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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

der Landstraße hielt er für einen Räuber, und hinter jeder Heusade vermutete
er Wegelagerer. Dabei diese lächerliche Sorge um seine Pappschachtel, als ob
seine Bildchen die kostbarsten Meisterwerke wären!"

In solchen Gedanken überwachte sie selbst die Unterbringung des Gespanns,
das auf dem Bahnhof zurückbleiben sollte, und sorgte mit Umsicht und Interesse
dafür, daß die Pferde abgerieben und gefüttert wurden.

Wahrhaftig -- in dieser Stunde fühlte sie es ganz besonders: sie war eine
andere geworden. Ihr Herz hatte in der Heimat Wurzel geschlagen. Und
sehnsüchtig blickte sie in der Richtung auf Borküll.




"Selbst die Pferde wollen nicht mehr," dachte der alte Maddis, als er die
beiden Barone von der Borke nach Hause kutschierte. In seiner Unruhe ging
ihm die Fahrt zu langsam und er brauchte die Peitsche mehr, als die Pferde
von ihm gewöhnt waren.

Baron Alexander wischte die beschlagene Seite des Coupöfensters mit dem
Rücken des Handschuhs ab und warf einen Blick in die regenfeuchte Dämmerung
draußen.

"Zweck hat es kaum, daß wir uns in diesen Nebel begeben haben. Aber
es wäre selbstverständlich eine Geschmacklosigkeit, wenn wir da unten in der
Sonne geblieben wären, während man die anderen hier abschlachtet. Die
Geschichte vorhin gibt mir zu denken. Früher ließ sich so ein Bauernmädel
ohne weiteres spazieren fahren und noch dazu bei diesem Regen. Es geht da
was vor. ..."

Baron Alexander schnoberte indigniert in die Luft, die schwer und drückend
den Wagen erfüllte. "Tante Emerenzias Riechfläschchen und Mamas Parfüm --
keine gute Mischung! Hätte ich doch bloß meine Zigaretten mitgenommen!"

Die Kutsche hielt. Laute Rufe -- die Tür flog auf:

"Da haben wir die anderen zwei!" brüllte jemand. Geschwärzte Gesichter
drängten sich um den Schlag und einer der Kerle sagte mit höhnischer Ver¬
beugung :

"Kommen Sie heraus, meine Herren. Bei dieser Dunkelheit können wir
Sie ja gar nicht sehen!"

Der alte Baron wandte sich noch einmal zu seinem Sohn: "I^orne ma-
^sure! Kien ne va plus -- en avant mon Ms!" Sie stiegen aus.

"Hat einer von Ihnen eine Zigarette bei sich?" Baron Alexander blickte
gelassen im Kreise herum. "Eine Zigarette meine ich. Ich habe meine vergessen!"

"Gebt ihm eine Papyrus!" sagte eine Stimme aus dem Hintergrund. Die
Kerls waren von der Ruhe ihrer Gefangenen sichtlich betroffen. Selbst der
Spottvogel, der die Barone zum Aussteinen genötigt hatte, verlor die freche
Tonart. Er griff in die Tasche und hielt sein Kästchen hin.
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Sturm

der Landstraße hielt er für einen Räuber, und hinter jeder Heusade vermutete
er Wegelagerer. Dabei diese lächerliche Sorge um seine Pappschachtel, als ob
seine Bildchen die kostbarsten Meisterwerke wären!"

In solchen Gedanken überwachte sie selbst die Unterbringung des Gespanns,
das auf dem Bahnhof zurückbleiben sollte, und sorgte mit Umsicht und Interesse
dafür, daß die Pferde abgerieben und gefüttert wurden.

Wahrhaftig — in dieser Stunde fühlte sie es ganz besonders: sie war eine
andere geworden. Ihr Herz hatte in der Heimat Wurzel geschlagen. Und
sehnsüchtig blickte sie in der Richtung auf Borküll.




„Selbst die Pferde wollen nicht mehr," dachte der alte Maddis, als er die
beiden Barone von der Borke nach Hause kutschierte. In seiner Unruhe ging
ihm die Fahrt zu langsam und er brauchte die Peitsche mehr, als die Pferde
von ihm gewöhnt waren.

Baron Alexander wischte die beschlagene Seite des Coupöfensters mit dem
Rücken des Handschuhs ab und warf einen Blick in die regenfeuchte Dämmerung
draußen.

„Zweck hat es kaum, daß wir uns in diesen Nebel begeben haben. Aber
es wäre selbstverständlich eine Geschmacklosigkeit, wenn wir da unten in der
Sonne geblieben wären, während man die anderen hier abschlachtet. Die
Geschichte vorhin gibt mir zu denken. Früher ließ sich so ein Bauernmädel
ohne weiteres spazieren fahren und noch dazu bei diesem Regen. Es geht da
was vor. ..."

