dessen Amtsführung einer
ständigen Kontrolle unterliegt. Und man denkt bei dem Schlagwort numeru8
LI-M8U8 an die reichsgerichlliche Rechtsanwaltschaft, wo die Zulassung vom Er¬
messen des Reichsgerichtspräsidiums abhängt und wo tatsächlich Anwälte nur
bis zu einer gewissen Höchstzahl zugelassen werden.

Und doch ist von alledem keine Rede. Kein verständiger Mensch denkt
ernstlich daran, die Anwälte zu Beamten zu machen oder sie auch nur in ihrer
Berufsausübung einer anderen Aufsicht zu unterwerfen, als bisher. Das einzige,
was verlangt wird und immer wieder verlangt werden muß. ist, daß der Zu¬
gang zur Anwaltschaft nicht mehr an jedem Orte und zu jeder Zeit jedem, der
die gesetzlichen Bedingungen erfüllt hat, offen stehen soll. Es soll einzig und
allein dafür gesorgt werden, daß über eine gewisse Zahl hinaus kein Anwalt
an einem Orte sich niederläßt. Im einzelnen gehen die Vorschläge über die
Einführung eines numeru8 c!an8U8 erheblich auseinander. Inwiefern aber in
irgendeiner Weise dadurch die Unabhängigkeit des Anwaltsstandes gefährdet
werden sollte, ist schlechterdings nicht einzusehen. Theoretisch denkbar wäre es
ja. daß zugleich mit der Einführung einer Höchstzahl die Justizverwaltung das
Recht erhielte, auch bis zur Erreichung dieser Höchstzahl die Rechtsanwalts¬
kandidaten nach Belieben zurückzuweisen. Ein derartiger Vorschlag wird aber,
soviel ich sehe, von keiner Seite gemacht.

Die Vorschläge bewegen sich vielmehr alle etwa in folgender Richtung: es
wird von der Justizverwaltung nach Einholung eines Gutachtens der Anwalts¬
kammer für den Oberlandesgerichtsbezirk eine Höchstzahl auf eine bestimmte Reihe
von Jahren festgesetzt. Wer die Befähigung zur Ausübung der Rechtsanwalt,
schaft erlangt hat, läßt sich in eine für den Oberlandesgerichtsbezirk gebildete Liste


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[0453] Freie Advokatur und numerus clsusus Was ist zu tun? Wer die ganze Frage leidenschaftslos, frei von politischen Erwägungen betrachtet, der wird ohne weiteres zu der Überzeugung kommen, daß dem Zu- dmnge zur Anwaltschaft für die Zukunft Einhalt geboten werden muß. In welcher Weise das geschieht, ist eine reine Zweckmäßigkeitsfrage. Notwendig, um die bisherige Unabhängigkeit der Anwaltschaft zu erhalten, ist lediglich, daß die Zulassung nicht in das freie Belieben irgendwelcher Instanzen gestellt wird. Die Schlagworte „freie Advokatur" und „numeru8 clausus" haben hier un¬ endliche Verwirrung gestiftet. Die Freiheit der Zulassung wird als politische, im wesentlichen liberale Errungenschaft — ähnlich den Schwurgerichten — mit Eifer verfochten und in jedem Anhänger des numerus cIau8U8 wird ein finsterer Reaktionär gesehen. Der historische und psychologische Ursprung solcher Auf¬ fassung liegt klar auf der Hand. Als Gegensatz zu dem frei zugelassenen, in seiner politischen, religiösen Überzeugung unabhängigen, in seiner Geschäfts¬ führung nur den Ehrengerichten seines Standes unterworfenen Rechtsanwälte sieht man den beamteten Advokaten der früheren Tage, dessen Zulassung schon im freien Ermessen der Verwaltungsbehörde steht, der sich durch Wohlverhalten bei Gericht und Regierung beliebt zu machen strebt und dessen Amtsführung einer ständigen Kontrolle unterliegt. Und man denkt bei dem Schlagwort numeru8 LI-M8U8 an die reichsgerichlliche Rechtsanwaltschaft, wo die Zulassung vom Er¬ messen des Reichsgerichtspräsidiums abhängt und wo tatsächlich Anwälte nur bis zu einer gewissen Höchstzahl zugelassen werden. Und doch ist von alledem keine Rede. Kein verständiger Mensch denkt ernstlich daran, die Anwälte zu Beamten zu machen oder sie auch nur in ihrer Berufsausübung einer anderen Aufsicht zu unterwerfen, als bisher. Das einzige, was verlangt wird und immer wieder verlangt werden muß. ist, daß der Zu¬ gang zur Anwaltschaft nicht mehr an jedem Orte und zu jeder Zeit jedem, der die gesetzlichen Bedingungen erfüllt hat, offen stehen soll. Es soll einzig und allein dafür gesorgt werden, daß über eine gewisse Zahl hinaus kein Anwalt an einem Orte sich niederläßt. Im einzelnen gehen die Vorschläge über die Einführung eines numeru8 c!an8U8 erheblich auseinander. Inwiefern aber in irgendeiner Weise dadurch die Unabhängigkeit des Anwaltsstandes gefährdet werden sollte, ist schlechterdings nicht einzusehen. Theoretisch denkbar wäre es ja. daß zugleich mit der Einführung einer Höchstzahl die Justizverwaltung das Recht erhielte, auch bis zur Erreichung dieser Höchstzahl die Rechtsanwalts¬ kandidaten nach Belieben zurückzuweisen. Ein derartiger Vorschlag wird aber, soviel ich sehe, von keiner Seite gemacht. Die Vorschläge bewegen sich vielmehr alle etwa in folgender Richtung: es wird von der Justizverwaltung nach Einholung eines Gutachtens der Anwalts¬ kammer für den Oberlandesgerichtsbezirk eine Höchstzahl auf eine bestimmte Reihe von Jahren festgesetzt. Wer die Befähigung zur Ausübung der Rechtsanwalt, schaft erlangt hat, läßt sich in eine für den Oberlandesgerichtsbezirk gebildete Liste

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/453>, abgerufen am 29.12.2024.