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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Amerikanische Diplomaten

Der Übergang vom ungehobelten ex lux"rovi8o-Diplomaten zu dem Tyus
Andrew D. White, David I. Hill und anscheinend auch I. W. Gerard hat
sich natürlich nicht über Nacht vollzogen. Es wäre überhaupt ein schwerer
Fehler, anzunehmen, daß alle amerikanischen Gesandten der ersten hundert Jahre
minderwertige Spießbürger und schlecht erzogene Bezirkspolitiker gewesen wären.
Es läßt sich sogar behaupten, daß dieses Element in der langen Reihe der
amerikanischen Gesandten stark in der Minderheit war; freilich waren sie zahl¬
reich genug, um in Europa ein sich allmählich festwurzelndes Vorurteil gegen
die Vertreter der amerikanischen Diplomatie hervorzurufen. Dieses Vorurteil
erhielt gelegentlich neue Nahrung durch unliebsame Vorfälle, die ein eigentüm¬
liches Licht auf das Verhalten des Washingtoner Auswärtigen Amtes gegen¬
über seinen eigenen Gesandten warfen. Es kam mehr als einmal vor, daß
Intrigen, die ihren Ursprung in innerpolitischen Rivalitäten hatten, die Ab¬
berufung eines amerikanischen Gesandten herbeiführten oder ihn zu vorzeitiger
Demission veranlaßten. Der bekannteste Fall ist der des Historikers John Lothrop
Motley, dem dies zweimal widerfuhr. Das erste Mal als er Gesandter in Wien
war (1861 bis 1867). Der Präsident Andrew Johnson, ein roher und
ungeschliffener Mann, der jeden feingebildeten Menschen instinktiv haßte, ergriff
einen geradezu unglaublichen Anlaß, um dem bedeutenden Geschichtsschreiber
eine Demütigung zuzufügen. Er erhielt im Oktober 1866 aus Paris einen
Brief, der angeblich von einem gewissen Me. Crackin geschrieben war und in
welchem Motley gröblich angegriffen wurde. Ohne sich auch nur von der
Identität dieses Me. Crackin zu überzeugen, übergab Johnson den Brief dem Staats¬
sekretär Seward und ließ deutlich durchblicken, daß ihm eine Maßregelung
Motleys erwünscht wäre. Seward ging bedauerlicherweise auf dieses Ansinnen
ein und wollte den Gesandten wegen der ihm von Me. Crackin angedichteten
Ungehörigkeiten (Motley sollte öffentlich auf den Präsidenten Johnson geschimpft
haben) zur Rechenschaft ziehen. Der Gesandte kam der ihm drohenden Abberufung
durch freiwillige Demission zuvor. Im Frühjahr 1869 wurde Motley vom
Präsidenten Grant nach London geschickt, aber schon im Dezember 1870 wieder
abberufen. Als Grund für diese nochmalige Maßregelung wurde offiziell an¬
gegeben, Motley habe die Instruktionen des Staatssekretärs Fish in bezug auf
die Alabama-Angelegenheit nicht genau ausgeführt; in Wirklichkeit wollte Grant
durch die Abberufung Motleys Rache an dem Staatsmanne Summer nehmen,
dem Gönner und Freunde Motleys, da Summer (wie auch Carl Schurz) dem
Plane des Präsidenten, Santo Domingo zu annektieren, lebhaften Widerstand
entgegensetzte. Wie zum Hohne ernannte Grant als Nachfolger Motleys einen
gewissen Robert C. Schenck (einen Amerikaner holländischer Abkunft), dessen
nationale Verdienste in der Abfassung eines Lehrbuches über -- das Pokerspiel
bestanden.

