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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Romme die Kaperei wieder?

Handelsschiffen in Kriegsschiffe, auch auf hoher See, zum Schutze ihres See¬
handels beitragen und Versuche des Feindes, ihn zu schädigen, mit gleicher
Münze heimzuzahlen versuchen werden.




Betrachten wir nun auf der Grundlage der voraufgegangenen Dar¬
legungen Mr. Churchills "armiertes Kauffahrteischiff", so ergibt sich zunächst
als wichtigstes, ja einziges Argument für die Rechtfertigung dieser unglaub¬
lichen Maßnahme: seine besonders betonte Behauptung, daß diese Handels¬
schiffe ihre Geschütze ausschließlich zur Verteidigung, nicht zum Angriff er¬
halten würden. Es wäre eigentlich logischer gewesen, die Handelsschiffe zu
panzern, anstatt ihnen Kanonen zu geben, denn der Panzer ist eine Schutzwaffe,
die Kanone eine Angriffswaffe. Vertritt aber die Admiralität hier die Auf¬
fassung -- und das ist ac facto der Fall --: die beste Verteidigung sei der
Hieb, und deshalb müßten die britischen Handelsschiffe, bzw. ein Teil von ihnen,
Geschütze erhalten, so erhält die Sache ein ganz anderes Gesicht. Es ist nicht
glaublich, daß die "armierten Handelsschiffe" dann darauf verzichten werden,
ihre Verteidigung dadurch noch wirksamer zu machen, daß sie nicht nnr den
"Hieb" anwenden, sondern versuchen, den "ersten Hieb" zu führen. Das ist
nun, vielleicht nicht theoretisch, zweifellos aber praktisch die absolut logische und
zwingende Konsequenz des Churchillschen Standpunktes. Man denke sich nur in
die Stimmung des Kapitäns und seiner Leute hinein; sie werden sich sagen:
"da kommt ein Schiff, das vielleicht ein Feind ist, ja eins, das wir mit Sicher¬
heit für einen Feind halten. Wir müßten ja dumm sein, wenn wir nicht ver¬
suchten, ihn zu erledigen, ehe er uns erledigt. Wozu haben wir unsere Kanonen,
unsere Granaten, unsere ausgebildeten Leute?" Dann wird die "Verteidigung"
begonnen, gegen Gerechte und Ungerechte, gegen Hilfskreuzer und Handelsschiffe,
gegen feindliche Schiffe und gegen solche neutraler Parteien. Diese Annahme ist sicher
nicht übertrieben, insbesondere -- um diesem Einwürfe vorzubeugen -- wird das
Zeigen der Flagge nicht die geringste Sicherheit schaffen. Der Kapitän des "armierten
Handelsschiffes" wird meinen, die neutrale Flagge auf jenem verdächtigen Schiffe
sei nur eine Kriegslist, um näher heranzukommen. Hundert Kombinationen
lassen sich hier anführen, die alle die Hinfälligkeit des Churchillschen Argumentes
von dem ausschließlich dem Selbstschutze dienenden Zwecke der Armierung des
Handelsdampfers beweisen. Dazu kommt das schon angedeutete psychologische
Moment und die Erwägung der Folgen, daß der verhältnismäßig undiszi¬
plinierten Besatzung der Handelsschiffe eine Geschützarmierung in die Hände
gelegt worden ist. Sie wird beeinflußt vom Selbsterhaltungswillen, vom
dilettantischen Kraftbewußtsein, vielfach sicher auch von Piratentrieben, die mit
der Armierung wieder automatisch in Erscheinung treten, wie zuzeiten des
schrankenlosen Kaperkrieges. Die "armierten Handelsschiffe", deren Kapitäne


Romme die Kaperei wieder?

Handelsschiffen in Kriegsschiffe, auch auf hoher See, zum Schutze ihres See¬
handels beitragen und Versuche des Feindes, ihn zu schädigen, mit gleicher
Münze heimzuzahlen versuchen werden.




