Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.Zur Sprachkritik systematisch niedergelegt hat, bietet das vorliegende Buch, wie der Untertitel Ein Wörterbuch also, das man nicht nachschlägt, sondern liest, liest wie Inhaltlich müssen wir uns hier darauf beschränken, die Hauptlinien des Zur Sprachkritik systematisch niedergelegt hat, bietet das vorliegende Buch, wie der Untertitel Ein Wörterbuch also, das man nicht nachschlägt, sondern liest, liest wie Inhaltlich müssen wir uns hier darauf beschränken, die Hauptlinien des <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0040" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326210"/> <fw type="header" place="top"> Zur Sprachkritik</fw><lb/> <p xml:id="ID_105" prev="#ID_104"> systematisch niedergelegt hat, bietet das vorliegende Buch, wie der Untertitel<lb/> besagt, „Neue Beiträge." Weil es allenthalben auf diesen systematischen Unter¬<lb/> bau zielt, verleitet die unglückliche lexigraphische Fassung nur zu oft zu Wieder¬<lb/> holungen der programmatischen Hauptsätze. Wie uneigentlich sie gemeint ist,<lb/> geht aus dem beigegebenen Register von sechzehn Seiten hervor, das für ein<lb/> Wörterbuch ein Unikum darstellt.</p><lb/> <p xml:id="ID_106"> Ein Wörterbuch also, das man nicht nachschlägt, sondern liest, liest wie<lb/> eine Biographie. Denn in dem stark subjektiven Einschlag liegt sein beson¬<lb/> derer Reiz, aber auch die Gefahr. Es hat darum nicht an Stimmen gefehlt,<lb/> die ihm die wissenschaftliche Qualität absprachen oder mindestens schwere sach¬<lb/> liche Bedenken erhoben. Von der sprachlichen Seite sowohl wie noch mehr von<lb/> der philosophischen. Aber das Buch ist seltsam. Man knebelt es nicht mit<lb/> Worten und schlägt es nicht tot mit Gründen. Der skeptische Nominalismus<lb/> Mauthners ist so wenig zu widerlegen wie der konsequente Idealismus Berkeleys<lb/> oder Stirners. Und wäre er es, wären auch die sachlichen Einwände im einzelnen<lb/> besser gestützt, als sie gegen eine skeptische Methode gestützt sein können, das<lb/> Buch behielte einen eigenen Wert in den nebenbei gepflückten Gedanken. Aus<lb/> dem Überfluß eines sprühenden Witzes, aus der Belesenheit des kultivierten<lb/> Geistes breitet es vor dem „guten Leser", wie ihn Mauthner verlangt, einen<lb/> unvergänglichen Reichtum aus. Der burschikose Einschlag, der für das Zynische<lb/> von heute charakteristisch ist, läßt leider nicht immer einen literarischen Genuß<lb/> aufkommen, wie er dem delikaten Zynismus Wildes eigen ist. Fein geschliffenen<lb/> Sätzen wie: „Der Mensch ist das fragende Tier" (Seite 98), „Die Philister<lb/> haben seit den Zeiten des Goliath etwas gegen die Duelle" (Seite 209), „Der<lb/> Staat ist der mo^U8 vivencli der argen Menschen" (II 305) stehen Wendungen<lb/> gegenüber wie: „Die Evangelisten hätten von ihren Übersetzern niemals eine<lb/> Tantieme verlangt" (Seite I^V), „Den Herodes überherodesen" (Seite 550).<lb/> Mit dieser litercmschen Absicht seines Stils stellt sich Mauthner ebenso heraus¬<lb/> fordernd außerhalb der Schultradition wie Schopenhauer, mit dem er auch die<lb/> Polemik gegen die „Professorenphilosophie" teilt, doch ohne die Innigkeit seines<lb/> Hasses zu erreichen. Der Verlag hat das Seinige getan, durch die schmucke<lb/> Schlichtheit der Ausstattung, die wir von ihm gewohnt sind, das Buch aus<lb/> dem grauen Elend der Fachpublikationen herauszuheben.</p><lb/> <p xml:id="ID_107"> Inhaltlich müssen wir uns hier darauf beschränken, die Hauptlinien des<lb/> „Systems" aufzuzeigen. Mauthner sagt zwar (II 341): „Ich bin kein Systema¬<lb/> tiker." Aber sein Ruf: „Zurück zu Hume" bleibt ein frommer Wunsch auch<lb/> für ihn, der in seinem Streben nach dogmatischen Zusammenschluß den Deutschen<lb/> nicht verleugnet. „Wenn ich nicht Mauthner wäre, möchte ich Hume sein."<lb/> Zum mindesten macht er von der tragikomischen Inkonsequenz, die jeder Skepsis<lb/> ab ovo anhängt, einen ausgedehnten Gebrauch, d. h. seine Skepsis benötigt<lb/> zu ihren Voraussetzungen ein systematisches Rückgrat, das sie nur für die Kon¬<lb/> sequenzen ablehnt.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0040]
Zur Sprachkritik
systematisch niedergelegt hat, bietet das vorliegende Buch, wie der Untertitel
besagt, „Neue Beiträge." Weil es allenthalben auf diesen systematischen Unter¬
bau zielt, verleitet die unglückliche lexigraphische Fassung nur zu oft zu Wieder¬
holungen der programmatischen Hauptsätze. Wie uneigentlich sie gemeint ist,
geht aus dem beigegebenen Register von sechzehn Seiten hervor, das für ein
Wörterbuch ein Unikum darstellt.