Motley war bekanntlich seit seinen Jugendjahren ein Intimus Bismarcks,
den er 1832 in Göttingen kennen gelernt hatte. Als der berühmte Historiker
George Bancroft, der die Vereinigten Staaten von 1867 bis 1874 in Berlin


Amerikanische Diplomaten

Der Übergang vom ungehobelten ex lux»rovi8o-Diplomaten zu dem Tyus
Andrew D. White, David I. Hill und anscheinend auch I. W. Gerard hat
sich natürlich nicht über Nacht vollzogen. Es wäre überhaupt ein schwerer
Fehler, anzunehmen, daß alle amerikanischen Gesandten der ersten hundert Jahre
minderwertige Spießbürger und schlecht erzogene Bezirkspolitiker gewesen wären.
Es läßt sich sogar behaupten, daß dieses Element in der langen Reihe der
amerikanischen Gesandten stark in der Minderheit war; freilich waren sie zahl¬
reich genug, um in Europa ein sich allmählich festwurzelndes Vorurteil gegen
die Vertreter der amerikanischen Diplomatie hervorzurufen. Dieses Vorurteil
erhielt gelegentlich neue Nahrung durch unliebsame Vorfälle, die ein eigentüm¬
liches Licht auf das Verhalten des Washingtoner Auswärtigen Amtes gegen¬
über seinen eigenen Gesandten warfen. Es kam mehr als einmal vor, daß
Intrigen, die ihren Ursprung in innerpolitischen Rivalitäten hatten, die Ab¬
berufung eines amerikanischen Gesandten herbeiführten oder ihn zu vorzeitiger
Demission veranlaßten. Der bekannteste Fall ist der des Historikers John Lothrop
Motley, dem dies zweimal widerfuhr. Das erste Mal als er Gesandter in Wien
war (1861 bis 1867). Der Präsident Andrew Johnson, ein roher und
ungeschliffener Mann, der jeden feingebildeten Menschen instinktiv haßte, ergriff
einen geradezu unglaublichen Anlaß, um dem bedeutenden Geschichtsschreiber
eine Demütigung zuzufügen. Er erhielt im Oktober 1866 aus Paris einen
Brief, der angeblich von einem gewissen Me. Crackin geschrieben war und in
welchem Motley gröblich angegriffen wurde. Ohne sich auch nur von der
Identität dieses Me. Crackin zu überzeugen, übergab Johnson den Brief dem Staats¬
sekretär Seward und ließ deutlich durchblicken, daß ihm eine Maßregelung
Motleys erwünscht wäre. Seward ging bedauerlicherweise auf dieses Ansinnen
ein und wollte den Gesandten wegen der ihm von Me. Crackin angedichteten
Ungehörigkeiten (Motley sollte öffentlich auf den Präsidenten Johnson geschimpft
haben) zur Rechenschaft ziehen. Der Gesandte kam der ihm drohenden Abberufung
durch freiwillige Demission zuvor. Im Frühjahr 1869 wurde Motley vom
Präsidenten Grant nach London geschickt, aber schon im Dezember 1870 wieder
abberufen. Als Grund für diese nochmalige Maßregelung wurde offiziell an¬
gegeben, Motley habe die Instruktionen des Staatssekretärs Fish in bezug auf
die Alabama-Angelegenheit nicht genau ausgeführt; in Wirklichkeit wollte Grant
durch die Abberufung Motleys Rache an dem Staatsmanne Summer nehmen,
dem Gönner und Freunde Motleys, da Summer (wie auch Carl Schurz) dem
Plane des Präsidenten, Santo Domingo zu annektieren, lebhaften Widerstand
entgegensetzte. Wie zum Hohne ernannte Grant als Nachfolger Motleys einen
gewissen Robert C. Schenck (einen Amerikaner holländischer Abkunft), dessen
nationale Verdienste in der Abfassung eines Lehrbuches über — das Pokerspiel
bestanden.

