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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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ZVider die Sprachverderbnis

Erfolge reden. Oft sind die Erzeugnisse selbst zweifelhafter Art, sei es, daß sie
als rohe Übersetzungen im Banne des fremden Wortes bleiben (z. B. An¬
bietungen für Offerten), sei es, daß es rein erklärende Wortgebilde sind (z. B.
Satzgegenstand für Subjekt), sei es auch, daß sie unseren Sprachgesetzen zuwider
sind (z. B. Werteschrein für Dokumentenschrein); in allen solchen Fällen ist ihr
Sprachwert nichtig oder nur gering. Aber hiervon abgesehen, was bedeutet
auch das beste Ersatzwort, wenn es vom Volke nicht aufgegriffen wird. Ganz
einwandsfrei ist z. B. die Verdeutschung Kraftwagen, aber was hilft uns das
schließlich, wenn in Millionen Kindesseelen, sobald wie das Licht der Sprache
in ihnen aufgeht, das Wort Automobil lebendig wird? wenn ein harmloser
Gassenhauer dies Wort unserem Volke bis in den entlegensten Winkel aufzwingt? --
Doch schließlich ist auch ein Fremdwort wie dieses noch nicht der größte
Schädling seiner Art. Was sollen wir aber dazu sagen, daß heute in Scharen
die überflüssigsten neuen Fremdwörter, meist aus dem Englischen, auf unsere
Sprache einströmen, sodaß für ein mühsam beseitigtes Fremdwort dutzend
andere auf dem Plane erscheinen! Widerlich ist die Art und Weise, wie heute
ganze Kreise der Bevölkerung (nicht allein der Kaufmannsstand) förmlich danach
suchen, englische Wörter aufzunehmen und an den Mann zu bringen, sie zeigt
uns leider aufs deutlichste, wie tief wieder einmal unser Selbstbewußtsein auf
dem Gebiete der Sprache gesunken ist. Und dem gegenüber sollten wir den
Mut haben, von Erfolgen zu sprechen und selbstgefällig auf unsere Leistungen
hinzublicken?

Bei der ganzen Frage handelt es sich aber um weit mehr als bloß die
Fremdwörterei. Woher kommt denn eigentlich die Sucht der Deutschen, fort¬
während die überflüssigsten Bestandteile aus fremden Sprachen aufzunehmen,
die jedem Ausländer, der sich mit unserer Sprache beschäftigt, unbegreiflich ist
und die in der Gegenwart wieder so ganz besonders hervortritt. Sie wurzelt
in der Schwäche unseres eigenen Sprachgefühls und hat diese zur Voraussetzung.
Und daß diese Schwäche heutzutage ganz besonders Hervortritt und daß sie
zur Zeit eine wahre Verwilderung in der Muttersprache heraufgeführt hat,
davon können wir uns leider zu jeder Stunde überzeugen. Blicken wir einmal
auf die öffentlichen Äußerungen unseres sprachlichen Lebens, besonders auf die
Zeitungen, so können wir dort Entgleisungen gewahren, gegen die solche früherer
Zeit, der man oft eine mangelhafte Rechtschreibung vorwirft, garnicht in
Betracht kommen können. Wenn wir heute z. B. in Anzeigen, Aufschriften usw.
lesen: Disponent-Gesuch, Reisender-Gesuch, Kochlernende, Westfäler Schinken.
Schottenheringe, Lager in Büromöbel, mit Stricke befestigen, des Küstriner
(älterer) Turnverein -- und tausend ähnliche --, so zeugen solche Verstöße von
einer völligen Verrohung des Sprachgefühls. Man mache nicht etwa den Ein¬
wand, daß sie auf mangelhafter Schulbildung beruhen. Die Schulbildung hat
heute einen Umfang angenommen, wie nie zuvor, und die Sprache verkommt.
