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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Freie Advokatur und numerus clsusus

im Konkurrenzkampfe in die Höhe kommt, also, wie wir gesehen haben, der
beste Diener seiner Partei ist, wird dieses Vertrauen leicht einbüßen, und zwar
auch bei dieser Partei selbst. Es sind Erscheinungen, die in großen Städten
alle Tage beobachtet werden können, daß der Mandant vor dem Rechtsanwalt,
der ihm durch allerhand Kniffe und Pfiffe zum Siege verholfen hat, nicht mehr
die nötige Achtung besitzt. Er glaubt, ihm mit vertraulichem Lächeln mitunter
Sachen zumuten zu dürfen, die der Anwalt, der es mit seinem Berufe ehrlich
und ernst nimmt, zurückweisen müßte, seien es nun faule Prozesse oder Ver¬
schleppungen oder die Aufstellung gewagter Behauptungen. Nicht darauf kommt
es an, daß die anständigen Anwälte, also die übergroße Mehrheit der deutschen
Rechtsanwälte, derartige Ansinnen zurückweisen werden. Es ist vielmehr schon
bezeichnend, daß eine Partei es wagt, derartiges von ihrem Anwalt zu, ver¬
langen. Auch das ist ein Ergebnis des freien Spiels der Kräfte. Noch viel
größer aber ist die Gefahr, daß der wirtschaftlich schwache und darum unfreie
Anwalt in seinen Anschauungen über die Ehre seines Berufes irre wird, daß
er die nötige Unabhängigkeit seines Auftraggebers verliert und -- anfangs
zögernd und fast unbewußt -- Prozesse übernimmt, Behauptungen aufstellt,
Vertagungen herbeiführt, ohne jedesmal dessen eingedenk zu sein, was die Pflicht
des Standes von ihm fordert. Eine weitere Folge derartiger Berufsausübung
ist wieder das Mißtrauen, mit dem einem solchen Anwalt von feiten des Richters
begegnet wird. Es ist ohnehin eine bekannte Tatsache, daß Richter, die nicht
selbst Anwälte waren oder häufiger Anwälte vertreten haben, diesem Berufe
oft nicht das richtige Verständnis entgegenbringen. Es ist für den Richter oft
leichter, sich in die Seele der rechtssuchenden Partei zu versetzen, als in die ihres
Urwalds. Gerade für das innere Verhältnis zwischen dem Anwalt und seinem
Mandanten, für die Schwierigkeit, mit der ein gewissenhafter Anwalt zwischen
seinen öffentlichen Berufspflichten und den Wünschen seiner Partei das rechte
Gleichmaß herzustellen sucht, fehlt naturgemäß dem Richter häufig der tiefere
Einblick. Um so leichter wird er den Rechtsanwalt verdammen, dessen Auf¬
treten vor Gericht ihm allzusehr nur den Interessen des Auftraggebers zu ent¬
sprechen scheint, oder der allzuscharf die Kampfstellung dem Gegner gegenüber
hervorkehrt. Eine Verschlechterung der Beziehungen von Richter und Anwalt
aber bringt eine ganze Reihe von schweren Nachteilen auch für die Rechtspflege
mit sich. Es läßt sich zusammenfassend sagen, daß der große Andrang der
Rechtsanwälte, besonders in den Großstädten, schon jetzt Erscheinungen gezeitigt
hat. die auf eine partielle Überzahl zurückzuführen und geeignet sind, das An¬
sehen, die wirtschaftliche Freiheit und Unabhängigkeit des Standes, das Ver¬
trauensverhältnis zwischen Richter und Anwalt zu mindern. Es läßt sich
weiterhin sagen, daß die Ursachen dieser Erscheinungen ständig im Wachsen
begriffen sind und daß deshalb für eine nicht zu ferne Zukunft eine allgemeine
Überfüllung des Berufes und eine Zunahme der damit zusammenhängenden
Übelstände mit Sicherheit zu erwarten ist.


