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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Freie Advokatur und numerus clsusus

Berücksichtigt man alles dies, so wird man bei aller Vorsicht nur folgendes
feststellen können:

1. der Zudrang zur Anwaltschaft ist in fortwährendem Wachsen begriffen;
2. in gewissen Gegenden, in manchen Städten, besonders in den größten
und großen Städten lassen sich mehr Rechtsanwälte nieder, als zur
Befriedigung der zurzeit vorhandenen Rechtsbedürfnisse der Bevölkerung
erforderlich sind;
3. in diesen lokal begrenzten Gebieten findet eine Anzahl jüngerer Anwälte
nicht mehr eine Praxis, die ihnen einen standesgemäßen Lebensunterhalt
gewährleistet.

Diese Tatsachen scheinen festzustehen. Man mag nun darauf hinweisen,
daß eine bessere Verteilung der Anwälte besonders in die kleinen und kleinsten
Städte hier Wandel schaffen wird. Das ist zunächst nur in beschränktem Um¬
fange richtig, insofern, als in kleinen Orten die Voraussetzung für ein standes¬
gemäßes Einkommen häufig die Verleihung des Notariates bildet, für die Notars¬
stellen aber schon ein numerus clausus besteht. Vor allem aber geht der junge
Anwalt, solange ihm die Wahl des Niederlassungsortes völlig freisteht, oft nicht
gerne in die kleinen Städte, weil ihm die geistigen und gesellschaftlichen An¬
regungen der Großstädte zum Bedürfnisse geworden sind.

Nimmt man aber die soeben festgestellten Tatsachen als richtig hin, so wird
man weiter sagen müssen, daß bei der andauernden Zunahme der Anwälte eine
Überfüllung des Standes und zwar eine allgemeine Überfüllung zum mindesten
in sicherer Aussicht steht. Selbst wenn sich durch Angebot oder Nachfrage auch
bei der Verteilung der Anwälte in die großen und kleinen Städte eine Art
Selbstregulierung einstellt, so wird und muß doch der Zeitpunkt kommen, da
auch die kleineren Städte mehr Anwälte haben, als sie ernähren können. Es
würde kein durchschlagendes Argument hiergegen sein, wollte man immer noch
an,f Orte hinweisen, in denen ein Anwaltsmangel besteht. Solche Orte wird es
immer geben. Und ebenso wird es immer Orte geben, in denen nicht einmal
ein einziger Anwalt, selbst mit Notariat, sein Auskommen findet.

Handelte es sich bei der ganzen Frage nur um materielle Dinge, so
brauchte man nicht allzuviel Aufhebens davon zu machen. Der Staat kann
sich selbstverständlich nicht darum kümmern, daß jeder in einem freien Berufe
Tätige hinreichend beschäftigt ist und seinen Lebensunterhalt findet. Mit Recht
wird darauf hingewiesen, daß die Ärztenot vielleicht mindestens so groß sei wie
die Anwaltsnot und daß doch niemand ernstlich an die Beschränkung der Ärzte¬
zahl denke. Bei den Anwälten liegt in materieller Hinsicht die Sache noch viel
günstiger als bei den Angehörigen anderer freier Berufe. Ein tüchtiger, arbeits¬
freudiger Rechtsanwalt, der aus irgendwelchen Gründen eine eigene auskömm¬
liche Anwaltspraxis nicht findet, kann sich mit einem beschäftigten älteren Kol¬
legen zur gemeinschaftlichen Berufstätigkeit gegen festes Gehalt oder Gewinn¬
beteiligung verbinden. Er kann sich schriftstellerisch oder durch wissenschaftliche


Freie Advokatur und numerus clsusus

Berücksichtigt man alles dies, so wird man bei aller Vorsicht nur folgendes
feststellen können:

1. der Zudrang zur Anwaltschaft ist in fortwährendem Wachsen begriffen;
2. in gewissen Gegenden, in manchen Städten, besonders in den größten
und großen Städten lassen sich mehr Rechtsanwälte nieder, als zur
Befriedigung der zurzeit vorhandenen Rechtsbedürfnisse der Bevölkerung
erforderlich sind;
3. in diesen lokal begrenzten Gebieten findet eine Anzahl jüngerer Anwälte
nicht mehr eine Praxis, die ihnen einen standesgemäßen Lebensunterhalt
gewährleistet.

Diese Tatsachen scheinen festzustehen. Man mag nun darauf hinweisen,
daß eine bessere Verteilung der Anwälte besonders in die kleinen und kleinsten
Städte hier Wandel schaffen wird. Das ist zunächst nur in beschränktem Um¬
fange richtig, insofern, als in kleinen Orten die Voraussetzung für ein standes¬
gemäßes Einkommen häufig die Verleihung des Notariates bildet, für die Notars¬
stellen aber schon ein numerus clausus besteht. Vor allem aber geht der junge
Anwalt, solange ihm die Wahl des Niederlassungsortes völlig freisteht, oft nicht
gerne in die kleinen Städte, weil ihm die geistigen und gesellschaftlichen An¬
regungen der Großstädte zum Bedürfnisse geworden sind.

