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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Zur neueren Mortkunst

Vers- und Reimrücksichten in den meisten Fällen auch bei Liliencron zu erklären,
und darin besteht das innerste Wesen dieser neueren Wortkunst.

Vor allen Dingen nun betrifft die Wortzusammensetzung das charakteristischste
Ausdrucksmittel der impressionistisch schildernden sprachlichen Kunst, das Eigen¬
schaftswort. Beobachtungen über Gebrauch und Verwendung der Eigenschafts¬
wörter bei den besten Schriftstellern lassen interessante Schlüsse ziehen auf die
Bedeutung, die sie dem schmückenden Beiwort zumessen. Wenn sie für jeden
nach wirklich charakteristischer Kunst trachtenden schon so groß ist, wie viel mehr
dem Impressionisten! Man vergleiche dazu beispielsweise nur einige Ausdrücke
für Farbenbenennungen (ein gleichmäßig mausefarbener Himmel, schneeschloh¬
weiße, schlehblütenweiße Haare), vor allem solche, in denen das Ineinander¬
greifen und Zusammenwirken verschiedener Farbenwirkungen wiedergegeben werden
soll, so wenn er den allmählichen Übergang von Nacht in Tag schildert: "Nur
der Morgenstern funkelt prächtig in der matten graubraungelben Himmelsfarbe",
vereinzelt hebt sich ein Gegenstand ab gegen den "mattgraubraunroten Himmel",
oder bei Sonnenuntergang: "duffgrau silbern hängen im Zwielicht die Blätter",
die Sonne bricht nur auf Augenblicke "mattweißgolden" durch den dichten
Wolkenschleier, und ein andermal "schimmert es rotgraugrün" um die Bäume
des Waldes. Aber im ganzen ist die Manier, selbst wo sie deutlicher hervor¬
tritt ("im Osten lag der breite dunkelgelbe, schmutzigbraungelbe Streifen am
Himmelsrand, den eine mächtige graulila Wolke darüber begrenzte"), lange nicht
in dem Maße gesteigert wie bei Dehmel. Seiner überschwenglichen Farbenpracht
gegenüber bleibt Liliencron stets nüchterner, verstandesmäßiger.

Wenden wir uns aber von dieser besonderen Gruppe von Eigenschafts¬
benennungen zu der allgemeineren, so wird sich das Bild rasch zu seinen Gunsten
verschieben und matt wird bei ihm eine ganze Reihe von Beiwörtern finden,
die von einer tiefen seelischen Anschauungskraft und von einem erstaunlichen
sprachschöpferischen Ausdrucks- und Gestaltungsvermögen zeugen, wie es Dehmel
nicht eigen ist. Schön schildert er den zur Rüste gehenden Tag: wie er von
hoher Warte aus dem Schauspiel des Sonnenunterganges zusieht, da färbt sich
der HimMel immer "abendblasser", nur in der Ferne taucht noch, vom Glänze
der Sonne bestrahlt, ein Höhenzug auf, ein "abendglanzbeglänzter", dann "schatten"
die Farben "ineinander über", und

In den "Rantzow und Pogwisch" spricht er unter Benutzung desselben Bildes
von "des Todes dämmerklarer Heide". In der Schweigsamkeit seiner geliebten
Heidelandschaft, "im dunkelklaren Dummer", erhebt sich ein Fichtenbaum und
schaut still hinaus in die "friedumhalste Sommernacht", in die "nachtstillen Ge¬
filde", und "steinstill" breitet die Nacht ihre Flügel drüber aus.


Zur neueren Mortkunst

Vers- und Reimrücksichten in den meisten Fällen auch bei Liliencron zu erklären,
und darin besteht das innerste Wesen dieser neueren Wortkunst.

Vor allen Dingen nun betrifft die Wortzusammensetzung das charakteristischste
Ausdrucksmittel der impressionistisch schildernden sprachlichen Kunst, das Eigen¬
schaftswort. Beobachtungen über Gebrauch und Verwendung der Eigenschafts¬
wörter bei den besten Schriftstellern lassen interessante Schlüsse ziehen auf die
Bedeutung, die sie dem schmückenden Beiwort zumessen. Wenn sie für jeden
nach wirklich charakteristischer Kunst trachtenden schon so groß ist, wie viel mehr
dem Impressionisten! Man vergleiche dazu beispielsweise nur einige Ausdrücke
für Farbenbenennungen (ein gleichmäßig mausefarbener Himmel, schneeschloh¬
weiße, schlehblütenweiße Haare), vor allem solche, in denen das Ineinander¬
greifen und Zusammenwirken verschiedener Farbenwirkungen wiedergegeben werden
soll, so wenn er den allmählichen Übergang von Nacht in Tag schildert: „Nur
der Morgenstern funkelt prächtig in der matten graubraungelben Himmelsfarbe",
vereinzelt hebt sich ein Gegenstand ab gegen den „mattgraubraunroten Himmel",
oder bei Sonnenuntergang: „duffgrau silbern hängen im Zwielicht die Blätter",
die Sonne bricht nur auf Augenblicke „mattweißgolden" durch den dichten
Wolkenschleier, und ein andermal „schimmert es rotgraugrün" um die Bäume
des Waldes. Aber im ganzen ist die Manier, selbst wo sie deutlicher hervor¬
tritt („im Osten lag der breite dunkelgelbe, schmutzigbraungelbe Streifen am
Himmelsrand, den eine mächtige graulila Wolke darüber begrenzte"), lange nicht
in dem Maße gesteigert wie bei Dehmel. Seiner überschwenglichen Farbenpracht
gegenüber bleibt Liliencron stets nüchterner, verstandesmäßiger.