Baron Alexander schnoberte indigniert in die Luft, die schwer und drückend
den Wagen erfüllte. „Tante Emerenzias Riechfläschchen und Mamas Parfüm —
keine gute Mischung! Hätte ich doch bloß meine Zigaretten mitgenommen!"

Die Kutsche hielt. Laute Rufe — die Tür flog auf:

„Da haben wir die anderen zwei!" brüllte jemand. Geschwärzte Gesichter
drängten sich um den Schlag und einer der Kerle sagte mit höhnischer Ver¬
beugung :

„Kommen Sie heraus, meine Herren. Bei dieser Dunkelheit können wir
Sie ja gar nicht sehen!"

Der alte Baron wandte sich noch einmal zu seinem Sohn: „I^orne ma-
^sure! Kien ne va plus — en avant mon Ms!" Sie stiegen aus.

„Hat einer von Ihnen eine Zigarette bei sich?" Baron Alexander blickte
gelassen im Kreise herum. „Eine Zigarette meine ich. Ich habe meine vergessen!"

„Gebt ihm eine Papyrus!" sagte eine Stimme aus dem Hintergrund. Die
Kerls waren von der Ruhe ihrer Gefangenen sichtlich betroffen. Selbst der
Spottvogel, der die Barone zum Aussteinen genötigt hatte, verlor die freche
Tonart. Er griff in die Tasche und hielt sein Kästchen hin.
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[0383] Sturm der Landstraße hielt er für einen Räuber, und hinter jeder Heusade vermutete er Wegelagerer. Dabei diese lächerliche Sorge um seine Pappschachtel, als ob seine Bildchen die kostbarsten Meisterwerke wären!" In solchen Gedanken überwachte sie selbst die Unterbringung des Gespanns, das auf dem Bahnhof zurückbleiben sollte, und sorgte mit Umsicht und Interesse dafür, daß die Pferde abgerieben und gefüttert wurden. Wahrhaftig — in dieser Stunde fühlte sie es ganz besonders: sie war eine andere geworden. Ihr Herz hatte in der Heimat Wurzel geschlagen. Und sehnsüchtig blickte sie in der Richtung auf Borküll. „Selbst die Pferde wollen nicht mehr," dachte der alte Maddis, als er die beiden Barone von der Borke nach Hause kutschierte. In seiner Unruhe ging ihm die Fahrt zu langsam und er brauchte die Peitsche mehr, als die Pferde von ihm gewöhnt waren. Baron Alexander wischte die beschlagene Seite des Coupöfensters mit dem Rücken des Handschuhs ab und warf einen Blick in die regenfeuchte Dämmerung draußen. „Zweck hat es kaum, daß wir uns in diesen Nebel begeben haben. Aber es wäre selbstverständlich eine Geschmacklosigkeit, wenn wir da unten in der Sonne geblieben wären, während man die anderen hier abschlachtet. Die Geschichte vorhin gibt mir zu denken. Früher ließ sich so ein Bauernmädel ohne weiteres spazieren fahren und noch dazu bei diesem Regen. Es geht da was vor. ..." Baron Alexander schnoberte indigniert in die Luft, die schwer und drückend den Wagen erfüllte. „Tante Emerenzias Riechfläschchen und Mamas Parfüm — keine gute Mischung! Hätte ich doch bloß meine Zigaretten mitgenommen!" Die Kutsche hielt. Laute Rufe — die Tür flog auf: „Da haben wir die anderen zwei!" brüllte jemand. Geschwärzte Gesichter drängten sich um den Schlag und einer der Kerle sagte mit höhnischer Ver¬ beugung : „Kommen Sie heraus, meine Herren. Bei dieser Dunkelheit können wir Sie ja gar nicht sehen!" Der alte Baron wandte sich noch einmal zu seinem Sohn: „I^orne ma- ^sure! Kien ne va plus — en avant mon Ms!" Sie stiegen aus. „Hat einer von Ihnen eine Zigarette bei sich?" Baron Alexander blickte gelassen im Kreise herum. „Eine Zigarette meine ich. Ich habe meine vergessen!" „Gebt ihm eine Papyrus!" sagte eine Stimme aus dem Hintergrund. Die Kerls waren von der Ruhe ihrer Gefangenen sichtlich betroffen. Selbst der Spottvogel, der die Barone zum Aussteinen genötigt hatte, verlor die freche Tonart. Er griff in die Tasche und hielt sein Kästchen hin. »u* 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/383>, abgerufen am 20.10.2024.