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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Zur Geschichte des staatsbürgerlichen Unterrichts

werden muß, erscheint heute im Staate des allgemeinen Wahlrechts erst recht
dringend.

Es ist ein gutes Zeichen für den Ernst und das Pflichtbewußtsein, das im
deutschen Volke und besonders in seinen natürlichen Führern und seinen Erziehern
lebt, wenn alsbald, nachdem diese Notwendigkeit klar erkannt woroen war, die
öffentliche Debatte mit einem Eifer eingesetzt hat, wie man ihn selten beobachten
kann. Der Deutsche will auch hier gründliche Arbeit tun, und wie uicht anders
zu erwarten, prallen die Ansichten mit Heftigkeit aufeinander. Doch ist es jetzt
schon deutlich, daß nicht mehr das Ob, sondern nur das Wie und das Wieviel
zur Besprechung steht*).

Das eine steht jedenfalls heute fest -- und damit schreiten wir bewußt über
die meisten der früheren Ansichten hinweg --, daß "die enge intellektualistische
Erziehungsaufgabe, die sich mit bürgerkundlicher Belehrung gleichsetzte, in der
Literatur wenigstens als überwunden angesehen werden kann" (Messer). Neben
das politische Wissen muß die Gewöhnung an politisches Denken und die Er¬
ziehung zu politischem Wollen treten. "Das politische Verantwortlichkeitsgefühl.
auch jedes einzelnen, ist die schönste und reichste Frucht der politischen Bildung"
(Rühlmann).

Das Ziel ist heute klarer erfaßt als in früheren Zeiten; über die Wege
zu diesem Ziel ist noch mehr Klarheit zu gewinnen. Daß nicht nur Elternhaus
und Schule, sondern auch Universität und Heer, Jugendverein und Turnerei
zusammenwirken müssen, scheint unerläßlich. Das Wichtigste aber wird hier
wie in allen Dingen der Erziehung nicht mit äußerlichen Gebärden kommen
müssen: im Herzen des jungen Deutschen muß der Ernst der nationalen Auf¬
gabe keimen. Deutsch sein verpflichtet.





*) Die Besprechung über die Fragen der staatsbürgerlichen Erziehungstätigkeit hat sich
seit 1911 ein eigenes Organ geschaffen, die zweimonatlich erscheinende Zeitschrift "Vergangen¬
heit und Gegenwart", Zeitschrift für den Geschichtsunterricht und staatsbürgerliche Erziehung
in allen Schulgattungen, herausgegeben von Fr. Friederich und Paul Rühlmann. (Leipzig
und Berlin, Teubner, jetzt im dritten Jahrgang erscheinend.) In ihr werden durch theore¬
tische Darlegungen und Praktische Erfahrungen aus den Schulen in oft ausgezeichneter Weise
die hier einschlägigen Fragen behandelt. Einen guten Einblick in die gegenwärtigen Erörte¬
rungen gibt auch das Schriftchen "staatsbürgerliche Erziehung durch Schulen und Hoch¬
schulen", ein Bericht, herausgegeben von dem Verein "Recht und Wirtschaft" und der
"Vereinigung für staatsbürgerliche Bildung und Erziehung". (Hannover 1913, Helwing.)
Die gerade auf dem vorliegenden Gebiete deutlichen Ähnlichkeiten unserer Zeit mit dem Auf¬
klärungszeitalter betont mit Recht W. Pätzold ("Deutsche Nationalerziehung in der Volksschule",,
Leipzig und Berlin, 1913, Jul. Klinkhardt), doch ist er der Gefahr nicht entgangen, bei seinen.
Reformvorschlägen einseitig das Wirtschaftliche zu betonen.
Zur Geschichte des staatsbürgerlichen Unterrichts

werden muß, erscheint heute im Staate des allgemeinen Wahlrechts erst recht
dringend.

Es ist ein gutes Zeichen für den Ernst und das Pflichtbewußtsein, das im
deutschen Volke und besonders in seinen natürlichen Führern und seinen Erziehern
lebt, wenn alsbald, nachdem diese Notwendigkeit klar erkannt woroen war, die
öffentliche Debatte mit einem Eifer eingesetzt hat, wie man ihn selten beobachten
kann. Der Deutsche will auch hier gründliche Arbeit tun, und wie uicht anders
zu erwarten, prallen die Ansichten mit Heftigkeit aufeinander. Doch ist es jetzt
schon deutlich, daß nicht mehr das Ob, sondern nur das Wie und das Wieviel
zur Besprechung steht*).

Das eine steht jedenfalls heute fest — und damit schreiten wir bewußt über
die meisten der früheren Ansichten hinweg —, daß „die enge intellektualistische
Erziehungsaufgabe, die sich mit bürgerkundlicher Belehrung gleichsetzte, in der
Literatur wenigstens als überwunden angesehen werden kann" (Messer). Neben
das politische Wissen muß die Gewöhnung an politisches Denken und die Er¬
ziehung zu politischem Wollen treten. „Das politische Verantwortlichkeitsgefühl.
auch jedes einzelnen, ist die schönste und reichste Frucht der politischen Bildung"
(Rühlmann).

Das Ziel ist heute klarer erfaßt als in früheren Zeiten; über die Wege
zu diesem Ziel ist noch mehr Klarheit zu gewinnen. Daß nicht nur Elternhaus
und Schule, sondern auch Universität und Heer, Jugendverein und Turnerei
zusammenwirken müssen, scheint unerläßlich. Das Wichtigste aber wird hier
wie in allen Dingen der Erziehung nicht mit äußerlichen Gebärden kommen
müssen: im Herzen des jungen Deutschen muß der Ernst der nationalen Auf¬
gabe keimen. Deutsch sein verpflichtet.





