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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Freie Advokatur und numerus elsusus

wendet hat, um ein gemeinsames Vorgehen im Sinne einer Beschränkung der
freien Zulassung herbeizuführen.

Das ist der heutige Stand der Frage. Es ist unendlich viel darüber
gesprochen und geschrieben worden und unübersehbar ist das in Fachzeitschriften
und in der Tagespresse niedergelegte Material. Viel Neues läßt sich für und
wider nicht sagen. Alles ist unzählige Male erörtert worden. Wesentlicher,
als das alles noch einmal zu wiederholen, erscheint es, die Frage nackt und
klar ins Auge zu fassen, worum es sich im Grunde handelt, sie von der Um¬
klammerung durch zugkräftige Schlagworte zu befreien und von der politischen
Beimischung zu reinigen. Ist dies einmal geschehen, so kommt es mehr darauf
an, daß überhaupt etwas geschieht, als was geschieht.

Daß eine Überfüllung in der Rechtsanwaltschaft vorhanden ist, wird sich
allgemein schwer mit Sicherheit feststellen lassen, wenigstens nicht zahlenmäßig.
Die Bevölkerungsziffer allein ist ebensowenig maßgebend für das Bedürfnis
nach Rechtsanwälten, als die Zahl der Richter oder der Rechtsstreitigkeiten
einen zuverlässigen Maßstab gestattet. Es kommt schon immer mehr oder
weniger auf die innere Struktur der Bevölkerung an, auf das Überwiegen von
Handel, Industrie, Landwirtschaft, auf den Charakter des Volksstammes, aus
die Gewohnheit, die Rechtsangelegenheiten Anwälten anzuvertrauen. Was aber
die Zahl der Prozesse betrifft, so wird von den Gegnern der Anwälte häufig
geradezu behauptet, daß je mehr Anwälte es gebe, um so stärker die Prozesse
zunahmen, so daß eine Verminderung der Zahl der Anwälte eine Abnahme
der Rechtsstreitigkeiten zur Folge haben würde.

Auch daß infolge übergroßen Andranges zur Rechtsanwaltschaft eine große
Anzahl von Anwälten nicht mehr die zum standesgemäßen Lebensunterhalt für
sich und ihre Familie erforderliche Einnahme aus der Praxis erzielen kann,
dürfte nur mit größter Vorsicht zu behaupten sein. Hier ist sozusagen alles
schwankender Boden. Wer will dafür einstehen, daß dieser oder jener Anwalt
nicht infolge von Untüchtigkeit oder anderer persönlicher Eigenschaften keine
Praxis findet, sondern infolge von Überfüllung? Wie oft kommt es vor, daß
wohlhabende Anwälte ihre Praxis selbst innerhalb einer gewissen Grenze zu
halten wünschen, um genügend Zeit für die Befriedigung ihrer wissenschaftlichen,
künstlerischen, sportlichen Neigungen zu behalten? Was ist in jedem Falle ein
ausreichendes Einkommen, wenn man die Verschiedenheiten von Stadt und
Land, Großstadt und Kleinstadt, Osten und Westen, die Verschiedenheiten in
den Lebensansprüchen in Betracht zieht, für einen Junggesellen, einen ver¬
heirateten Mann mit Kindern oder ohne solche?

Endlich: kann man noch von einer durch Überfüllung verschuldeten mate¬
riellen Notlage der Anwälte sprechen angesichts der Tatsache, daß die Gebühren
seit nahezu vierzig Jahren die gleichen geblieben sind, trotz der Verteuerung
aller für die Lebenshaltung erforderlichen Dinge und trotz des seit jener Zeit
erheblich gesunkenen Geldwertes?


Freie Advokatur und numerus elsusus

wendet hat, um ein gemeinsames Vorgehen im Sinne einer Beschränkung der
freien Zulassung herbeizuführen.

Das ist der heutige Stand der Frage. Es ist unendlich viel darüber
gesprochen und geschrieben worden und unübersehbar ist das in Fachzeitschriften
und in der Tagespresse niedergelegte Material. Viel Neues läßt sich für und
wider nicht sagen. Alles ist unzählige Male erörtert worden. Wesentlicher,
als das alles noch einmal zu wiederholen, erscheint es, die Frage nackt und
klar ins Auge zu fassen, worum es sich im Grunde handelt, sie von der Um¬
klammerung durch zugkräftige Schlagworte zu befreien und von der politischen
Beimischung zu reinigen. Ist dies einmal geschehen, so kommt es mehr darauf
an, daß überhaupt etwas geschieht, als was geschieht.

Daß eine Überfüllung in der Rechtsanwaltschaft vorhanden ist, wird sich
allgemein schwer mit Sicherheit feststellen lassen, wenigstens nicht zahlenmäßig.
Die Bevölkerungsziffer allein ist ebensowenig maßgebend für das Bedürfnis
nach Rechtsanwälten, als die Zahl der Richter oder der Rechtsstreitigkeiten
einen zuverlässigen Maßstab gestattet. Es kommt schon immer mehr oder
weniger auf die innere Struktur der Bevölkerung an, auf das Überwiegen von
Handel, Industrie, Landwirtschaft, auf den Charakter des Volksstammes, aus
die Gewohnheit, die Rechtsangelegenheiten Anwälten anzuvertrauen. Was aber
die Zahl der Prozesse betrifft, so wird von den Gegnern der Anwälte häufig
geradezu behauptet, daß je mehr Anwälte es gebe, um so stärker die Prozesse
zunahmen, so daß eine Verminderung der Zahl der Anwälte eine Abnahme
der Rechtsstreitigkeiten zur Folge haben würde.

