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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

"schlug über ihm zusammen. schnaubend und zitternd klomm das verängstigte
Pferd, nicht gewohnt, solche Hindernisse zu nehmen, aber sofort wieder am
selben Ufer hinauf und war weder durch Güte noch durch Gewalt zu einem
neuen Anlaufe zu bewegen.

"Also zurück und über den Krugl" kommandierte der alte Freiherr. In
gestrecktem Galopp ging es über den Sturzäcker der Landstraße zu.

Da fielen plötzlich in ihrem Rücken Schüsse und veranlaßten sie, die Pferde
herumzureißen.

"Das sind unsere Drei!" rief einer der Junker. "Zu Hilfe!" Und ohne
die Zustimmung des Führers abzuwarten, fegten sie in der Richtung der Schüsse
zurück. Die mehrten sich jetzt, und nicht lange -- da waren auch Stimmen zu
unterscheiden. Ganz deutlich vernahmen die Reiter ein militärisches Kommando.
Sie zügelten ihre Pferde und blickten fragend ins Dunkel.

"Das sind die Dragoner!" jubelte Waldemar von Rehren. "Sie haben
die Kerls eingekreist. Und Manteuffel ist dabei. Ich erkenne seine Stimme!"

Wieder stiebten die Gäule los, und schon nach wenigen Minuten konnten
sich die Junker in die Schützenlinie einreihen, die der Bande den Feldweg nach
Borküll verlegt hatte.

Zwischen Laden und Losdrücken rief Manteuffel dem alten Wenkendorff
zu: "Evi ist mit Burkhard bei den Pferden. Dort hinter dem Strohschober!"

Es war, wie er gesagt hatte.

Im Schutze des hochgetürmten Strohhaufens war Burkhard abgesessen und
bewachte mit Evi die Pferde.

In abgerissenen Sätzen erzählte sie dem Vater ihre Erlebnisse. Sie hatte
über die Mauer das Feld erreicht und war im weiten Bogen den Reitern ent-
gegengerannt, die nach ihrer Berechnung auf dem Heimweg sein mußten.

"Wir hätten sie bald überritten!" fiel Burkhard ein. "Sie hat uns aus
der Patsche gezogen. Wir machten sofort kehrt und holten die Dragoner, die
wir gottlob noch im Kruge vorfanden. Es sind fünfzig Mann unter einem
Leutnant. Kurz vor der Brücke haben wir die Bande gestellt. Wenn es nicht
so verdammt dunkel wäre, hätten wir sie längst aufgerieben!"

Ein wilder Schrei auf der Seite des Feindes unterbrach seine Worte.

"Es wäre mir lieber, wenn es ohne dieses Blutbad abgegangen wäre!"
sagte Herr von Wenkendorff ernst. "Das schürt den Haß und macht nur
Märtyrer! Und du Nichtsnutz --," wandte er sich zu Evi, "mußt endlich feste
Kandare angelegt bekommen. Deine Schwestern und der gute Sandberg sind
in Todesangst um dich! Morgen früh bringen wir dich nach Neval!" Damit
zog er sie an sich und ließ sie lange nicht von seinem Herzen.

Immer weiter nach Sternburg zu drang die Linie der Schützen vor, wie
aus den Schüssen zu erkennen war.

"Lieber Burkhard! pürschen Sie sich ran und geben Sie meine Bitte
weiter, das Feuer einzustellen. Es hat nicht viel Zweck in dieser stockfinsterer Nacht."


Sturm

"schlug über ihm zusammen. schnaubend und zitternd klomm das verängstigte
Pferd, nicht gewohnt, solche Hindernisse zu nehmen, aber sofort wieder am
selben Ufer hinauf und war weder durch Güte noch durch Gewalt zu einem
neuen Anlaufe zu bewegen.

„Also zurück und über den Krugl" kommandierte der alte Freiherr. In
gestrecktem Galopp ging es über den Sturzäcker der Landstraße zu.

Da fielen plötzlich in ihrem Rücken Schüsse und veranlaßten sie, die Pferde
herumzureißen.

„Das sind unsere Drei!" rief einer der Junker. „Zu Hilfe!" Und ohne
die Zustimmung des Führers abzuwarten, fegten sie in der Richtung der Schüsse
zurück. Die mehrten sich jetzt, und nicht lange — da waren auch Stimmen zu
unterscheiden. Ganz deutlich vernahmen die Reiter ein militärisches Kommando.
Sie zügelten ihre Pferde und blickten fragend ins Dunkel.

„Das sind die Dragoner!" jubelte Waldemar von Rehren. „Sie haben
die Kerls eingekreist. Und Manteuffel ist dabei. Ich erkenne seine Stimme!"

Wieder stiebten die Gäule los, und schon nach wenigen Minuten konnten
sich die Junker in die Schützenlinie einreihen, die der Bande den Feldweg nach
Borküll verlegt hatte.

Zwischen Laden und Losdrücken rief Manteuffel dem alten Wenkendorff
zu: „Evi ist mit Burkhard bei den Pferden. Dort hinter dem Strohschober!"

Es war, wie er gesagt hatte.

