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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

Bei solchen Worten hatte Mara dieselbe Empfindung, wie an jenem ersten
Morgen, als sich der Maler im Park von ihr verabschiedete. Nur daß sie den
eisernen Ring, den sie damals bei seinem Händedruck so kalt und zwingend
empfand, jetzt zusammenschauernd um ihr ganzes Wesen geschlossen fühlte. Aber
in ihrer mitleidigen Güte ließ sie den Maler von ihrer inneren Wandlung nichts
merken. Sie blieb freundlich, doch vermied sie jedes längere Alleinsein mit ihm.

In dieser Morgenstunde war Madelung ganz besonders verstimmt, nicht
über den Witz von der Bonbontüte, sondern über Maras lautes Lachen. Wenn
überhaupt jemand, so war es dieser herrische Junker, gegen den es galt, die
Fahne ihrer heimlichen Schwurgenossenschaft hochzuhalten.

"Zuckerbrod und Peitsche sind dieSymbole für veraltete Regierungsprinzipien I"
sagte Madelung überlegen.

"Na -- und Ihre neue Weisheit, was hat die für ein Symbol? Für
mich ist sie ein BrechmittelI" erwiderte Wolff Joachim brüsk.

Er legte die Serviette auf den Tisch und stand auf: "Schwamm drüber,
es gibt wichtigere Dinge. Schwärmt also weiter! Ich gehe jetzt und hole mir
die Reitpeitsche für diesen Carta!"

Das Gerücht von dem nächtlichen Kampf bei Sternburg war durch Bauern
längst zu den Hofleuten gedrungen und schürte die heimliche Erregung, die seit
dem ersten Streikversuch unter ihnen gärte.

Die Bauern hatten im Dorf auch von dem Tod des Bandenführers, des
roten Reiters, gehört. Er hatte in der Revolution eine ziemliche Rolle gespielt
und war von der chemischen Bevölkerung als Held gefeiert worden. Ganze
Sagen von seiner Kühnheit und seinen Streichen gingen im Lande um.

Als Wolff Joachim die Brennereiarbeiter zusammenrief, fiel ihm der offen¬
sichtliche Grimm auf, mit dem sie seinem Ruf widerwillig und langsam folgten.
Sein Zorn steigerte sich:

"Ich verlange von euch, daß ihr mir heute den Schuft nennt, der neulich
den Spiritus angesteckt hat. Ich kenne ihn genauI" fügte er drohend hinzu,
und sah Carta mit durchdringendem Blick an, die Reitpeitsche biegend. "Aber ich
will, daß ihr freiwillig von ihm abrückt. Wenn ich den Namen bis heute Mittag
nicht erfahren habe, dann seid ihr alle zehn entlassen!"

Ein drohendes Murren entstand unter den Männern. Und als der Majorats¬
erbe den Rücken wandte, streckten sie ihm geballte Fäuste nach und Carta spie
in weitem Bogen aus:

"Verbannter deutscher Hund. Du solls? deine Reitpeitsche noch heute
selber spüren."

(Fortsetzung folgt)




Sturm

Bei solchen Worten hatte Mara dieselbe Empfindung, wie an jenem ersten
Morgen, als sich der Maler im Park von ihr verabschiedete. Nur daß sie den
eisernen Ring, den sie damals bei seinem Händedruck so kalt und zwingend
empfand, jetzt zusammenschauernd um ihr ganzes Wesen geschlossen fühlte. Aber
in ihrer mitleidigen Güte ließ sie den Maler von ihrer inneren Wandlung nichts
merken. Sie blieb freundlich, doch vermied sie jedes längere Alleinsein mit ihm.

In dieser Morgenstunde war Madelung ganz besonders verstimmt, nicht
über den Witz von der Bonbontüte, sondern über Maras lautes Lachen. Wenn
überhaupt jemand, so war es dieser herrische Junker, gegen den es galt, die
Fahne ihrer heimlichen Schwurgenossenschaft hochzuhalten.

„Zuckerbrod und Peitsche sind dieSymbole für veraltete Regierungsprinzipien I"
sagte Madelung überlegen.

„Na — und Ihre neue Weisheit, was hat die für ein Symbol? Für
mich ist sie ein BrechmittelI" erwiderte Wolff Joachim brüsk.

Er legte die Serviette auf den Tisch und stand auf: „Schwamm drüber,
es gibt wichtigere Dinge. Schwärmt also weiter! Ich gehe jetzt und hole mir
die Reitpeitsche für diesen Carta!"