Die Sache liegt eben nicht so, daß die, die jene Verstöße machen, nichts davon
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ZVider die Sprachverderbnis

Erfolge reden. Oft sind die Erzeugnisse selbst zweifelhafter Art, sei es, daß sie
als rohe Übersetzungen im Banne des fremden Wortes bleiben (z. B. An¬
bietungen für Offerten), sei es, daß es rein erklärende Wortgebilde sind (z. B.
Satzgegenstand für Subjekt), sei es auch, daß sie unseren Sprachgesetzen zuwider
sind (z. B. Werteschrein für Dokumentenschrein); in allen solchen Fällen ist ihr
Sprachwert nichtig oder nur gering. Aber hiervon abgesehen, was bedeutet
auch das beste Ersatzwort, wenn es vom Volke nicht aufgegriffen wird. Ganz
einwandsfrei ist z. B. die Verdeutschung Kraftwagen, aber was hilft uns das
schließlich, wenn in Millionen Kindesseelen, sobald wie das Licht der Sprache
in ihnen aufgeht, das Wort Automobil lebendig wird? wenn ein harmloser
Gassenhauer dies Wort unserem Volke bis in den entlegensten Winkel aufzwingt? —
Doch schließlich ist auch ein Fremdwort wie dieses noch nicht der größte
Schädling seiner Art. Was sollen wir aber dazu sagen, daß heute in Scharen
die überflüssigsten neuen Fremdwörter, meist aus dem Englischen, auf unsere
Sprache einströmen, sodaß für ein mühsam beseitigtes Fremdwort dutzend
andere auf dem Plane erscheinen! Widerlich ist die Art und Weise, wie heute
ganze Kreise der Bevölkerung (nicht allein der Kaufmannsstand) förmlich danach
suchen, englische Wörter aufzunehmen und an den Mann zu bringen, sie zeigt
uns leider aufs deutlichste, wie tief wieder einmal unser Selbstbewußtsein auf
dem Gebiete der Sprache gesunken ist. Und dem gegenüber sollten wir den
Mut haben, von Erfolgen zu sprechen und selbstgefällig auf unsere Leistungen
hinzublicken?

Bei der ganzen Frage handelt es sich aber um weit mehr als bloß die
Fremdwörterei. Woher kommt denn eigentlich die Sucht der Deutschen, fort¬
während die überflüssigsten Bestandteile aus fremden Sprachen aufzunehmen,
die jedem Ausländer, der sich mit unserer Sprache beschäftigt, unbegreiflich ist
und die in der Gegenwart wieder so ganz besonders hervortritt. Sie wurzelt
in der Schwäche unseres eigenen Sprachgefühls und hat diese zur Voraussetzung.
Und daß diese Schwäche heutzutage ganz besonders Hervortritt und daß sie
zur Zeit eine wahre Verwilderung in der Muttersprache heraufgeführt hat,
davon können wir uns leider zu jeder Stunde überzeugen. Blicken wir einmal
auf die öffentlichen Äußerungen unseres sprachlichen Lebens, besonders auf die
Zeitungen, so können wir dort Entgleisungen gewahren, gegen die solche früherer
Zeit, der man oft eine mangelhafte Rechtschreibung vorwirft, garnicht in
Betracht kommen können. Wenn wir heute z. B. in Anzeigen, Aufschriften usw.
lesen: Disponent-Gesuch, Reisender-Gesuch, Kochlernende, Westfäler Schinken.
Schottenheringe, Lager in Büromöbel, mit Stricke befestigen, des Küstriner
(älterer) Turnverein — und tausend ähnliche —, so zeugen solche Verstöße von
einer völligen Verrohung des Sprachgefühls. Man mache nicht etwa den Ein¬
wand, daß sie auf mangelhafter Schulbildung beruhen. Die Schulbildung hat
heute einen Umfang angenommen, wie nie zuvor, und die Sprache verkommt.
