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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

Vorsichtig die verängstigten Pferde am Zaume führend, erreichten Vater und
Sohn die Straße. Hier stiegen sie auf das Gefährt und fuhren im Galopp
dem brennenden Schlosse zu.

Nur das Element wütete noch auf dem Hofe. Jedes andere Leben schien
erstorben.

Schweigend standen die beiden Männer vor dem zusammenstürzenden
Gebälk.

"Was sagte der Kerl? Nicht ein Stein soll an eure Tyrannei erinnern?
Das ist rasch wahr geworden!"

Paul seufzte tief auf: "Und Wolff Joachim?"

Da war es ihm, als hätte in das Krachen und Knistern hinein ein ferner
Hilferuf geklungen. Sie gingen dem Klänge nach, bis sie zur Brennerei ge¬
langten.

"Ist das seltsam. Es liegen Tote da, aber wo stecken die Kosaken?" Baron
Alexander zog erschauernd seinen Fuß zurück. Er war an einen der wie tot
daliegenden Berauschten gestoßen.

Jetzt kam der Ruf aus nächster Nähe. Dort in der Brennerei mußte
jemand hilflos liegen -- eine Frauenstimme war es.

In dem flackernden Licht des Feuerscheins sahen sie ein erschütterndes Bild.

Mit zerrauftem Haar und zerfetzten Kleidern, durch die an vielen Stellen
Blut sickerte, kauerte ein Mädchen auf der Treppe und blickte sie mit wirren
Augen an.

Vor ihr, in tiefer Bewußtlosigkeit lag Wolff Joachim. Sein blutiger Kopf
war weich in ihren Schoß gebettet. . .

(Fortsetzung folgt)




Grenzboten III 191327
Sturm

Vorsichtig die verängstigten Pferde am Zaume führend, erreichten Vater und
Sohn die Straße. Hier stiegen sie auf das Gefährt und fuhren im Galopp
dem brennenden Schlosse zu.

Nur das Element wütete noch auf dem Hofe. Jedes andere Leben schien
erstorben.

Schweigend standen die beiden Männer vor dem zusammenstürzenden
Gebälk.

„Was sagte der Kerl? Nicht ein Stein soll an eure Tyrannei erinnern?
Das ist rasch wahr geworden!"

Paul seufzte tief auf: „Und Wolff Joachim?"

Da war es ihm, als hätte in das Krachen und Knistern hinein ein ferner
Hilferuf geklungen. Sie gingen dem Klänge nach, bis sie zur Brennerei ge¬
langten.

„Ist das seltsam. Es liegen Tote da, aber wo stecken die Kosaken?" Baron
Alexander zog erschauernd seinen Fuß zurück. Er war an einen der wie tot
daliegenden Berauschten gestoßen.

Jetzt kam der Ruf aus nächster Nähe. Dort in der Brennerei mußte
jemand hilflos liegen — eine Frauenstimme war es.

In dem flackernden Licht des Feuerscheins sahen sie ein erschütterndes Bild.

Mit zerrauftem Haar und zerfetzten Kleidern, durch die an vielen Stellen
Blut sickerte, kauerte ein Mädchen auf der Treppe und blickte sie mit wirren
Augen an.

Vor ihr, in tiefer Bewußtlosigkeit lag Wolff Joachim. Sein blutiger Kopf
war weich in ihren Schoß gebettet. . .

(Fortsetzung folgt)




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[0429] Sturm Vorsichtig die verängstigten Pferde am Zaume führend, erreichten Vater und Sohn die Straße. Hier stiegen sie auf das Gefährt und fuhren im Galopp dem brennenden Schlosse zu. Nur das Element wütete noch auf dem Hofe. Jedes andere Leben schien erstorben. Schweigend standen die beiden Männer vor dem zusammenstürzenden Gebälk. „Was sagte der Kerl? Nicht ein Stein soll an eure Tyrannei erinnern? Das ist rasch wahr geworden!" Paul seufzte tief auf: „Und Wolff Joachim?" Da war es ihm, als hätte in das Krachen und Knistern hinein ein ferner Hilferuf geklungen. Sie gingen dem Klänge nach, bis sie zur Brennerei ge¬ langten. „Ist das seltsam. Es liegen Tote da, aber wo stecken die Kosaken?" Baron Alexander zog erschauernd seinen Fuß zurück. Er war an einen der wie tot daliegenden Berauschten gestoßen. Jetzt kam der Ruf aus nächster Nähe. Dort in der Brennerei mußte jemand hilflos liegen — eine Frauenstimme war es. In dem flackernden Licht des Feuerscheins sahen sie ein erschütterndes Bild. Mit zerrauftem Haar und zerfetzten Kleidern, durch die an vielen Stellen Blut sickerte, kauerte ein Mädchen auf der Treppe und blickte sie mit wirren Augen an. Vor ihr, in tiefer Bewußtlosigkeit lag Wolff Joachim. Sein blutiger Kopf war weich in ihren Schoß gebettet. . . (Fortsetzung folgt) Grenzboten III 191327

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/429>, abgerufen am 19.10.2024.