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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Die Festspiele des deutschen Schillerbundes in Zveimar

Schnurren erzählte, fühlte man sich durch diese sichere Überlieferung eng ver¬
bunden mit der heimlichen Welt, die in den alten Räumen waltet. Der Geist
der heiteren Lebensfreude hat sich in Weimar festgesetzt; da war kein Führer,
der nicht irgendeine Anekdote wußte, die die ganze sonnige Lebenslust des
klassischen Weimar widerspiegelte. Man ist vernünftig genug nicht vom Herrn
Geheimrat zu sprechen, es ist "der Goethe", und sein Herzog ist "der
Gallauguscht", nur im Schillerhaus scheint Lotte "die Frau Hofrätin" zu
heißen.

Fast alle diese Besichtigungen sind für die Mitglieder des Schillerbundes
umsonst. Selbst der Zutritt zur Wartburg ist frei; denn an dem spielfreien
Wochentage, dem Freitag, werden größere Ausflüge in den Thüringerwald,
nach Naumburg, Kösen-Rudelsburg, Jena und mit besonderer Vorliebe zur Wart¬
burg unternommen. Kommt man dann abends nach Weimar zurück, so tun
sich wieder die Räume der Stahlarmbrust-Schützengesellschaft auf; in den: Mittel¬
punkt des Abends steht die Vaterlandsrede, ein Tanz im Freien schließt schon
um 11 Uhr den "Geselligen Abend" ab: der Speisezettel ist noch nicht erledigt;
am nächsten Morgen geht es früh heraus, die Gelegenheit ist zu günstig, das
Ausgrabungsfeld in Ehringsdorf auf dem Wege nach Belvedere mitzunehmen,
eine der ältesten menschlichen Wohnstätten Deutschlands aus der letzten Zwischen¬
eiszeit. In Weimar gibt es eben alles.

Die Stücke, die diesmal gegeben wurden, waren alle so gewählt, daß sie
in äußerer oder innerer Beziehung zu der Jahrhundertfeier stehen sollten. Eine
sehr schwierige Aufgabe! Wenn man einmal versucht, vier Stücke der Art zu¬
sammenzustellen, wird man sagen müssen, daß der Schillerbund mit seiner Aus¬
wahl das Richtige getroffen hat: "Götz", Kleists "Hermannsschlacht", Wilden¬
bruchs "Väter und Söhne", "Tell". Sicher sind die meisten Knaben und
Mädchen für Kleistsche Kunst noch nicht reif, ebensowenig wie für den
"Othello" im vorigen Jahr; aber wenn auch nur von ferne geahnt wird,
daß hier noch anderes verborgen liegt, als fürs erste herausspringt, fo ist gerade
für die ahnungsvolle Jugend mehr gewonnen, als bei einem völlig verständ¬
lichen, für den Augenblick fortreißenden Drama wie Wildenbruchs "Väter und
Söhne". Man hat das Stück sicher nicht ohne Zaudern auf den Spielplan
gesetzt; aber es schien das einzige, das eine direkte Beziehung auf die Zeit vor
hundert Jahren gab. Die ersten beiden Akte zogen mächtig, dann staute es
sehr schnell ab und der Schluß zog sich quälend in die Länge.

Man wird sich künftig doch wieder an Shakespeare, Goethe. Schiller.
Kleist und Hebbel halten müssen, wie es in den vorigen Jahren geschehen ist
mit einziger wohlgelungener Ausnahme von Grillparzers "Weh dem, der lügt".

Den Schluß der ganzen Festzeit bildet ein Fackelzug am Sonntag Abend
nach der letzten Theatervorstellung. In früheren Zeiten ging man an Adolf
Bartels Haus vorbei und huldigte dem Gründer des Bundes; jetzt hat sich
Bartels selbst diese Auszeichnung verbeten, anderen überläßt er es, seine Saat


Die Festspiele des deutschen Schillerbundes in Zveimar

Schnurren erzählte, fühlte man sich durch diese sichere Überlieferung eng ver¬
bunden mit der heimlichen Welt, die in den alten Räumen waltet. Der Geist
der heiteren Lebensfreude hat sich in Weimar festgesetzt; da war kein Führer,
der nicht irgendeine Anekdote wußte, die die ganze sonnige Lebenslust des
klassischen Weimar widerspiegelte. Man ist vernünftig genug nicht vom Herrn
Geheimrat zu sprechen, es ist „der Goethe", und sein Herzog ist „der
Gallauguscht", nur im Schillerhaus scheint Lotte „die Frau Hofrätin" zu
heißen.

Fast alle diese Besichtigungen sind für die Mitglieder des Schillerbundes
umsonst. Selbst der Zutritt zur Wartburg ist frei; denn an dem spielfreien
Wochentage, dem Freitag, werden größere Ausflüge in den Thüringerwald,
nach Naumburg, Kösen-Rudelsburg, Jena und mit besonderer Vorliebe zur Wart¬
burg unternommen. Kommt man dann abends nach Weimar zurück, so tun
sich wieder die Räume der Stahlarmbrust-Schützengesellschaft auf; in den: Mittel¬
punkt des Abends steht die Vaterlandsrede, ein Tanz im Freien schließt schon
um 11 Uhr den „Geselligen Abend" ab: der Speisezettel ist noch nicht erledigt;
am nächsten Morgen geht es früh heraus, die Gelegenheit ist zu günstig, das
Ausgrabungsfeld in Ehringsdorf auf dem Wege nach Belvedere mitzunehmen,
eine der ältesten menschlichen Wohnstätten Deutschlands aus der letzten Zwischen¬
eiszeit. In Weimar gibt es eben alles.