Freie Advokatur und numerus clsusus

im Konkurrenzkampfe in die Höhe kommt, also, wie wir gesehen haben, der
beste Diener seiner Partei ist, wird dieses Vertrauen leicht einbüßen, und zwar
auch bei dieser Partei selbst. Es sind Erscheinungen, die in großen Städten
alle Tage beobachtet werden können, daß der Mandant vor dem Rechtsanwalt,
der ihm durch allerhand Kniffe und Pfiffe zum Siege verholfen hat, nicht mehr
die nötige Achtung besitzt. Er glaubt, ihm mit vertraulichem Lächeln mitunter
Sachen zumuten zu dürfen, die der Anwalt, der es mit seinem Berufe ehrlich
und ernst nimmt, zurückweisen müßte, seien es nun faule Prozesse oder Ver¬
schleppungen oder die Aufstellung gewagter Behauptungen. Nicht darauf kommt
es an, daß die anständigen Anwälte, also die übergroße Mehrheit der deutschen
Rechtsanwälte, derartige Ansinnen zurückweisen werden. Es ist vielmehr schon
bezeichnend, daß eine Partei es wagt, derartiges von ihrem Anwalt zu, ver¬
langen. Auch das ist ein Ergebnis des freien Spiels der Kräfte. Noch viel
größer aber ist die Gefahr, daß der wirtschaftlich schwache und darum unfreie
Anwalt in seinen Anschauungen über die Ehre seines Berufes irre wird, daß
er die nötige Unabhängigkeit seines Auftraggebers verliert und — anfangs
zögernd und fast unbewußt — Prozesse übernimmt, Behauptungen aufstellt,
Vertagungen herbeiführt, ohne jedesmal dessen eingedenk zu sein, was die Pflicht
des Standes von ihm fordert. Eine weitere Folge derartiger Berufsausübung
ist wieder das Mißtrauen, mit dem einem solchen Anwalt von feiten des Richters
begegnet wird. Es ist ohnehin eine bekannte Tatsache, daß Richter, die nicht
selbst Anwälte waren oder häufiger Anwälte vertreten haben, diesem Berufe
oft nicht das richtige Verständnis entgegenbringen. Es ist für den Richter oft
leichter, sich in die Seele der rechtssuchenden Partei zu versetzen, als in die ihres
Urwalds. Gerade für das innere Verhältnis zwischen dem Anwalt und seinem
Mandanten, für die Schwierigkeit, mit der ein gewissenhafter Anwalt zwischen
seinen öffentlichen Berufspflichten und den Wünschen seiner Partei das rechte
Gleichmaß herzustellen sucht, fehlt naturgemäß dem Richter häufig der tiefere
Einblick. Um so leichter wird er den Rechtsanwalt verdammen, dessen Auf¬
treten vor Gericht ihm allzusehr nur den Interessen des Auftraggebers zu ent¬
sprechen scheint, oder der allzuscharf die Kampfstellung dem Gegner gegenüber
hervorkehrt. Eine Verschlechterung der Beziehungen von Richter und Anwalt
aber bringt eine ganze Reihe von schweren Nachteilen auch für die Rechtspflege
mit sich. Es läßt sich zusammenfassend sagen, daß der große Andrang der
Rechtsanwälte, besonders in den Großstädten, schon jetzt Erscheinungen gezeitigt
hat. die auf eine partielle Überzahl zurückzuführen und geeignet sind, das An¬
sehen, die wirtschaftliche Freiheit und Unabhängigkeit des Standes, das Ver¬
trauensverhältnis zwischen Richter und Anwalt zu mindern. Es läßt sich
weiterhin sagen, daß die Ursachen dieser Erscheinungen ständig im Wachsen
begriffen sind und daß deshalb für eine nicht zu ferne Zukunft eine allgemeine
Überfüllung des Berufes und eine Zunahme der damit zusammenhängenden
Übelstände mit Sicherheit zu erwarten ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/452>, abgerufen am 20.10.2024.