Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Menschensparkassc

gegenüber: die eine behauptete, daß die sogenannte .natürliche' Lebensdauer des
Menschen eine viel längere sei, als die tatsächliche Dauer des Menschenlebens
sowohl im Durchschnitt als auch selbst in den Maximis war, die man zur da¬
maligen Zeit feststellen konnte. Sie wissen, daß der russische Gelehrte am
Pasteur-Institut Elias Metschnikow als Ursache dieser Erscheinung die Tatsache
glaubte anführen zu können, daß das menschliche Leben fast nie in einem natür¬
lichen Alter und einem natürlichen Tode seinen Abschluß finde, sondern daß
Alter und Tod meist als pathologische Erscheinungen aufträten. Vor allem
wurde nach Melschnikows Ansicht der .pathologische' Tod in zahlreichen -- allzu
zahlreichen! -- Fällen durch eine chronische Selbstvergiftung herbeigeführt,
indem die Darmmikroben, die in den Därmen der Menschen bekanntlich stets zu
Billionen vorhanden sind, in einer Weise überwuchern, die schließlich dem
Organismus verhängnisvoll werden muß. Metschnikow glaubte, daß es grund¬
sätzlich möglich sei, diesem Prozeß des Überwucherns der Darmmikroben durch
Einführung von anderen Mikroben entgegenzuwirken, die jene ersten bekämpfen
und teilweise vernichten. Er hielt die Aufnahme des sogenaunten bacillus bul-
Mricus bei den Kuren mit saurer Milch oder Joghurt für ein geeignetes Mittel
zu genanntem Zweck. Metschnikow legte seiner Hypothese nicht nur eine bio¬
logische, sondern darüber hinaus eine allgemein philosophische Bedeutung bei.

Er gelangte durch sie zu der optimistischen Weltanschauung, welche es grund¬
sätzlich sür möglich hält, die große Disharmonie, die in Gestalt des Krankheits-
todes unser Leben durchspaltet, zu beseitigen und das Menschenleben bis zu seinem
"natürlichen" Tode in sehr, sehr hohem Alter hin auszudehnen. Der natürliche
Tod aber ist nichts, was den Menschen schreckt, sondern etwas, was er herbei¬
sehnt, wie den Schlaf nach arbeitsreichem Tage. Sie wissen vielleicht auch des
weiteren, daß ein bulgarischer Arzt der damaligen Zeit, M. Tranjen, sich ähn¬
lichen Hoffnungen hinsichtlich der Alterserscheinungen hingab. Tranjen hielt es
grundsätzlich für möglich, die pathologische Erscheinung des Alterns zu beseitigen
oder doch zu bekämpfen. Tranjen glaubte bei den Organismen auf eine Art
"Altersimmunität" hinwirken zu können und zu sollen. Er hoffte, durch Be¬
handlung junger Organismen mit dem Serum oder den Gewebssäften greiser
Individuen bei den ersteren einen gewissen Widerstand gegen das Auftreten der
Alterserscheinungen züchten zu können.

Dieser ganzen Hypothese über Alter und Tod wurden aber von anderen
Gelehrten gewichtige Bedenken entgegengehalten, die dazu führten, daß sich eine
zweite, entgegengesetzte Hypothese immer mehr und mehr befestigte, die Annahme
nämlich, daß Alter und Tod gar nicht krankhafte, sondern ihrem Wesen nach
rein physiologische, d. h. durch den Lebensprozeß selbst bedingte und mit Not¬
wendigkeit herbeigeführte Erscheinungen seien. Als erste Ursache des physiologischen
Alterns und Sterbens führte man die Atrophie, d. h. die ferne Verkleinerung
aller Organe ins Feld. Durch diese Verkleinerung wird es aber weiterhin möglich,
daß sich in den Zellen der Organe -- namentlich in der Herzmuskulatur und