Im Schutze des hochgetürmten Strohhaufens war Burkhard abgesessen und
bewachte mit Evi die Pferde.

In abgerissenen Sätzen erzählte sie dem Vater ihre Erlebnisse. Sie hatte
über die Mauer das Feld erreicht und war im weiten Bogen den Reitern ent-
gegengerannt, die nach ihrer Berechnung auf dem Heimweg sein mußten.

„Wir hätten sie bald überritten!" fiel Burkhard ein. „Sie hat uns aus
der Patsche gezogen. Wir machten sofort kehrt und holten die Dragoner, die
wir gottlob noch im Kruge vorfanden. Es sind fünfzig Mann unter einem
Leutnant. Kurz vor der Brücke haben wir die Bande gestellt. Wenn es nicht
so verdammt dunkel wäre, hätten wir sie längst aufgerieben!"

Ein wilder Schrei auf der Seite des Feindes unterbrach seine Worte.

„Es wäre mir lieber, wenn es ohne dieses Blutbad abgegangen wäre!"
sagte Herr von Wenkendorff ernst. „Das schürt den Haß und macht nur
Märtyrer! Und du Nichtsnutz —," wandte er sich zu Evi, „mußt endlich feste
Kandare angelegt bekommen. Deine Schwestern und der gute Sandberg sind
in Todesangst um dich! Morgen früh bringen wir dich nach Neval!" Damit
zog er sie an sich und ließ sie lange nicht von seinem Herzen.

Immer weiter nach Sternburg zu drang die Linie der Schützen vor, wie
aus den Schüssen zu erkennen war.

„Lieber Burkhard! pürschen Sie sich ran und geben Sie meine Bitte
weiter, das Feuer einzustellen. Es hat nicht viel Zweck in dieser stockfinsterer Nacht."


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[0329] Sturm "schlug über ihm zusammen. schnaubend und zitternd klomm das verängstigte Pferd, nicht gewohnt, solche Hindernisse zu nehmen, aber sofort wieder am selben Ufer hinauf und war weder durch Güte noch durch Gewalt zu einem neuen Anlaufe zu bewegen. „Also zurück und über den Krugl" kommandierte der alte Freiherr. In gestrecktem Galopp ging es über den Sturzäcker der Landstraße zu. Da fielen plötzlich in ihrem Rücken Schüsse und veranlaßten sie, die Pferde herumzureißen. „Das sind unsere Drei!" rief einer der Junker. „Zu Hilfe!" Und ohne die Zustimmung des Führers abzuwarten, fegten sie in der Richtung der Schüsse zurück. Die mehrten sich jetzt, und nicht lange — da waren auch Stimmen zu unterscheiden. Ganz deutlich vernahmen die Reiter ein militärisches Kommando. Sie zügelten ihre Pferde und blickten fragend ins Dunkel. „Das sind die Dragoner!" jubelte Waldemar von Rehren. „Sie haben die Kerls eingekreist. Und Manteuffel ist dabei. Ich erkenne seine Stimme!" Wieder stiebten die Gäule los, und schon nach wenigen Minuten konnten sich die Junker in die Schützenlinie einreihen, die der Bande den Feldweg nach Borküll verlegt hatte. Zwischen Laden und Losdrücken rief Manteuffel dem alten Wenkendorff zu: „Evi ist mit Burkhard bei den Pferden. Dort hinter dem Strohschober!" Es war, wie er gesagt hatte. Im Schutze des hochgetürmten Strohhaufens war Burkhard abgesessen und bewachte mit Evi die Pferde. In abgerissenen Sätzen erzählte sie dem Vater ihre Erlebnisse. Sie hatte über die Mauer das Feld erreicht und war im weiten Bogen den Reitern ent- gegengerannt, die nach ihrer Berechnung auf dem Heimweg sein mußten. „Wir hätten sie bald überritten!" fiel Burkhard ein. „Sie hat uns aus der Patsche gezogen. Wir machten sofort kehrt und holten die Dragoner, die wir gottlob noch im Kruge vorfanden. Es sind fünfzig Mann unter einem Leutnant. Kurz vor der Brücke haben wir die Bande gestellt. Wenn es nicht so verdammt dunkel wäre, hätten wir sie längst aufgerieben!" Ein wilder Schrei auf der Seite des Feindes unterbrach seine Worte. „Es wäre mir lieber, wenn es ohne dieses Blutbad abgegangen wäre!" sagte Herr von Wenkendorff ernst. „Das schürt den Haß und macht nur Märtyrer! Und du Nichtsnutz —," wandte er sich zu Evi, „mußt endlich feste Kandare angelegt bekommen. Deine Schwestern und der gute Sandberg sind in Todesangst um dich! Morgen früh bringen wir dich nach Neval!" Damit zog er sie an sich und ließ sie lange nicht von seinem Herzen. Immer weiter nach Sternburg zu drang die Linie der Schützen vor, wie aus den Schüssen zu erkennen war. „Lieber Burkhard! pürschen Sie sich ran und geben Sie meine Bitte weiter, das Feuer einzustellen. Es hat nicht viel Zweck in dieser stockfinsterer Nacht."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/329>, abgerufen am 28.12.2024.