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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Die Festspiele des deutschen Schillerbnndes in tveimar

der Reden hielt sich in bescheidenen Grenzen; die gesunde Empfindlichkeit gegen
gespreizten Überschwung wurde nirgends verletzt. Es gibt auch nichts Roheres,
als über den keimenden Boden der jungen Herzen die kalten Strome einer
unwahren Begeisterung auszuschütten. Aber nichts Schöneres, als diesen
harrenden Boden mit heiterem Sonnenschein und reinem Tau zu befruchten.
Das gelang diesmal demi Festredner der zweiten Spielwoche, dem Direktor der
deutschen Schule in Antwerpen Dr. B. Gaster, in einer Vaterlandsrede, wie man
sie so gerne hören möchte und doch so selten zu hören bekommt. Eine tief
innerliche Bewegung ging durch die jugendlichen Herzen, und das erste Hoch
wollte noch nicht recht aus den Kehlen heraus, aber wie die Rufe dann so natürlich
zu einem unerhörten Brausen anschwollen, das war wie begeisterter Treueschwur
aus vollstem Herzen. So etwas erlebt man nur in Stunden hoher idealer
Spannung, und weil Weimar durch sich selbst und durch das Zusammensein
so vieler Gleichgestimmter derartige Hochspannungen in der Jugend erzeugt, sind
seine Festspiele eine nationale Angelegenheit.

Darum ist es auch gleichgültig, ob von allen Mädchen und Buben dort
alles voll verstanden und verdaut wird; der Eindruck wird bleiben, daß in
Weimar einst eine Kultur geblüht hat, die Deutschland eine Führerstellung im
Reich der Geister errang. Es werden auch viele den Eindruck gewinnen, daß
hier einmal ganz ohne Nebenzwecke Männer für die Jugend Zeit und Kraft
opfern, die keine offiziellen, bezahlten Erzieher sind. Die Jugend nimmt zwar
mit einer göttlichen Unverfrorenheit alles Mögliche hin, was andere für sie tun;
zum Glück machen wir uns in den unbefangenen Jahren nicht allzuviel Ge¬
danken darüber, wer für uns arbeitet und warum uns das beste gerade gut
genug sein soll; wir würden ja auch furchtbar eingebildet werden müssen, wenn
uns Karl Spittelers schönes Wort zu deutlich ertönte: "Was hat eine Nation
besseres als sekundärer und Primaner!" Wir waren alle so gefühlsmäßig von
unserer jungen Gewichtigkeit und Unentbehrlichkeit überzeugt und werden nicht
grollen, daß es heute noch eben so ist. In Weimar spricht man darum auch
mit gutem Grunde nicht zu viel von der Pflicht der Dankbarkeit; man läßt dort
vieles unausgesprochen; man verfährt künstlerisch auch in der Gestaltung der
Form sür die Gefühlsäußerung. Wer seinen Dank allzu wohlgeordnet ausspricht,
glaubt sich der Pflicht entledigt, ein nicht bis an den Rand der Wahrheit aus¬
gesagtes Dankesgefühl bindet fester und bleibender. Diese vornehme Art, wie
sie jetzt in Weimar gepflegt wird, muß den Festspielen erhalten bleiben;
niemals mögen dort die pflichtmäßigen Verdankungsreden einreißen, die der
Jugend durch Preisstellung des Gefühls das Tiefste rauben.

Wir Älteren sind uns dessen ja wohl bewußt, daß von den Leitern der
Festspiele eine beispiellos uneigennützige Arbeit geleistet wird. Wo ist es sonst
erhört, daß Männer der verschiedensten Berufskreise einen ganzen Sommer¬
monat opfern in anspannendster organisatorischer Tätigkeit ohne einen Pfennig
Entgelt, selbst ohne die Aussicht auf äußere Ehren und Bekanntschaft in weiteren


Die Festspiele des deutschen Schillerbnndes in tveimar

der Reden hielt sich in bescheidenen Grenzen; die gesunde Empfindlichkeit gegen
gespreizten Überschwung wurde nirgends verletzt. Es gibt auch nichts Roheres,
als über den keimenden Boden der jungen Herzen die kalten Strome einer
unwahren Begeisterung auszuschütten. Aber nichts Schöneres, als diesen
harrenden Boden mit heiterem Sonnenschein und reinem Tau zu befruchten.
Das gelang diesmal demi Festredner der zweiten Spielwoche, dem Direktor der
deutschen Schule in Antwerpen Dr. B. Gaster, in einer Vaterlandsrede, wie man
sie so gerne hören möchte und doch so selten zu hören bekommt. Eine tief
innerliche Bewegung ging durch die jugendlichen Herzen, und das erste Hoch
wollte noch nicht recht aus den Kehlen heraus, aber wie die Rufe dann so natürlich
zu einem unerhörten Brausen anschwollen, das war wie begeisterter Treueschwur
aus vollstem Herzen. So etwas erlebt man nur in Stunden hoher idealer
Spannung, und weil Weimar durch sich selbst und durch das Zusammensein
so vieler Gleichgestimmter derartige Hochspannungen in der Jugend erzeugt, sind
seine Festspiele eine nationale Angelegenheit.

Darum ist es auch gleichgültig, ob von allen Mädchen und Buben dort
alles voll verstanden und verdaut wird; der Eindruck wird bleiben, daß in
Weimar einst eine Kultur geblüht hat, die Deutschland eine Führerstellung im
Reich der Geister errang. Es werden auch viele den Eindruck gewinnen, daß
hier einmal ganz ohne Nebenzwecke Männer für die Jugend Zeit und Kraft
opfern, die keine offiziellen, bezahlten Erzieher sind. Die Jugend nimmt zwar
mit einer göttlichen Unverfrorenheit alles Mögliche hin, was andere für sie tun;
zum Glück machen wir uns in den unbefangenen Jahren nicht allzuviel Ge¬
danken darüber, wer für uns arbeitet und warum uns das beste gerade gut
genug sein soll; wir würden ja auch furchtbar eingebildet werden müssen, wenn
uns Karl Spittelers schönes Wort zu deutlich ertönte: „Was hat eine Nation
besseres als sekundärer und Primaner!" Wir waren alle so gefühlsmäßig von
unserer jungen Gewichtigkeit und Unentbehrlichkeit überzeugt und werden nicht
grollen, daß es heute noch eben so ist. In Weimar spricht man darum auch
mit gutem Grunde nicht zu viel von der Pflicht der Dankbarkeit; man läßt dort
vieles unausgesprochen; man verfährt künstlerisch auch in der Gestaltung der
Form sür die Gefühlsäußerung. Wer seinen Dank allzu wohlgeordnet ausspricht,
glaubt sich der Pflicht entledigt, ein nicht bis an den Rand der Wahrheit aus¬
gesagtes Dankesgefühl bindet fester und bleibender. Diese vornehme Art, wie
sie jetzt in Weimar gepflegt wird, muß den Festspielen erhalten bleiben;
niemals mögen dort die pflichtmäßigen Verdankungsreden einreißen, die der
Jugend durch Preisstellung des Gefühls das Tiefste rauben.

Wir Älteren sind uns dessen ja wohl bewußt, daß von den Leitern der
Festspiele eine beispiellos uneigennützige Arbeit geleistet wird. Wo ist es sonst
erhört, daß Männer der verschiedensten Berufskreise einen ganzen Sommer¬
monat opfern in anspannendster organisatorischer Tätigkeit ohne einen Pfennig
Entgelt, selbst ohne die Aussicht auf äußere Ehren und Bekanntschaft in weiteren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/438>, abgerufen am 29.12.2024.