Auch daß infolge übergroßen Andranges zur Rechtsanwaltschaft eine große
Anzahl von Anwälten nicht mehr die zum standesgemäßen Lebensunterhalt für
sich und ihre Familie erforderliche Einnahme aus der Praxis erzielen kann,
dürfte nur mit größter Vorsicht zu behaupten sein. Hier ist sozusagen alles
schwankender Boden. Wer will dafür einstehen, daß dieser oder jener Anwalt
nicht infolge von Untüchtigkeit oder anderer persönlicher Eigenschaften keine
Praxis findet, sondern infolge von Überfüllung? Wie oft kommt es vor, daß
wohlhabende Anwälte ihre Praxis selbst innerhalb einer gewissen Grenze zu
halten wünschen, um genügend Zeit für die Befriedigung ihrer wissenschaftlichen,
künstlerischen, sportlichen Neigungen zu behalten? Was ist in jedem Falle ein
ausreichendes Einkommen, wenn man die Verschiedenheiten von Stadt und
Land, Großstadt und Kleinstadt, Osten und Westen, die Verschiedenheiten in
den Lebensansprüchen in Betracht zieht, für einen Junggesellen, einen ver¬
heirateten Mann mit Kindern oder ohne solche?

Endlich: kann man noch von einer durch Überfüllung verschuldeten mate¬
riellen Notlage der Anwälte sprechen angesichts der Tatsache, daß die Gebühren
seit nahezu vierzig Jahren die gleichen geblieben sind, trotz der Verteuerung
aller für die Lebenshaltung erforderlichen Dinge und trotz des seit jener Zeit
erheblich gesunkenen Geldwertes?


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[0449] Freie Advokatur und numerus elsusus wendet hat, um ein gemeinsames Vorgehen im Sinne einer Beschränkung der freien Zulassung herbeizuführen. Das ist der heutige Stand der Frage. Es ist unendlich viel darüber gesprochen und geschrieben worden und unübersehbar ist das in Fachzeitschriften und in der Tagespresse niedergelegte Material. Viel Neues läßt sich für und wider nicht sagen. Alles ist unzählige Male erörtert worden. Wesentlicher, als das alles noch einmal zu wiederholen, erscheint es, die Frage nackt und klar ins Auge zu fassen, worum es sich im Grunde handelt, sie von der Um¬ klammerung durch zugkräftige Schlagworte zu befreien und von der politischen Beimischung zu reinigen. Ist dies einmal geschehen, so kommt es mehr darauf an, daß überhaupt etwas geschieht, als was geschieht. Daß eine Überfüllung in der Rechtsanwaltschaft vorhanden ist, wird sich allgemein schwer mit Sicherheit feststellen lassen, wenigstens nicht zahlenmäßig. Die Bevölkerungsziffer allein ist ebensowenig maßgebend für das Bedürfnis nach Rechtsanwälten, als die Zahl der Richter oder der Rechtsstreitigkeiten einen zuverlässigen Maßstab gestattet. Es kommt schon immer mehr oder weniger auf die innere Struktur der Bevölkerung an, auf das Überwiegen von Handel, Industrie, Landwirtschaft, auf den Charakter des Volksstammes, aus die Gewohnheit, die Rechtsangelegenheiten Anwälten anzuvertrauen. Was aber die Zahl der Prozesse betrifft, so wird von den Gegnern der Anwälte häufig geradezu behauptet, daß je mehr Anwälte es gebe, um so stärker die Prozesse zunahmen, so daß eine Verminderung der Zahl der Anwälte eine Abnahme der Rechtsstreitigkeiten zur Folge haben würde. Auch daß infolge übergroßen Andranges zur Rechtsanwaltschaft eine große Anzahl von Anwälten nicht mehr die zum standesgemäßen Lebensunterhalt für sich und ihre Familie erforderliche Einnahme aus der Praxis erzielen kann, dürfte nur mit größter Vorsicht zu behaupten sein. Hier ist sozusagen alles schwankender Boden. Wer will dafür einstehen, daß dieser oder jener Anwalt nicht infolge von Untüchtigkeit oder anderer persönlicher Eigenschaften keine Praxis findet, sondern infolge von Überfüllung? Wie oft kommt es vor, daß wohlhabende Anwälte ihre Praxis selbst innerhalb einer gewissen Grenze zu halten wünschen, um genügend Zeit für die Befriedigung ihrer wissenschaftlichen, künstlerischen, sportlichen Neigungen zu behalten? Was ist in jedem Falle ein ausreichendes Einkommen, wenn man die Verschiedenheiten von Stadt und Land, Großstadt und Kleinstadt, Osten und Westen, die Verschiedenheiten in den Lebensansprüchen in Betracht zieht, für einen Junggesellen, einen ver¬ heirateten Mann mit Kindern oder ohne solche? Endlich: kann man noch von einer durch Überfüllung verschuldeten mate¬ riellen Notlage der Anwälte sprechen angesichts der Tatsache, daß die Gebühren seit nahezu vierzig Jahren die gleichen geblieben sind, trotz der Verteuerung aller für die Lebenshaltung erforderlichen Dinge und trotz des seit jener Zeit erheblich gesunkenen Geldwertes?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/449>, abgerufen am 29.12.2024.