Die Menschensparkassc

gegenüber: die eine behauptete, daß die sogenannte .natürliche' Lebensdauer des
Menschen eine viel längere sei, als die tatsächliche Dauer des Menschenlebens
sowohl im Durchschnitt als auch selbst in den Maximis war, die man zur da¬
maligen Zeit feststellen konnte. Sie wissen, daß der russische Gelehrte am
Pasteur-Institut Elias Metschnikow als Ursache dieser Erscheinung die Tatsache
glaubte anführen zu können, daß das menschliche Leben fast nie in einem natür¬
lichen Alter und einem natürlichen Tode seinen Abschluß finde, sondern daß
Alter und Tod meist als pathologische Erscheinungen aufträten. Vor allem
wurde nach Melschnikows Ansicht der .pathologische' Tod in zahlreichen — allzu
zahlreichen! — Fällen durch eine chronische Selbstvergiftung herbeigeführt,
indem die Darmmikroben, die in den Därmen der Menschen bekanntlich stets zu
Billionen vorhanden sind, in einer Weise überwuchern, die schließlich dem
Organismus verhängnisvoll werden muß. Metschnikow glaubte, daß es grund¬
sätzlich möglich sei, diesem Prozeß des Überwucherns der Darmmikroben durch
Einführung von anderen Mikroben entgegenzuwirken, die jene ersten bekämpfen
und teilweise vernichten. Er hielt die Aufnahme des sogenaunten bacillus bul-
Mricus bei den Kuren mit saurer Milch oder Joghurt für ein geeignetes Mittel
zu genanntem Zweck. Metschnikow legte seiner Hypothese nicht nur eine bio¬
logische, sondern darüber hinaus eine allgemein philosophische Bedeutung bei.

Er gelangte durch sie zu der optimistischen Weltanschauung, welche es grund¬
sätzlich sür möglich hält, die große Disharmonie, die in Gestalt des Krankheits-
todes unser Leben durchspaltet, zu beseitigen und das Menschenleben bis zu seinem
„natürlichen" Tode in sehr, sehr hohem Alter hin auszudehnen. Der natürliche
Tod aber ist nichts, was den Menschen schreckt, sondern etwas, was er herbei¬
sehnt, wie den Schlaf nach arbeitsreichem Tage. Sie wissen vielleicht auch des
weiteren, daß ein bulgarischer Arzt der damaligen Zeit, M. Tranjen, sich ähn¬
lichen Hoffnungen hinsichtlich der Alterserscheinungen hingab. Tranjen hielt es
grundsätzlich für möglich, die pathologische Erscheinung des Alterns zu beseitigen
oder doch zu bekämpfen. Tranjen glaubte bei den Organismen auf eine Art
„Altersimmunität" hinwirken zu können und zu sollen. Er hoffte, durch Be¬
handlung junger Organismen mit dem Serum oder den Gewebssäften greiser
Individuen bei den ersteren einen gewissen Widerstand gegen das Auftreten der
Alterserscheinungen züchten zu können.