Die Sache liegt eben nicht so, daß die, die jene Verstöße machen, nichts davon
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[0431] ZVider die Sprachverderbnis Erfolge reden. Oft sind die Erzeugnisse selbst zweifelhafter Art, sei es, daß sie als rohe Übersetzungen im Banne des fremden Wortes bleiben (z. B. An¬ bietungen für Offerten), sei es, daß es rein erklärende Wortgebilde sind (z. B. Satzgegenstand für Subjekt), sei es auch, daß sie unseren Sprachgesetzen zuwider sind (z. B. Werteschrein für Dokumentenschrein); in allen solchen Fällen ist ihr Sprachwert nichtig oder nur gering. Aber hiervon abgesehen, was bedeutet auch das beste Ersatzwort, wenn es vom Volke nicht aufgegriffen wird. Ganz einwandsfrei ist z. B. die Verdeutschung Kraftwagen, aber was hilft uns das schließlich, wenn in Millionen Kindesseelen, sobald wie das Licht der Sprache in ihnen aufgeht, das Wort Automobil lebendig wird? wenn ein harmloser Gassenhauer dies Wort unserem Volke bis in den entlegensten Winkel aufzwingt? — Doch schließlich ist auch ein Fremdwort wie dieses noch nicht der größte Schädling seiner Art. Was sollen wir aber dazu sagen, daß heute in Scharen die überflüssigsten neuen Fremdwörter, meist aus dem Englischen, auf unsere Sprache einströmen, sodaß für ein mühsam beseitigtes Fremdwort dutzend andere auf dem Plane erscheinen! Widerlich ist die Art und Weise, wie heute ganze Kreise der Bevölkerung (nicht allein der Kaufmannsstand) förmlich danach suchen, englische Wörter aufzunehmen und an den Mann zu bringen, sie zeigt uns leider aufs deutlichste, wie tief wieder einmal unser Selbstbewußtsein auf dem Gebiete der Sprache gesunken ist. Und dem gegenüber sollten wir den Mut haben, von Erfolgen zu sprechen und selbstgefällig auf unsere Leistungen hinzublicken? Bei der ganzen Frage handelt es sich aber um weit mehr als bloß die Fremdwörterei. Woher kommt denn eigentlich die Sucht der Deutschen, fort¬ während die überflüssigsten Bestandteile aus fremden Sprachen aufzunehmen, die jedem Ausländer, der sich mit unserer Sprache beschäftigt, unbegreiflich ist und die in der Gegenwart wieder so ganz besonders hervortritt. Sie wurzelt in der Schwäche unseres eigenen Sprachgefühls und hat diese zur Voraussetzung. Und daß diese Schwäche heutzutage ganz besonders Hervortritt und daß sie zur Zeit eine wahre Verwilderung in der Muttersprache heraufgeführt hat, davon können wir uns leider zu jeder Stunde überzeugen. Blicken wir einmal auf die öffentlichen Äußerungen unseres sprachlichen Lebens, besonders auf die Zeitungen, so können wir dort Entgleisungen gewahren, gegen die solche früherer Zeit, der man oft eine mangelhafte Rechtschreibung vorwirft, garnicht in Betracht kommen können. Wenn wir heute z. B. in Anzeigen, Aufschriften usw. lesen: Disponent-Gesuch, Reisender-Gesuch, Kochlernende, Westfäler Schinken. Schottenheringe, Lager in Büromöbel, mit Stricke befestigen, des Küstriner (älterer) Turnverein — und tausend ähnliche —, so zeugen solche Verstöße von einer völligen Verrohung des Sprachgefühls. Man mache nicht etwa den Ein¬ wand, daß sie auf mangelhafter Schulbildung beruhen. Die Schulbildung hat heute einen Umfang angenommen, wie nie zuvor, und die Sprache verkommt. Die Sache liegt eben nicht so, daß die, die jene Verstöße machen, nichts davon * 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/431>, abgerufen am 19.10.2024.