*) Die Besprechung über die Fragen der staatsbürgerlichen Erziehungstätigkeit hat sich
seit 1911 ein eigenes Organ geschaffen, die zweimonatlich erscheinende Zeitschrift „Vergangen¬
heit und Gegenwart", Zeitschrift für den Geschichtsunterricht und staatsbürgerliche Erziehung
in allen Schulgattungen, herausgegeben von Fr. Friederich und Paul Rühlmann. (Leipzig
und Berlin, Teubner, jetzt im dritten Jahrgang erscheinend.) In ihr werden durch theore¬
tische Darlegungen und Praktische Erfahrungen aus den Schulen in oft ausgezeichneter Weise
die hier einschlägigen Fragen behandelt. Einen guten Einblick in die gegenwärtigen Erörte¬
rungen gibt auch das Schriftchen „staatsbürgerliche Erziehung durch Schulen und Hoch¬
schulen", ein Bericht, herausgegeben von dem Verein „Recht und Wirtschaft" und der
„Vereinigung für staatsbürgerliche Bildung und Erziehung". (Hannover 1913, Helwing.)
Die gerade auf dem vorliegenden Gebiete deutlichen Ähnlichkeiten unserer Zeit mit dem Auf¬
klärungszeitalter betont mit Recht W. Pätzold („Deutsche Nationalerziehung in der Volksschule",,
Leipzig und Berlin, 1913, Jul. Klinkhardt), doch ist er der Gefahr nicht entgangen, bei seinen.
Reformvorschlägen einseitig das Wirtschaftliche zu betonen.
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[0366] Zur Geschichte des staatsbürgerlichen Unterrichts werden muß, erscheint heute im Staate des allgemeinen Wahlrechts erst recht dringend. Es ist ein gutes Zeichen für den Ernst und das Pflichtbewußtsein, das im deutschen Volke und besonders in seinen natürlichen Führern und seinen Erziehern lebt, wenn alsbald, nachdem diese Notwendigkeit klar erkannt woroen war, die öffentliche Debatte mit einem Eifer eingesetzt hat, wie man ihn selten beobachten kann. Der Deutsche will auch hier gründliche Arbeit tun, und wie uicht anders zu erwarten, prallen die Ansichten mit Heftigkeit aufeinander. Doch ist es jetzt schon deutlich, daß nicht mehr das Ob, sondern nur das Wie und das Wieviel zur Besprechung steht*). Das eine steht jedenfalls heute fest — und damit schreiten wir bewußt über die meisten der früheren Ansichten hinweg —, daß „die enge intellektualistische Erziehungsaufgabe, die sich mit bürgerkundlicher Belehrung gleichsetzte, in der Literatur wenigstens als überwunden angesehen werden kann" (Messer). Neben das politische Wissen muß die Gewöhnung an politisches Denken und die Er¬ ziehung zu politischem Wollen treten. „Das politische Verantwortlichkeitsgefühl. auch jedes einzelnen, ist die schönste und reichste Frucht der politischen Bildung" (Rühlmann). Das Ziel ist heute klarer erfaßt als in früheren Zeiten; über die Wege zu diesem Ziel ist noch mehr Klarheit zu gewinnen. Daß nicht nur Elternhaus und Schule, sondern auch Universität und Heer, Jugendverein und Turnerei zusammenwirken müssen, scheint unerläßlich. Das Wichtigste aber wird hier wie in allen Dingen der Erziehung nicht mit äußerlichen Gebärden kommen müssen: im Herzen des jungen Deutschen muß der Ernst der nationalen Auf¬ gabe keimen. Deutsch sein verpflichtet. *) Die Besprechung über die Fragen der staatsbürgerlichen Erziehungstätigkeit hat sich seit 1911 ein eigenes Organ geschaffen, die zweimonatlich erscheinende Zeitschrift „Vergangen¬ heit und Gegenwart", Zeitschrift für den Geschichtsunterricht und staatsbürgerliche Erziehung in allen Schulgattungen, herausgegeben von Fr. Friederich und Paul Rühlmann. (Leipzig und Berlin, Teubner, jetzt im dritten Jahrgang erscheinend.) In ihr werden durch theore¬ tische Darlegungen und Praktische Erfahrungen aus den Schulen in oft ausgezeichneter Weise die hier einschlägigen Fragen behandelt. Einen guten Einblick in die gegenwärtigen Erörte¬ rungen gibt auch das Schriftchen „staatsbürgerliche Erziehung durch Schulen und Hoch¬ schulen", ein Bericht, herausgegeben von dem Verein „Recht und Wirtschaft" und der „Vereinigung für staatsbürgerliche Bildung und Erziehung". (Hannover 1913, Helwing.) Die gerade auf dem vorliegenden Gebiete deutlichen Ähnlichkeiten unserer Zeit mit dem Auf¬ klärungszeitalter betont mit Recht W. Pätzold („Deutsche Nationalerziehung in der Volksschule",, Leipzig und Berlin, 1913, Jul. Klinkhardt), doch ist er der Gefahr nicht entgangen, bei seinen. Reformvorschlägen einseitig das Wirtschaftliche zu betonen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/366>, abgerufen am 28.12.2024.