Dieser ganzen Hypothese über Alter und Tod wurden aber von anderen
Gelehrten gewichtige Bedenken entgegengehalten, die dazu führten, daß sich eine
zweite, entgegengesetzte Hypothese immer mehr und mehr befestigte, die Annahme
nämlich, daß Alter und Tod gar nicht krankhafte, sondern ihrem Wesen nach
rein physiologische, d. h. durch den Lebensprozeß selbst bedingte und mit Not¬
wendigkeit herbeigeführte Erscheinungen seien. Als erste Ursache des physiologischen
Alterns und Sterbens führte man die Atrophie, d. h. die ferne Verkleinerung
aller Organe ins Feld. Durch diese Verkleinerung wird es aber weiterhin möglich,
daß sich in den Zellen der Organe — namentlich in der Herzmuskulatur und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0337" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326507"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Menschensparkassc</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1629" prev="#ID_1628"> gegenüber: die eine behauptete, daß die sogenannte .natürliche' Lebensdauer des<lb/>
Menschen eine viel längere sei, als die tatsächliche Dauer des Menschenlebens<lb/>
sowohl im Durchschnitt als auch selbst in den Maximis war, die man zur da¬<lb/>
maligen Zeit feststellen konnte. Sie wissen, daß der russische Gelehrte am<lb/>
Pasteur-Institut Elias Metschnikow als Ursache dieser Erscheinung die Tatsache<lb/>
glaubte anführen zu können, daß das menschliche Leben fast nie in einem natür¬<lb/>
lichen Alter und einem natürlichen Tode seinen Abschluß finde, sondern daß<lb/>
Alter und Tod meist als pathologische Erscheinungen aufträten. Vor allem<lb/>
wurde nach Melschnikows Ansicht der .pathologische' Tod in zahlreichen &#x2014; allzu<lb/>
zahlreichen! &#x2014; Fällen durch eine chronische Selbstvergiftung herbeigeführt,<lb/>
indem die Darmmikroben, die in den Därmen der Menschen bekanntlich stets zu<lb/>
Billionen vorhanden sind, in einer Weise überwuchern, die schließlich dem<lb/>
Organismus verhängnisvoll werden muß. Metschnikow glaubte, daß es grund¬<lb/>
sätzlich möglich sei, diesem Prozeß des Überwucherns der Darmmikroben durch<lb/>
Einführung von anderen Mikroben entgegenzuwirken, die jene ersten bekämpfen<lb/>
und teilweise vernichten. Er hielt die Aufnahme des sogenaunten bacillus bul-<lb/>
Mricus bei den Kuren mit saurer Milch oder Joghurt für ein geeignetes Mittel<lb/>
zu genanntem Zweck. Metschnikow legte seiner Hypothese nicht nur eine bio¬<lb/>
logische, sondern darüber hinaus eine allgemein philosophische Bedeutung bei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1630"> Er gelangte durch sie zu der optimistischen Weltanschauung, welche es grund¬<lb/>
sätzlich sür möglich hält, die große Disharmonie, die in Gestalt des Krankheits-<lb/>
todes unser Leben durchspaltet, zu beseitigen und das Menschenleben bis zu seinem<lb/>
&#x201E;natürlichen" Tode in sehr, sehr hohem Alter hin auszudehnen. Der natürliche<lb/>
Tod aber ist nichts, was den Menschen schreckt, sondern etwas, was er herbei¬<lb/>
sehnt, wie den Schlaf nach arbeitsreichem Tage. Sie wissen vielleicht auch des<lb/>
weiteren, daß ein bulgarischer Arzt der damaligen Zeit, M. Tranjen, sich ähn¬<lb/>
lichen Hoffnungen hinsichtlich der Alterserscheinungen hingab. Tranjen hielt es<lb/>
grundsätzlich für möglich, die pathologische Erscheinung des Alterns zu beseitigen<lb/>
oder doch zu bekämpfen. Tranjen glaubte bei den Organismen auf eine Art<lb/>
&#x201E;Altersimmunität" hinwirken zu können und zu sollen. Er hoffte, durch Be¬<lb/>
handlung junger Organismen mit dem Serum oder den Gewebssäften greiser<lb/>
Individuen bei den ersteren einen gewissen Widerstand gegen das Auftreten der<lb/>
Alterserscheinungen züchten zu können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1631" next="#ID_1632"> Dieser ganzen Hypothese über Alter und Tod wurden aber von anderen<lb/>
Gelehrten gewichtige Bedenken entgegengehalten, die dazu führten, daß sich eine<lb/>