Wenden wir uns aber von dieser besonderen Gruppe von Eigenschafts¬
benennungen zu der allgemeineren, so wird sich das Bild rasch zu seinen Gunsten
verschieben und matt wird bei ihm eine ganze Reihe von Beiwörtern finden,
die von einer tiefen seelischen Anschauungskraft und von einem erstaunlichen
sprachschöpferischen Ausdrucks- und Gestaltungsvermögen zeugen, wie es Dehmel
nicht eigen ist. Schön schildert er den zur Rüste gehenden Tag: wie er von
hoher Warte aus dem Schauspiel des Sonnenunterganges zusieht, da färbt sich
der HimMel immer „abendblasser", nur in der Ferne taucht noch, vom Glänze
der Sonne bestrahlt, ein Höhenzug auf, ein „abendglanzbeglänzter", dann „schatten"
die Farben „ineinander über", und

In den „Rantzow und Pogwisch" spricht er unter Benutzung desselben Bildes
von „des Todes dämmerklarer Heide". In der Schweigsamkeit seiner geliebten
Heidelandschaft, „im dunkelklaren Dummer", erhebt sich ein Fichtenbaum und
schaut still hinaus in die „friedumhalste Sommernacht", in die „nachtstillen Ge¬
filde", und „steinstill" breitet die Nacht ihre Flügel drüber aus.


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[0312] Zur neueren Mortkunst Vers- und Reimrücksichten in den meisten Fällen auch bei Liliencron zu erklären, und darin besteht das innerste Wesen dieser neueren Wortkunst. Vor allen Dingen nun betrifft die Wortzusammensetzung das charakteristischste Ausdrucksmittel der impressionistisch schildernden sprachlichen Kunst, das Eigen¬ schaftswort. Beobachtungen über Gebrauch und Verwendung der Eigenschafts¬ wörter bei den besten Schriftstellern lassen interessante Schlüsse ziehen auf die Bedeutung, die sie dem schmückenden Beiwort zumessen. Wenn sie für jeden nach wirklich charakteristischer Kunst trachtenden schon so groß ist, wie viel mehr dem Impressionisten! Man vergleiche dazu beispielsweise nur einige Ausdrücke für Farbenbenennungen (ein gleichmäßig mausefarbener Himmel, schneeschloh¬ weiße, schlehblütenweiße Haare), vor allem solche, in denen das Ineinander¬ greifen und Zusammenwirken verschiedener Farbenwirkungen wiedergegeben werden soll, so wenn er den allmählichen Übergang von Nacht in Tag schildert: „Nur der Morgenstern funkelt prächtig in der matten graubraungelben Himmelsfarbe", vereinzelt hebt sich ein Gegenstand ab gegen den „mattgraubraunroten Himmel", oder bei Sonnenuntergang: „duffgrau silbern hängen im Zwielicht die Blätter", die Sonne bricht nur auf Augenblicke „mattweißgolden" durch den dichten Wolkenschleier, und ein andermal „schimmert es rotgraugrün" um die Bäume des Waldes. Aber im ganzen ist die Manier, selbst wo sie deutlicher hervor¬ tritt („im Osten lag der breite dunkelgelbe, schmutzigbraungelbe Streifen am Himmelsrand, den eine mächtige graulila Wolke darüber begrenzte"), lange nicht in dem Maße gesteigert wie bei Dehmel. Seiner überschwenglichen Farbenpracht gegenüber bleibt Liliencron stets nüchterner, verstandesmäßiger. Wenden wir uns aber von dieser besonderen Gruppe von Eigenschafts¬ benennungen zu der allgemeineren, so wird sich das Bild rasch zu seinen Gunsten verschieben und matt wird bei ihm eine ganze Reihe von Beiwörtern finden, die von einer tiefen seelischen Anschauungskraft und von einem erstaunlichen sprachschöpferischen Ausdrucks- und Gestaltungsvermögen zeugen, wie es Dehmel nicht eigen ist. Schön schildert er den zur Rüste gehenden Tag: wie er von hoher Warte aus dem Schauspiel des Sonnenunterganges zusieht, da färbt sich der HimMel immer „abendblasser", nur in der Ferne taucht noch, vom Glänze der Sonne bestrahlt, ein Höhenzug auf, ein „abendglanzbeglänzter", dann „schatten" die Farben „ineinander über", und In den „Rantzow und Pogwisch" spricht er unter Benutzung desselben Bildes von „des Todes dämmerklarer Heide". In der Schweigsamkeit seiner geliebten Heidelandschaft, „im dunkelklaren Dummer", erhebt sich ein Fichtenbaum und schaut still hinaus in die „friedumhalste Sommernacht", in die „nachtstillen Ge¬ filde", und „steinstill" breitet die Nacht ihre Flügel drüber aus.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/312>, abgerufen am 29.12.2024.