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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

Plötzlich klang eine neue Tonart aus dem Brüllen der Berauschten. Ein
Streit hub an und wurde bald zu einem wütenden Handgemenge:

"Ich hab sie vorgeholt!" schrie einer. "Mein ist sie! -- Unser ist sie! --
Hund ich schlag dir die Zähne ein!"

Jetzt schwangen sie gegeneinander ihre Messer, und krachende Hiebe fielen.
In ihr tierisches Brüllen hinein klang ein gellender Hilfeschrei.

Wolff Joachim erwachte aus seiner Ohnmacht. Von wem kam der Ruf?
Alles Blut strömte ihm zum Herzen. Und wieder übertönte die Frauenstimme
das Toben der Männer im Hof:

"Mein Gott, mein Gott -- das kann nur Lolja sein!" durchzuckte es den
Ärmsten in einem Blitz des Erkennens.

Er beißt die Zähne aufeinander -- er hält die Wurzel des Ohrs mit
eisernem Griff beider Hände fest -- ein jäher Ruck des Kopfes und die Fessel
ist zerrissen.

Taumelnd rast er zur Tür hinaus.

"Ich komme, Lolja! Ich komme!!!" brüllt er mit der Stimme eines Stieres,
reißt den ersten besten die Gewehre aus der Hand und läßt sie, zwei auf einmal,
in furchtbarem Schwunge in der Runde niedersausen.

"Die Kosaken!" Ein einziger Schrei des Entsetzens reißt die Köpfe herum.
Sie nehmen sich keine Zeit, zu sehen, sie heulen auf und stürmen davon.

Viele der Kerls fallen hin -- ihre Gewehre entladen sich. Die Schüsse
vermehren den panischen Schrecken.

"Gnade!" heulen die Besoffenen und winden sich am Boden: "Gnade!"
Sie strecken ihre Arme einem Richter entgegen, der nicht da ist, greifen in die
Luft und brechen wimmernd wieder zusammen.

Wer seine Füße beherrscht, setzt über Zäune und Mauern -- quer durch
den Park und hinein in den Wald.

Der Ruf: "Die Kosaken!" jagt sie wie eine Hetzpeitsche vor sich her, dringt
überall hin, wandelt jeden Baum, jeden Strauch, jeden Schatten, selbst die Ge¬
nossen im Rücken zu lauernden oder rasenden Rändern.

Er dringt auch bis zu dem Wagen auf dem einsamem Waldwege und gellt
in das Ohr seiner Lenker.

Sich überstürzend springen sie vom Bock und rennen davon, der Wagen¬
schlag fliegt auf und speit zwei weitere Räuber aus. Sie rennen, rennen . . .

So geschah es, daß die beiden Barone von der Borke ihren Wagen selber
den: Ziele ihrer Fahrt zuführen mußten. Den Weg fanden sie leicht. Ein
mächtiger Feuerschein tauchte den Wald in Tageshelle. Sie waren eine Stunde
lang von ihren Räubern kreuz und quer durch die Nacht kutschiert worden.
Bis der Wind diesen den Jubel ihrer Genossen zutrug und ihnen denselben teuf-
lichen Gedanken eingab, den man an Wolff Joachim hatte zur Tat werden lassen:
"Die deutschen Hunde sollen ihr Raubnest brennen sehen!"


Sturm

Plötzlich klang eine neue Tonart aus dem Brüllen der Berauschten. Ein
Streit hub an und wurde bald zu einem wütenden Handgemenge:

„Ich hab sie vorgeholt!" schrie einer. „Mein ist sie! — Unser ist sie! —
Hund ich schlag dir die Zähne ein!"

Jetzt schwangen sie gegeneinander ihre Messer, und krachende Hiebe fielen.
In ihr tierisches Brüllen hinein klang ein gellender Hilfeschrei.

Wolff Joachim erwachte aus seiner Ohnmacht. Von wem kam der Ruf?
Alles Blut strömte ihm zum Herzen. Und wieder übertönte die Frauenstimme
das Toben der Männer im Hof:

„Mein Gott, mein Gott — das kann nur Lolja sein!" durchzuckte es den
Ärmsten in einem Blitz des Erkennens.

Er beißt die Zähne aufeinander — er hält die Wurzel des Ohrs mit
eisernem Griff beider Hände fest — ein jäher Ruck des Kopfes und die Fessel
ist zerrissen.

Taumelnd rast er zur Tür hinaus.

„Ich komme, Lolja! Ich komme!!!" brüllt er mit der Stimme eines Stieres,
reißt den ersten besten die Gewehre aus der Hand und läßt sie, zwei auf einmal,
in furchtbarem Schwunge in der Runde niedersausen.

„Die Kosaken!" Ein einziger Schrei des Entsetzens reißt die Köpfe herum.
Sie nehmen sich keine Zeit, zu sehen, sie heulen auf und stürmen davon.