Die Stücke, die diesmal gegeben wurden, waren alle so gewählt, daß sie
in äußerer oder innerer Beziehung zu der Jahrhundertfeier stehen sollten. Eine
sehr schwierige Aufgabe! Wenn man einmal versucht, vier Stücke der Art zu¬
sammenzustellen, wird man sagen müssen, daß der Schillerbund mit seiner Aus¬
wahl das Richtige getroffen hat: „Götz", Kleists „Hermannsschlacht", Wilden¬
bruchs „Väter und Söhne", „Tell". Sicher sind die meisten Knaben und
Mädchen für Kleistsche Kunst noch nicht reif, ebensowenig wie für den
„Othello" im vorigen Jahr; aber wenn auch nur von ferne geahnt wird,
daß hier noch anderes verborgen liegt, als fürs erste herausspringt, fo ist gerade
für die ahnungsvolle Jugend mehr gewonnen, als bei einem völlig verständ¬
lichen, für den Augenblick fortreißenden Drama wie Wildenbruchs „Väter und
Söhne". Man hat das Stück sicher nicht ohne Zaudern auf den Spielplan
gesetzt; aber es schien das einzige, das eine direkte Beziehung auf die Zeit vor
hundert Jahren gab. Die ersten beiden Akte zogen mächtig, dann staute es
sehr schnell ab und der Schluß zog sich quälend in die Länge.

Man wird sich künftig doch wieder an Shakespeare, Goethe. Schiller.
Kleist und Hebbel halten müssen, wie es in den vorigen Jahren geschehen ist
mit einziger wohlgelungener Ausnahme von Grillparzers „Weh dem, der lügt".

Den Schluß der ganzen Festzeit bildet ein Fackelzug am Sonntag Abend
nach der letzten Theatervorstellung. In früheren Zeiten ging man an Adolf
Bartels Haus vorbei und huldigte dem Gründer des Bundes; jetzt hat sich
Bartels selbst diese Auszeichnung verbeten, anderen überläßt er es, seine Saat


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[0440] Die Festspiele des deutschen Schillerbundes in Zveimar Schnurren erzählte, fühlte man sich durch diese sichere Überlieferung eng ver¬ bunden mit der heimlichen Welt, die in den alten Räumen waltet. Der Geist der heiteren Lebensfreude hat sich in Weimar festgesetzt; da war kein Führer, der nicht irgendeine Anekdote wußte, die die ganze sonnige Lebenslust des klassischen Weimar widerspiegelte. Man ist vernünftig genug nicht vom Herrn Geheimrat zu sprechen, es ist „der Goethe", und sein Herzog ist „der Gallauguscht", nur im Schillerhaus scheint Lotte „die Frau Hofrätin" zu heißen. Fast alle diese Besichtigungen sind für die Mitglieder des Schillerbundes umsonst. Selbst der Zutritt zur Wartburg ist frei; denn an dem spielfreien Wochentage, dem Freitag, werden größere Ausflüge in den Thüringerwald, nach Naumburg, Kösen-Rudelsburg, Jena und mit besonderer Vorliebe zur Wart¬ burg unternommen. Kommt man dann abends nach Weimar zurück, so tun sich wieder die Räume der Stahlarmbrust-Schützengesellschaft auf; in den: Mittel¬ punkt des Abends steht die Vaterlandsrede, ein Tanz im Freien schließt schon um 11 Uhr den „Geselligen Abend" ab: der Speisezettel ist noch nicht erledigt; am nächsten Morgen geht es früh heraus, die Gelegenheit ist zu günstig, das Ausgrabungsfeld in Ehringsdorf auf dem Wege nach Belvedere mitzunehmen, eine der ältesten menschlichen Wohnstätten Deutschlands aus der letzten Zwischen¬ eiszeit. In Weimar gibt es eben alles. Die Stücke, die diesmal gegeben wurden, waren alle so gewählt, daß sie in äußerer oder innerer Beziehung zu der Jahrhundertfeier stehen sollten. Eine sehr schwierige Aufgabe! Wenn man einmal versucht, vier Stücke der Art zu¬ sammenzustellen, wird man sagen müssen, daß der Schillerbund mit seiner Aus¬ wahl das Richtige getroffen hat: „Götz", Kleists „Hermannsschlacht", Wilden¬ bruchs „Väter und Söhne", „Tell". Sicher sind die meisten Knaben und Mädchen für Kleistsche Kunst noch nicht reif, ebensowenig wie für den „Othello" im vorigen Jahr; aber wenn auch nur von ferne geahnt wird, daß hier noch anderes verborgen liegt, als fürs erste herausspringt, fo ist gerade für die ahnungsvolle Jugend mehr gewonnen, als bei einem völlig verständ¬ lichen, für den Augenblick fortreißenden Drama wie Wildenbruchs „Väter und Söhne". Man hat das Stück sicher nicht ohne Zaudern auf den Spielplan gesetzt; aber es schien das einzige, das eine direkte Beziehung auf die Zeit vor hundert Jahren gab. Die ersten beiden Akte zogen mächtig, dann staute es sehr schnell ab und der Schluß zog sich quälend in die Länge. Man wird sich künftig doch wieder an Shakespeare, Goethe. Schiller. Kleist und Hebbel halten müssen, wie es in den vorigen Jahren geschehen ist mit einziger wohlgelungener Ausnahme von Grillparzers „Weh dem, der lügt". Den Schluß der ganzen Festzeit bildet ein Fackelzug am Sonntag Abend nach der letzten Theatervorstellung. In früheren Zeiten ging man an Adolf Bartels Haus vorbei und huldigte dem Gründer des Bundes; jetzt hat sich Bartels selbst diese Auszeichnung verbeten, anderen überläßt er es, seine Saat

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/440>, abgerufen am 28.12.2024.