Nimmt man aber die soeben festgestellten Tatsachen als richtig hin, so wird
man weiter sagen müssen, daß bei der andauernden Zunahme der Anwälte eine
Überfüllung des Standes und zwar eine allgemeine Überfüllung zum mindesten
in sicherer Aussicht steht. Selbst wenn sich durch Angebot oder Nachfrage auch
bei der Verteilung der Anwälte in die großen und kleinen Städte eine Art
Selbstregulierung einstellt, so wird und muß doch der Zeitpunkt kommen, da
auch die kleineren Städte mehr Anwälte haben, als sie ernähren können. Es
würde kein durchschlagendes Argument hiergegen sein, wollte man immer noch
an,f Orte hinweisen, in denen ein Anwaltsmangel besteht. Solche Orte wird es
immer geben. Und ebenso wird es immer Orte geben, in denen nicht einmal
ein einziger Anwalt, selbst mit Notariat, sein Auskommen findet.

Handelte es sich bei der ganzen Frage nur um materielle Dinge, so
brauchte man nicht allzuviel Aufhebens davon zu machen. Der Staat kann
sich selbstverständlich nicht darum kümmern, daß jeder in einem freien Berufe
Tätige hinreichend beschäftigt ist und seinen Lebensunterhalt findet. Mit Recht
wird darauf hingewiesen, daß die Ärztenot vielleicht mindestens so groß sei wie
die Anwaltsnot und daß doch niemand ernstlich an die Beschränkung der Ärzte¬
zahl denke. Bei den Anwälten liegt in materieller Hinsicht die Sache noch viel
günstiger als bei den Angehörigen anderer freier Berufe. Ein tüchtiger, arbeits¬
freudiger Rechtsanwalt, der aus irgendwelchen Gründen eine eigene auskömm¬
liche Anwaltspraxis nicht findet, kann sich mit einem beschäftigten älteren Kol¬
legen zur gemeinschaftlichen Berufstätigkeit gegen festes Gehalt oder Gewinn¬
beteiligung verbinden. Er kann sich schriftstellerisch oder durch wissenschaftliche


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[0450] Freie Advokatur und numerus clsusus Berücksichtigt man alles dies, so wird man bei aller Vorsicht nur folgendes feststellen können: 1. der Zudrang zur Anwaltschaft ist in fortwährendem Wachsen begriffen; 2. in gewissen Gegenden, in manchen Städten, besonders in den größten und großen Städten lassen sich mehr Rechtsanwälte nieder, als zur Befriedigung der zurzeit vorhandenen Rechtsbedürfnisse der Bevölkerung erforderlich sind; 3. in diesen lokal begrenzten Gebieten findet eine Anzahl jüngerer Anwälte nicht mehr eine Praxis, die ihnen einen standesgemäßen Lebensunterhalt gewährleistet. Diese Tatsachen scheinen festzustehen. Man mag nun darauf hinweisen, daß eine bessere Verteilung der Anwälte besonders in die kleinen und kleinsten Städte hier Wandel schaffen wird. Das ist zunächst nur in beschränktem Um¬ fange richtig, insofern, als in kleinen Orten die Voraussetzung für ein standes¬ gemäßes Einkommen häufig die Verleihung des Notariates bildet, für die Notars¬ stellen aber schon ein numerus clausus besteht. Vor allem aber geht der junge Anwalt, solange ihm die Wahl des Niederlassungsortes völlig freisteht, oft nicht gerne in die kleinen Städte, weil ihm die geistigen und gesellschaftlichen An¬ regungen der Großstädte zum Bedürfnisse geworden sind. Nimmt man aber die soeben festgestellten Tatsachen als richtig hin, so wird man weiter sagen müssen, daß bei der andauernden Zunahme der Anwälte eine Überfüllung des Standes und zwar eine allgemeine Überfüllung zum mindesten in sicherer Aussicht steht. Selbst wenn sich durch Angebot oder Nachfrage auch bei der Verteilung der Anwälte in die großen und kleinen Städte eine Art Selbstregulierung einstellt, so wird und muß doch der Zeitpunkt kommen, da auch die kleineren Städte mehr Anwälte haben, als sie ernähren können. Es würde kein durchschlagendes Argument hiergegen sein, wollte man immer noch an,f Orte hinweisen, in denen ein Anwaltsmangel besteht. Solche Orte wird es immer geben. Und ebenso wird es immer Orte geben, in denen nicht einmal ein einziger Anwalt, selbst mit Notariat, sein Auskommen findet. Handelte es sich bei der ganzen Frage nur um materielle Dinge, so brauchte man nicht allzuviel Aufhebens davon zu machen. Der Staat kann sich selbstverständlich nicht darum kümmern, daß jeder in einem freien Berufe Tätige hinreichend beschäftigt ist und seinen Lebensunterhalt findet. Mit Recht wird darauf hingewiesen, daß die Ärztenot vielleicht mindestens so groß sei wie die Anwaltsnot und daß doch niemand ernstlich an die Beschränkung der Ärzte¬ zahl denke. Bei den Anwälten liegt in materieller Hinsicht die Sache noch viel günstiger als bei den Angehörigen anderer freier Berufe. Ein tüchtiger, arbeits¬ freudiger Rechtsanwalt, der aus irgendwelchen Gründen eine eigene auskömm¬ liche Anwaltspraxis nicht findet, kann sich mit einem beschäftigten älteren Kol¬ legen zur gemeinschaftlichen Berufstätigkeit gegen festes Gehalt oder Gewinn¬ beteiligung verbinden. Er kann sich schriftstellerisch oder durch wissenschaftliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/450>, abgerufen am 29.12.2024.