Viele der Kerls fallen hin — ihre Gewehre entladen sich. Die Schüsse
vermehren den panischen Schrecken.

„Gnade!" heulen die Besoffenen und winden sich am Boden: „Gnade!"
Sie strecken ihre Arme einem Richter entgegen, der nicht da ist, greifen in die
Luft und brechen wimmernd wieder zusammen.

Wer seine Füße beherrscht, setzt über Zäune und Mauern — quer durch
den Park und hinein in den Wald.

Der Ruf: „Die Kosaken!" jagt sie wie eine Hetzpeitsche vor sich her, dringt
überall hin, wandelt jeden Baum, jeden Strauch, jeden Schatten, selbst die Ge¬
nossen im Rücken zu lauernden oder rasenden Rändern.

Er dringt auch bis zu dem Wagen auf dem einsamem Waldwege und gellt
in das Ohr seiner Lenker.

Sich überstürzend springen sie vom Bock und rennen davon, der Wagen¬
schlag fliegt auf und speit zwei weitere Räuber aus. Sie rennen, rennen . . .

So geschah es, daß die beiden Barone von der Borke ihren Wagen selber
den: Ziele ihrer Fahrt zuführen mußten. Den Weg fanden sie leicht. Ein
mächtiger Feuerschein tauchte den Wald in Tageshelle. Sie waren eine Stunde
lang von ihren Räubern kreuz und quer durch die Nacht kutschiert worden.
Bis der Wind diesen den Jubel ihrer Genossen zutrug und ihnen denselben teuf-
lichen Gedanken eingab, den man an Wolff Joachim hatte zur Tat werden lassen:
„Die deutschen Hunde sollen ihr Raubnest brennen sehen!"


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[0428] Sturm Plötzlich klang eine neue Tonart aus dem Brüllen der Berauschten. Ein Streit hub an und wurde bald zu einem wütenden Handgemenge: „Ich hab sie vorgeholt!" schrie einer. „Mein ist sie! — Unser ist sie! — Hund ich schlag dir die Zähne ein!" Jetzt schwangen sie gegeneinander ihre Messer, und krachende Hiebe fielen. In ihr tierisches Brüllen hinein klang ein gellender Hilfeschrei. Wolff Joachim erwachte aus seiner Ohnmacht. Von wem kam der Ruf? Alles Blut strömte ihm zum Herzen. Und wieder übertönte die Frauenstimme das Toben der Männer im Hof: „Mein Gott, mein Gott — das kann nur Lolja sein!" durchzuckte es den Ärmsten in einem Blitz des Erkennens. Er beißt die Zähne aufeinander — er hält die Wurzel des Ohrs mit eisernem Griff beider Hände fest — ein jäher Ruck des Kopfes und die Fessel ist zerrissen. Taumelnd rast er zur Tür hinaus. „Ich komme, Lolja! Ich komme!!!" brüllt er mit der Stimme eines Stieres, reißt den ersten besten die Gewehre aus der Hand und läßt sie, zwei auf einmal, in furchtbarem Schwunge in der Runde niedersausen. „Die Kosaken!" Ein einziger Schrei des Entsetzens reißt die Köpfe herum. Sie nehmen sich keine Zeit, zu sehen, sie heulen auf und stürmen davon. Viele der Kerls fallen hin — ihre Gewehre entladen sich. Die Schüsse vermehren den panischen Schrecken. „Gnade!" heulen die Besoffenen und winden sich am Boden: „Gnade!" Sie strecken ihre Arme einem Richter entgegen, der nicht da ist, greifen in die Luft und brechen wimmernd wieder zusammen. Wer seine Füße beherrscht, setzt über Zäune und Mauern — quer durch den Park und hinein in den Wald. Der Ruf: „Die Kosaken!" jagt sie wie eine Hetzpeitsche vor sich her, dringt überall hin, wandelt jeden Baum, jeden Strauch, jeden Schatten, selbst die Ge¬ nossen im Rücken zu lauernden oder rasenden Rändern. Er dringt auch bis zu dem Wagen auf dem einsamem Waldwege und gellt in das Ohr seiner Lenker. Sich überstürzend springen sie vom Bock und rennen davon, der Wagen¬ schlag fliegt auf und speit zwei weitere Räuber aus. Sie rennen, rennen . . . So geschah es, daß die beiden Barone von der Borke ihren Wagen selber den: Ziele ihrer Fahrt zuführen mußten. Den Weg fanden sie leicht. Ein mächtiger Feuerschein tauchte den Wald in Tageshelle. Sie waren eine Stunde lang von ihren Räubern kreuz und quer durch die Nacht kutschiert worden. Bis der Wind diesen den Jubel ihrer Genossen zutrug und ihnen denselben teuf- lichen Gedanken eingab, den man an Wolff Joachim hatte zur Tat werden lassen: „Die deutschen Hunde sollen ihr Raubnest brennen sehen!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/428>, abgerufen am 19.10.2024.