Betrachten wir nun auf der Grundlage der voraufgegangenen Dar¬
legungen Mr. Churchills „armiertes Kauffahrteischiff", so ergibt sich zunächst
als wichtigstes, ja einziges Argument für die Rechtfertigung dieser unglaub¬
lichen Maßnahme: seine besonders betonte Behauptung, daß diese Handels¬
schiffe ihre Geschütze ausschließlich zur Verteidigung, nicht zum Angriff er¬
halten würden. Es wäre eigentlich logischer gewesen, die Handelsschiffe zu
panzern, anstatt ihnen Kanonen zu geben, denn der Panzer ist eine Schutzwaffe,
die Kanone eine Angriffswaffe. Vertritt aber die Admiralität hier die Auf¬
fassung — und das ist ac facto der Fall —: die beste Verteidigung sei der
Hieb, und deshalb müßten die britischen Handelsschiffe, bzw. ein Teil von ihnen,
Geschütze erhalten, so erhält die Sache ein ganz anderes Gesicht. Es ist nicht
glaublich, daß die „armierten Handelsschiffe" dann darauf verzichten werden,
ihre Verteidigung dadurch noch wirksamer zu machen, daß sie nicht nnr den
„Hieb" anwenden, sondern versuchen, den „ersten Hieb" zu führen. Das ist
nun, vielleicht nicht theoretisch, zweifellos aber praktisch die absolut logische und
zwingende Konsequenz des Churchillschen Standpunktes. Man denke sich nur in
die Stimmung des Kapitäns und seiner Leute hinein; sie werden sich sagen:
„da kommt ein Schiff, das vielleicht ein Feind ist, ja eins, das wir mit Sicher¬
heit für einen Feind halten. Wir müßten ja dumm sein, wenn wir nicht ver¬
suchten, ihn zu erledigen, ehe er uns erledigt. Wozu haben wir unsere Kanonen,
unsere Granaten, unsere ausgebildeten Leute?" Dann wird die „Verteidigung"
begonnen, gegen Gerechte und Ungerechte, gegen Hilfskreuzer und Handelsschiffe,
gegen feindliche Schiffe und gegen solche neutraler Parteien. Diese Annahme ist sicher
nicht übertrieben, insbesondere — um diesem Einwürfe vorzubeugen — wird das
Zeigen der Flagge nicht die geringste Sicherheit schaffen. Der Kapitän des „armierten
Handelsschiffes" wird meinen, die neutrale Flagge auf jenem verdächtigen Schiffe
sei nur eine Kriegslist, um näher heranzukommen. Hundert Kombinationen
lassen sich hier anführen, die alle die Hinfälligkeit des Churchillschen Argumentes
von dem ausschließlich dem Selbstschutze dienenden Zwecke der Armierung des
Handelsdampfers beweisen. Dazu kommt das schon angedeutete psychologische
Moment und die Erwägung der Folgen, daß der verhältnismäßig undiszi¬
plinierten Besatzung der Handelsschiffe eine Geschützarmierung in die Hände
gelegt worden ist. Sie wird beeinflußt vom Selbsterhaltungswillen, vom
dilettantischen Kraftbewußtsein, vielfach sicher auch von Piratentrieben, die mit
der Armierung wieder automatisch in Erscheinung treten, wie zuzeiten des
schrankenlosen Kaperkrieges. Die „armierten Handelsschiffe", deren Kapitäne


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[0306] Romme die Kaperei wieder? Handelsschiffen in Kriegsschiffe, auch auf hoher See, zum Schutze ihres See¬ handels beitragen und Versuche des Feindes, ihn zu schädigen, mit gleicher Münze heimzuzahlen versuchen werden. Betrachten wir nun auf der Grundlage der voraufgegangenen Dar¬ legungen Mr. Churchills „armiertes Kauffahrteischiff", so ergibt sich zunächst als wichtigstes, ja einziges Argument für die Rechtfertigung dieser unglaub¬ lichen Maßnahme: seine besonders betonte Behauptung, daß diese Handels¬ schiffe ihre Geschütze ausschließlich zur Verteidigung, nicht zum Angriff er¬ halten würden. Es wäre eigentlich logischer gewesen, die Handelsschiffe zu panzern, anstatt ihnen Kanonen zu geben, denn der Panzer ist eine Schutzwaffe, die Kanone eine Angriffswaffe. Vertritt aber die Admiralität hier die Auf¬ fassung — und das ist ac facto der Fall —: die beste Verteidigung sei der Hieb, und deshalb müßten die britischen Handelsschiffe, bzw. ein Teil von ihnen, Geschütze erhalten, so erhält die Sache ein ganz anderes Gesicht. Es ist nicht glaublich, daß die „armierten Handelsschiffe" dann darauf verzichten werden, ihre Verteidigung dadurch noch wirksamer zu machen, daß sie nicht nnr den „Hieb" anwenden, sondern versuchen, den „ersten Hieb" zu führen. Das ist nun, vielleicht nicht theoretisch, zweifellos aber praktisch die absolut logische und zwingende Konsequenz des Churchillschen Standpunktes. Man denke sich nur in die Stimmung des Kapitäns und seiner Leute hinein; sie werden sich sagen: „da kommt ein Schiff, das vielleicht ein Feind ist, ja eins, das wir mit Sicher¬ heit für einen Feind halten. Wir müßten ja dumm sein, wenn wir nicht ver¬ suchten, ihn zu erledigen, ehe er uns erledigt. Wozu haben wir unsere Kanonen, unsere Granaten, unsere ausgebildeten Leute?" Dann wird die „Verteidigung" begonnen, gegen Gerechte und Ungerechte, gegen Hilfskreuzer und Handelsschiffe, gegen feindliche Schiffe und gegen solche neutraler Parteien. Diese Annahme ist sicher nicht übertrieben, insbesondere — um diesem Einwürfe vorzubeugen — wird das Zeigen der Flagge nicht die geringste Sicherheit schaffen. Der Kapitän des „armierten Handelsschiffes" wird meinen, die neutrale Flagge auf jenem verdächtigen Schiffe sei nur eine Kriegslist, um näher heranzukommen. Hundert Kombinationen lassen sich hier anführen, die alle die Hinfälligkeit des Churchillschen Argumentes von dem ausschließlich dem Selbstschutze dienenden Zwecke der Armierung des Handelsdampfers beweisen. Dazu kommt das schon angedeutete psychologische Moment und die Erwägung der Folgen, daß der verhältnismäßig undiszi¬ plinierten Besatzung der Handelsschiffe eine Geschützarmierung in die Hände gelegt worden ist. Sie wird beeinflußt vom Selbsterhaltungswillen, vom dilettantischen Kraftbewußtsein, vielfach sicher auch von Piratentrieben, die mit der Armierung wieder automatisch in Erscheinung treten, wie zuzeiten des schrankenlosen Kaperkrieges. Die „armierten Handelsschiffe", deren Kapitäne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/306>, abgerufen am 29.12.2024.