Ein Wörterbuch also, das man nicht nachschlägt, sondern liest, liest wie
eine Biographie. Denn in dem stark subjektiven Einschlag liegt sein beson¬
derer Reiz, aber auch die Gefahr. Es hat darum nicht an Stimmen gefehlt,
die ihm die wissenschaftliche Qualität absprachen oder mindestens schwere sach¬
liche Bedenken erhoben. Von der sprachlichen Seite sowohl wie noch mehr von
der philosophischen. Aber das Buch ist seltsam. Man knebelt es nicht mit
Worten und schlägt es nicht tot mit Gründen. Der skeptische Nominalismus
Mauthners ist so wenig zu widerlegen wie der konsequente Idealismus Berkeleys
oder Stirners. Und wäre er es, wären auch die sachlichen Einwände im einzelnen
besser gestützt, als sie gegen eine skeptische Methode gestützt sein können, das
Buch behielte einen eigenen Wert in den nebenbei gepflückten Gedanken. Aus
dem Überfluß eines sprühenden Witzes, aus der Belesenheit des kultivierten
Geistes breitet es vor dem „guten Leser", wie ihn Mauthner verlangt, einen
unvergänglichen Reichtum aus. Der burschikose Einschlag, der für das Zynische
von heute charakteristisch ist, läßt leider nicht immer einen literarischen Genuß
aufkommen, wie er dem delikaten Zynismus Wildes eigen ist. Fein geschliffenen
Sätzen wie: „Der Mensch ist das fragende Tier" (Seite 98), „Die Philister
haben seit den Zeiten des Goliath etwas gegen die Duelle" (Seite 209), „Der
Staat ist der mo^U8 vivencli der argen Menschen" (II 305) stehen Wendungen
gegenüber wie: „Die Evangelisten hätten von ihren Übersetzern niemals eine
Tantieme verlangt" (Seite I^V), „Den Herodes überherodesen" (Seite 550).
Mit dieser litercmschen Absicht seines Stils stellt sich Mauthner ebenso heraus¬
fordernd außerhalb der Schultradition wie Schopenhauer, mit dem er auch die
Polemik gegen die „Professorenphilosophie" teilt, doch ohne die Innigkeit seines
Hasses zu erreichen. Der Verlag hat das Seinige getan, durch die schmucke
Schlichtheit der Ausstattung, die wir von ihm gewohnt sind, das Buch aus
dem grauen Elend der Fachpublikationen herauszuheben.
Inhaltlich müssen wir uns hier darauf beschränken, die Hauptlinien des
„Systems" aufzuzeigen. Mauthner sagt zwar (II 341): „Ich bin kein Systema¬
tiker." Aber sein Ruf: „Zurück zu Hume" bleibt ein frommer Wunsch auch
für ihn, der in seinem Streben nach dogmatischen Zusammenschluß den Deutschen
nicht verleugnet. „Wenn ich nicht Mauthner wäre, möchte ich Hume sein."
Zum mindesten macht er von der tragikomischen Inkonsequenz, die jeder Skepsis
ab ovo anhängt, einen ausgedehnten Gebrauch, d. h. seine Skepsis benötigt
zu ihren Voraussetzungen ein systematisches Rückgrat, das sie nur für die Kon¬
sequenzen ablehnt.
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