Motley war bekanntlich seit seinen Jugendjahren ein Intimus Bismarcks,
den er 1832 in Göttingen kennen gelernt hatte. Als der berühmte Historiker
George Bancroft, der die Vereinigten Staaten von 1867 bis 1874 in Berlin


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[0353] Amerikanische Diplomaten Der Übergang vom ungehobelten ex lux»rovi8o-Diplomaten zu dem Tyus Andrew D. White, David I. Hill und anscheinend auch I. W. Gerard hat sich natürlich nicht über Nacht vollzogen. Es wäre überhaupt ein schwerer Fehler, anzunehmen, daß alle amerikanischen Gesandten der ersten hundert Jahre minderwertige Spießbürger und schlecht erzogene Bezirkspolitiker gewesen wären. Es läßt sich sogar behaupten, daß dieses Element in der langen Reihe der amerikanischen Gesandten stark in der Minderheit war; freilich waren sie zahl¬ reich genug, um in Europa ein sich allmählich festwurzelndes Vorurteil gegen die Vertreter der amerikanischen Diplomatie hervorzurufen. Dieses Vorurteil erhielt gelegentlich neue Nahrung durch unliebsame Vorfälle, die ein eigentüm¬ liches Licht auf das Verhalten des Washingtoner Auswärtigen Amtes gegen¬ über seinen eigenen Gesandten warfen. Es kam mehr als einmal vor, daß Intrigen, die ihren Ursprung in innerpolitischen Rivalitäten hatten, die Ab¬ berufung eines amerikanischen Gesandten herbeiführten oder ihn zu vorzeitiger Demission veranlaßten. Der bekannteste Fall ist der des Historikers John Lothrop Motley, dem dies zweimal widerfuhr. Das erste Mal als er Gesandter in Wien war (1861 bis 1867). Der Präsident Andrew Johnson, ein roher und ungeschliffener Mann, der jeden feingebildeten Menschen instinktiv haßte, ergriff einen geradezu unglaublichen Anlaß, um dem bedeutenden Geschichtsschreiber eine Demütigung zuzufügen. Er erhielt im Oktober 1866 aus Paris einen Brief, der angeblich von einem gewissen Me. Crackin geschrieben war und in welchem Motley gröblich angegriffen wurde. Ohne sich auch nur von der Identität dieses Me. Crackin zu überzeugen, übergab Johnson den Brief dem Staats¬ sekretär Seward und ließ deutlich durchblicken, daß ihm eine Maßregelung Motleys erwünscht wäre. Seward ging bedauerlicherweise auf dieses Ansinnen ein und wollte den Gesandten wegen der ihm von Me. Crackin angedichteten Ungehörigkeiten (Motley sollte öffentlich auf den Präsidenten Johnson geschimpft haben) zur Rechenschaft ziehen. Der Gesandte kam der ihm drohenden Abberufung durch freiwillige Demission zuvor. Im Frühjahr 1869 wurde Motley vom Präsidenten Grant nach London geschickt, aber schon im Dezember 1870 wieder abberufen. Als Grund für diese nochmalige Maßregelung wurde offiziell an¬ gegeben, Motley habe die Instruktionen des Staatssekretärs Fish in bezug auf die Alabama-Angelegenheit nicht genau ausgeführt; in Wirklichkeit wollte Grant durch die Abberufung Motleys Rache an dem Staatsmanne Summer nehmen, dem Gönner und Freunde Motleys, da Summer (wie auch Carl Schurz) dem Plane des Präsidenten, Santo Domingo zu annektieren, lebhaften Widerstand entgegensetzte. Wie zum Hohne ernannte Grant als Nachfolger Motleys einen gewissen Robert C. Schenck (einen Amerikaner holländischer Abkunft), dessen nationale Verdienste in der Abfassung eines Lehrbuches über — das Pokerspiel bestanden. Motley war bekanntlich seit seinen Jugendjahren ein Intimus Bismarcks, den er 1832 in Göttingen kennen gelernt hatte. Als der berühmte Historiker George Bancroft, der die Vereinigten Staaten von 1867 bis 1874 in Berlin

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/353>, abgerufen am 29.12.2024.