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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Theodor Körner

Charakters; und ein Mensch, der in diesen Umständen diese Zeilen schreiben
kann, ist mir in der Tat ein vortrefflicher und außerordentlicher Mann" (Jena,
22. Oktober 1813: ebenda III, S. 345 f.).

Wir können uns heute*) kaum noch jenen gewaltigen Enthusiasmus, jene
tiefe Begeisterung vorstellen, die im Frühjahr 1813 ganz Preußen durchkosten;
in den Gemütern des geknechteten Volkes hatte sich eine Wut, ein Furor Teu-
tonicus gegen alles Französische aufgespeichert, der auch vor Hinterlist und
Meuchelmord nicht zurückschrecke, wenn dadurch nur einer aus der verhaßten
Brut vertilgt werden konnte. Diese Seite der Freiheitsdichtung verkörpert
Heinrich von Kleist, der leider den Anbruch des neuen Freiheitstages nicht mehr
erleben sollte, wenn er singt:

Theodor Körner empfand dafür das Große, das in dieser Erhebung lag;
die Opfer, die von den: armen und aufgehängten Preußen willig dargebracht
wurden, schienen ihm etwas Hehres, Heiliges; für ihn bedeutete der Kampf
einen Kreuzzug, den Gott selbst wollte. Und ihm war die hohe Aufgabe über¬
tragen, zu diesem Kampfe auch die Säumigsten herbeizurufen, in packenden Ge¬
sängen und flammenden Liedern die Begeisterung immer von neuem zu erwecken
oder in höhnischen, stachlichen Versen die Feigen und Untätigen zu verspotten.
Noch heute, glaube ich, fühlt jeder aus Körners Vaterlandsdichtungen diesen zu
Herzen gehenden Ton heraus, und schwerlich wird es wohl jemand wagen, den
Dichter als "Hurrapatrioten" hinzustellen.

Mit seinen Kampfgesängen steht Körner hoch über der Schar der zeit¬
genössischen Dichter, eines Ernst Moritz Arndt, eines Friedrich Rückert; dieselbe
Begeisterung war ihnen auch eigen, doch mangelte ihnen die dichterische
Begabung, sie gingen zu verstandesgemäß vor, um das auszusprechen, was in
ihnen glühte; ein Max von Schenkendorf wiederum war zu weich veranlagt, um
die fortreißende Wucht und den Rhythmus zu erreichen, wie Körner in "Lützows
wilder verwegener Jagd", im "Aufruf" ("Frisch auf, mein Volk! Die Flammen¬
zeichen rauchen!") oder in "Männer und Buben" ("Das Volk steht auf, der
Sturm bricht los!"). Aber auch dem Lützower standen weiche Klänge zu Gebote;
im Getümmel der Schlacht schaut er voll Gottvertrauen zu dem Vater alles



*) Daß bereits zwanzig Jahre später die Erinnerung an die große Zeit verblaßt war,
zeigt die ungerechte und verständnislose Kritik, die Friedrich Hebbel im Hamburger "Wissen¬
schaftlicher Verein von 1817" des Johanneums an Körners vaterländischen Dichtungen übte
(Hebbels Werke, herausgegeben von Börnstein, II, S. 103 ff.); noch Pfingsten 1836 schrieb er
aus Heidelberg an seinen Freund Franz: "Heinrich von Kleist war, nach Goethe, der größte
Dramatiker, den wir jemals gehabt haben, und schon ist er seit 1811 begraben, und noch
kennen ihn nur wenige seines Volks, während Theodor Körner, dieser elende Strohwisch,
über den ein Wort sagen zu viel sagen heißt, noch immer für ein PüPPchen gilt, aus welchem
ein Herkules hätte werden können" Ebenda II, S. 293).
Theodor Körner

Charakters; und ein Mensch, der in diesen Umständen diese Zeilen schreiben
kann, ist mir in der Tat ein vortrefflicher und außerordentlicher Mann" (Jena,
22. Oktober 1813: ebenda III, S. 345 f.).

Wir können uns heute*) kaum noch jenen gewaltigen Enthusiasmus, jene
tiefe Begeisterung vorstellen, die im Frühjahr 1813 ganz Preußen durchkosten;
in den Gemütern des geknechteten Volkes hatte sich eine Wut, ein Furor Teu-
tonicus gegen alles Französische aufgespeichert, der auch vor Hinterlist und
Meuchelmord nicht zurückschrecke, wenn dadurch nur einer aus der verhaßten
Brut vertilgt werden konnte. Diese Seite der Freiheitsdichtung verkörpert
Heinrich von Kleist, der leider den Anbruch des neuen Freiheitstages nicht mehr
erleben sollte, wenn er singt:

Theodor Körner empfand dafür das Große, das in dieser Erhebung lag;
die Opfer, die von den: armen und aufgehängten Preußen willig dargebracht
wurden, schienen ihm etwas Hehres, Heiliges; für ihn bedeutete der Kampf
einen Kreuzzug, den Gott selbst wollte. Und ihm war die hohe Aufgabe über¬
tragen, zu diesem Kampfe auch die Säumigsten herbeizurufen, in packenden Ge¬
sängen und flammenden Liedern die Begeisterung immer von neuem zu erwecken
oder in höhnischen, stachlichen Versen die Feigen und Untätigen zu verspotten.
Noch heute, glaube ich, fühlt jeder aus Körners Vaterlandsdichtungen diesen zu
Herzen gehenden Ton heraus, und schwerlich wird es wohl jemand wagen, den
Dichter als „Hurrapatrioten" hinzustellen.