zweite, entgegengesetzte Hypothese immer mehr und mehr befestigte, die Annahme<lb/>
nämlich, daß Alter und Tod gar nicht krankhafte, sondern ihrem Wesen nach<lb/>
rein physiologische, d. h. durch den Lebensprozeß selbst bedingte und mit Not¬<lb/>
wendigkeit herbeigeführte Erscheinungen seien. Als erste Ursache des physiologischen<lb/>
Alterns und Sterbens führte man die Atrophie, d. h. die ferne Verkleinerung<lb/>
aller Organe ins Feld. Durch diese Verkleinerung wird es aber weiterhin möglich,<lb/>
daß sich in den Zellen der Organe &#x2014; namentlich in der Herzmuskulatur und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0337] Die Menschensparkassc gegenüber: die eine behauptete, daß die sogenannte .natürliche' Lebensdauer des Menschen eine viel längere sei, als die tatsächliche Dauer des Menschenlebens sowohl im Durchschnitt als auch selbst in den Maximis war, die man zur da¬ maligen Zeit feststellen konnte. Sie wissen, daß der russische Gelehrte am Pasteur-Institut Elias Metschnikow als Ursache dieser Erscheinung die Tatsache glaubte anführen zu können, daß das menschliche Leben fast nie in einem natür¬ lichen Alter und einem natürlichen Tode seinen Abschluß finde, sondern daß Alter und Tod meist als pathologische Erscheinungen aufträten. Vor allem wurde nach Melschnikows Ansicht der .pathologische' Tod in zahlreichen — allzu zahlreichen! — Fällen durch eine chronische Selbstvergiftung herbeigeführt, indem die Darmmikroben, die in den Därmen der Menschen bekanntlich stets zu Billionen vorhanden sind, in einer Weise überwuchern, die schließlich dem Organismus verhängnisvoll werden muß. Metschnikow glaubte, daß es grund¬ sätzlich möglich sei, diesem Prozeß des Überwucherns der Darmmikroben durch Einführung von anderen Mikroben entgegenzuwirken, die jene ersten bekämpfen und teilweise vernichten. Er hielt die Aufnahme des sogenaunten bacillus bul- Mricus bei den Kuren mit saurer Milch oder Joghurt für ein geeignetes Mittel zu genanntem Zweck. Metschnikow legte seiner Hypothese nicht nur eine bio¬ logische, sondern darüber hinaus eine allgemein philosophische Bedeutung bei. Er gelangte durch sie zu der optimistischen Weltanschauung, welche es grund¬ sätzlich sür möglich hält, die große Disharmonie, die in Gestalt des Krankheits- todes unser Leben durchspaltet, zu beseitigen und das Menschenleben bis zu seinem „natürlichen" Tode in sehr, sehr hohem Alter hin auszudehnen. Der natürliche Tod aber ist nichts, was den Menschen schreckt, sondern etwas, was er herbei¬ sehnt, wie den Schlaf nach arbeitsreichem Tage. Sie wissen vielleicht auch des weiteren, daß ein bulgarischer Arzt der damaligen Zeit, M. Tranjen, sich ähn¬ lichen Hoffnungen hinsichtlich der Alterserscheinungen hingab. Tranjen hielt es grundsätzlich für möglich, die pathologische Erscheinung des Alterns zu beseitigen oder doch zu bekämpfen. Tranjen glaubte bei den Organismen auf eine Art „Altersimmunität" hinwirken zu können und zu sollen. Er hoffte, durch Be¬ handlung junger Organismen mit dem Serum oder den Gewebssäften greiser Individuen bei den ersteren einen gewissen Widerstand gegen das Auftreten der Alterserscheinungen züchten zu können. Dieser ganzen Hypothese über Alter und Tod wurden aber von anderen Gelehrten gewichtige Bedenken entgegengehalten, die dazu führten, daß sich eine zweite, entgegengesetzte Hypothese immer mehr und mehr befestigte, die Annahme nämlich, daß Alter und Tod gar nicht krankhafte, sondern ihrem Wesen nach rein physiologische, d. h. durch den Lebensprozeß selbst bedingte und mit Not¬ wendigkeit herbeigeführte Erscheinungen seien. Als erste Ursache des physiologischen Alterns und Sterbens führte man die Atrophie, d. h. die ferne Verkleinerung aller Organe ins Feld. Durch diese Verkleinerung wird es aber weiterhin möglich, daß sich in den Zellen der Organe — namentlich in der Herzmuskulatur und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/337
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/337>, abgerufen am 19.10.2024.