Das Gerücht von dem nächtlichen Kampf bei Sternburg war durch Bauern
längst zu den Hofleuten gedrungen und schürte die heimliche Erregung, die seit
dem ersten Streikversuch unter ihnen gärte.

Die Bauern hatten im Dorf auch von dem Tod des Bandenführers, des
roten Reiters, gehört. Er hatte in der Revolution eine ziemliche Rolle gespielt
und war von der chemischen Bevölkerung als Held gefeiert worden. Ganze
Sagen von seiner Kühnheit und seinen Streichen gingen im Lande um.

Als Wolff Joachim die Brennereiarbeiter zusammenrief, fiel ihm der offen¬
sichtliche Grimm auf, mit dem sie seinem Ruf widerwillig und langsam folgten.
Sein Zorn steigerte sich:

„Ich verlange von euch, daß ihr mir heute den Schuft nennt, der neulich
den Spiritus angesteckt hat. Ich kenne ihn genauI" fügte er drohend hinzu,
und sah Carta mit durchdringendem Blick an, die Reitpeitsche biegend. „Aber ich
will, daß ihr freiwillig von ihm abrückt. Wenn ich den Namen bis heute Mittag
nicht erfahren habe, dann seid ihr alle zehn entlassen!"

Ein drohendes Murren entstand unter den Männern. Und als der Majorats¬
erbe den Rücken wandte, streckten sie ihm geballte Fäuste nach und Carta spie
in weitem Bogen aus:

„Verbannter deutscher Hund. Du solls? deine Reitpeitsche noch heute
selber spüren."

(Fortsetzung folgt)




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[0334] Sturm Bei solchen Worten hatte Mara dieselbe Empfindung, wie an jenem ersten Morgen, als sich der Maler im Park von ihr verabschiedete. Nur daß sie den eisernen Ring, den sie damals bei seinem Händedruck so kalt und zwingend empfand, jetzt zusammenschauernd um ihr ganzes Wesen geschlossen fühlte. Aber in ihrer mitleidigen Güte ließ sie den Maler von ihrer inneren Wandlung nichts merken. Sie blieb freundlich, doch vermied sie jedes längere Alleinsein mit ihm. In dieser Morgenstunde war Madelung ganz besonders verstimmt, nicht über den Witz von der Bonbontüte, sondern über Maras lautes Lachen. Wenn überhaupt jemand, so war es dieser herrische Junker, gegen den es galt, die Fahne ihrer heimlichen Schwurgenossenschaft hochzuhalten. „Zuckerbrod und Peitsche sind dieSymbole für veraltete Regierungsprinzipien I" sagte Madelung überlegen. „Na — und Ihre neue Weisheit, was hat die für ein Symbol? Für mich ist sie ein BrechmittelI" erwiderte Wolff Joachim brüsk. Er legte die Serviette auf den Tisch und stand auf: „Schwamm drüber, es gibt wichtigere Dinge. Schwärmt also weiter! Ich gehe jetzt und hole mir die Reitpeitsche für diesen Carta!" Das Gerücht von dem nächtlichen Kampf bei Sternburg war durch Bauern längst zu den Hofleuten gedrungen und schürte die heimliche Erregung, die seit dem ersten Streikversuch unter ihnen gärte. Die Bauern hatten im Dorf auch von dem Tod des Bandenführers, des roten Reiters, gehört. Er hatte in der Revolution eine ziemliche Rolle gespielt und war von der chemischen Bevölkerung als Held gefeiert worden. Ganze Sagen von seiner Kühnheit und seinen Streichen gingen im Lande um. Als Wolff Joachim die Brennereiarbeiter zusammenrief, fiel ihm der offen¬ sichtliche Grimm auf, mit dem sie seinem Ruf widerwillig und langsam folgten. Sein Zorn steigerte sich: „Ich verlange von euch, daß ihr mir heute den Schuft nennt, der neulich den Spiritus angesteckt hat. Ich kenne ihn genauI" fügte er drohend hinzu, und sah Carta mit durchdringendem Blick an, die Reitpeitsche biegend. „Aber ich will, daß ihr freiwillig von ihm abrückt. Wenn ich den Namen bis heute Mittag nicht erfahren habe, dann seid ihr alle zehn entlassen!" Ein drohendes Murren entstand unter den Männern. Und als der Majorats¬ erbe den Rücken wandte, streckten sie ihm geballte Fäuste nach und Carta spie in weitem Bogen aus: „Verbannter deutscher Hund. Du solls? deine Reitpeitsche noch heute selber spüren." (Fortsetzung folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/334>, abgerufen am 19.10.2024.