Mit seinen Kampfgesängen steht Körner hoch über der Schar der zeit¬
genössischen Dichter, eines Ernst Moritz Arndt, eines Friedrich Rückert; dieselbe
Begeisterung war ihnen auch eigen, doch mangelte ihnen die dichterische
Begabung, sie gingen zu verstandesgemäß vor, um das auszusprechen, was in
ihnen glühte; ein Max von Schenkendorf wiederum war zu weich veranlagt, um
die fortreißende Wucht und den Rhythmus zu erreichen, wie Körner in „Lützows
wilder verwegener Jagd", im „Aufruf" („Frisch auf, mein Volk! Die Flammen¬
zeichen rauchen!") oder in „Männer und Buben" („Das Volk steht auf, der
Sturm bricht los!"). Aber auch dem Lützower standen weiche Klänge zu Gebote;
im Getümmel der Schlacht schaut er voll Gottvertrauen zu dem Vater alles



*) Daß bereits zwanzig Jahre später die Erinnerung an die große Zeit verblaßt war,
zeigt die ungerechte und verständnislose Kritik, die Friedrich Hebbel im Hamburger „Wissen¬
schaftlicher Verein von 1817" des Johanneums an Körners vaterländischen Dichtungen übte
(Hebbels Werke, herausgegeben von Börnstein, II, S. 103 ff.); noch Pfingsten 1836 schrieb er
aus Heidelberg an seinen Freund Franz: „Heinrich von Kleist war, nach Goethe, der größte
Dramatiker, den wir jemals gehabt haben, und schon ist er seit 1811 begraben, und noch
kennen ihn nur wenige seines Volks, während Theodor Körner, dieser elende Strohwisch,
über den ein Wort sagen zu viel sagen heißt, noch immer für ein PüPPchen gilt, aus welchem
ein Herkules hätte werden können" Ebenda II, S. 293).
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[0386] Theodor Körner Charakters; und ein Mensch, der in diesen Umständen diese Zeilen schreiben kann, ist mir in der Tat ein vortrefflicher und außerordentlicher Mann" (Jena, 22. Oktober 1813: ebenda III, S. 345 f.). Wir können uns heute*) kaum noch jenen gewaltigen Enthusiasmus, jene tiefe Begeisterung vorstellen, die im Frühjahr 1813 ganz Preußen durchkosten; in den Gemütern des geknechteten Volkes hatte sich eine Wut, ein Furor Teu- tonicus gegen alles Französische aufgespeichert, der auch vor Hinterlist und Meuchelmord nicht zurückschrecke, wenn dadurch nur einer aus der verhaßten Brut vertilgt werden konnte. Diese Seite der Freiheitsdichtung verkörpert Heinrich von Kleist, der leider den Anbruch des neuen Freiheitstages nicht mehr erleben sollte, wenn er singt: Theodor Körner empfand dafür das Große, das in dieser Erhebung lag; die Opfer, die von den: armen und aufgehängten Preußen willig dargebracht wurden, schienen ihm etwas Hehres, Heiliges; für ihn bedeutete der Kampf einen Kreuzzug, den Gott selbst wollte. Und ihm war die hohe Aufgabe über¬ tragen, zu diesem Kampfe auch die Säumigsten herbeizurufen, in packenden Ge¬ sängen und flammenden Liedern die Begeisterung immer von neuem zu erwecken oder in höhnischen, stachlichen Versen die Feigen und Untätigen zu verspotten. Noch heute, glaube ich, fühlt jeder aus Körners Vaterlandsdichtungen diesen zu Herzen gehenden Ton heraus, und schwerlich wird es wohl jemand wagen, den Dichter als „Hurrapatrioten" hinzustellen. Mit seinen Kampfgesängen steht Körner hoch über der Schar der zeit¬ genössischen Dichter, eines Ernst Moritz Arndt, eines Friedrich Rückert; dieselbe Begeisterung war ihnen auch eigen, doch mangelte ihnen die dichterische Begabung, sie gingen zu verstandesgemäß vor, um das auszusprechen, was in ihnen glühte; ein Max von Schenkendorf wiederum war zu weich veranlagt, um die fortreißende Wucht und den Rhythmus zu erreichen, wie Körner in „Lützows wilder verwegener Jagd", im „Aufruf" („Frisch auf, mein Volk! Die Flammen¬ zeichen rauchen!") oder in „Männer und Buben" („Das Volk steht auf, der Sturm bricht los!"). Aber auch dem Lützower standen weiche Klänge zu Gebote; im Getümmel der Schlacht schaut er voll Gottvertrauen zu dem Vater alles *) Daß bereits zwanzig Jahre später die Erinnerung an die große Zeit verblaßt war, zeigt die ungerechte und verständnislose Kritik, die Friedrich Hebbel im Hamburger „Wissen¬ schaftlicher Verein von 1817" des Johanneums an Körners vaterländischen Dichtungen übte (Hebbels Werke, herausgegeben von Börnstein, II, S. 103 ff.); noch Pfingsten 1836 schrieb er aus Heidelberg an seinen Freund Franz: „Heinrich von Kleist war, nach Goethe, der größte Dramatiker, den wir jemals gehabt haben, und schon ist er seit 1811 begraben, und noch kennen ihn nur wenige seines Volks, während Theodor Körner, dieser elende Strohwisch, über den ein Wort sagen zu viel sagen heißt, noch immer für ein PüPPchen gilt, aus welchem ein Herkules hätte werden können" Ebenda II, S. 293).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/386>, abgerufen am 28.12.2024.