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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Kommt die Raxerei wieder?

Ergebnis -- die Unmöglichkeit einer Einigung über die Umwandlungsfrage -- in
England jenen Eindruck hervorgerufen hat, der sonst gar nicht zu verstehen wäre.
Gerade in diesem Zusammenhange darf nicht vergessen werden, daß das See¬
kriegsrecht, zumal seine praktische Handhabung, mit nur unwesentlichen Ausnahmen
auf das englische Interesse unter einem ausschließlich anglozentrischen Gesichts¬
punkt zugeschnitten und auf entsprechender Grundlage aufgebaut war. Wir treffen
hier den traditionellen britischen Suprematiegedanken, verbunden mit einer hoch¬
gradig gewordenen Empfindlichkeit besonders Deutschland gegenüber. Wenn die
Vertreter der britischen Regierung sich gelegentlich, in Anerkennung der ver¬
änderten Zeiten und Verhältnisse, geneigt gezeigt haben, die Berechtigung und
praktische Notwendigkeit einer tatsächlich internationalen Ausgestaltung des See¬
kriegsrechtes anzuerkennen, so lebt im britischen Volke die alte Tradition un¬
geschwächt weiter, daß Britannien, die Trägerin der Ozeansuprematie, die Gesetze
für den Seekrieg den anderen Seemächten vorzuschreiben nicht nur das Recht
habe, sondern daß diese Rolle eine Grundbedingung eben seiner Suprematie sei.
Anläßlich der öffentlichen Erörterungen über die Fragen der Haager und der
Londoner Konferenz gab es in der unionistischen Presse nur eine Stimme des
Bedenkens darüber, daß Großbritannien sich auf gleichem Fuße mit den anderen
Mächten beteilige, wo es sein eigentlicher Beruf sei, vorzuschreiben und zu
befehlen. Ja die Imperialisten, an der Spitze der mehrfach genannte Mr.
Gibson Bootes, beklagten, daß Großbritannien 1856 die Pariser Deklaration
mit ihren Bestimmungen und ihrem Verbote der Kaperei unterzeichnet habe.
Da läge das ^^vo ^of-": und der grundsätzliche Fehler der britischen Politik,
deshalb müsse man die Gelegenheit jetzt benutzen, um die alte absolute Freiheit
wiederzugewinnen: durch Ablehnung der Londoner Deklaration. Eine weit über¬
wiegende Mehrheit des Oberhauses steht auf diesem Standpunkte und hat ihn,
wie im vorigen Artikel gezeigt wurde, durch die Ablehnung der "^aval ?n?is
Viti" betätigt. Einzelne hervorragende Staatsmänner, wie Lord Selborne, ein
früherer Erster Lord der Admiralität, aber vertreten die Ansicht, daß selbst die
Annahme der Bill bzw. die Ratifizierung der Deklaration unwesentlich sei, denn
im großen Seekriege werde Großbritannien sich an nichts anderes kehren, als an
die Wahrnehmung und den Schutz der eigenen Interessen. In der Marine sei
man übereinstimmend der Ansicht, daß die Londoner Deklaration (wenn durch
Ratifizierung anerkannt) wenige Tage nach Beginn der Feindseligkeiten "in
Fetzen ins Meer fliegen werde". Man hat sicher allen Grund, Äußerungen
aus solchem Munde ernst zu nehmen, und es liegt uns dabei fern, moralische
Maßstäbe anlegen zu wollen. Diese weichen im Existenzkampfe eben der Macht- und
Zweckmäßigkeitsfrage. Wie sie sich allerdings für England in den bewußten Fragen
tatsächlich stellen würden, dürfte keineswegs so ausgemacht und klar sein, wie viele
Briten es annehmen; das gehört aber nicht zu unserem heute zubehandelnden Thema.

Durch alle Abstimmungen und Kundgebungen hat man aber die Tatsache
nicht aus der Welt geschafft, daß die Festlandmächte durch Umwandlung von


Kommt die Raxerei wieder?

Ergebnis — die Unmöglichkeit einer Einigung über die Umwandlungsfrage — in
England jenen Eindruck hervorgerufen hat, der sonst gar nicht zu verstehen wäre.
Gerade in diesem Zusammenhange darf nicht vergessen werden, daß das See¬
kriegsrecht, zumal seine praktische Handhabung, mit nur unwesentlichen Ausnahmen
auf das englische Interesse unter einem ausschließlich anglozentrischen Gesichts¬
punkt zugeschnitten und auf entsprechender Grundlage aufgebaut war. Wir treffen
hier den traditionellen britischen Suprematiegedanken, verbunden mit einer hoch¬
gradig gewordenen Empfindlichkeit besonders Deutschland gegenüber. Wenn die
Vertreter der britischen Regierung sich gelegentlich, in Anerkennung der ver¬
änderten Zeiten und Verhältnisse, geneigt gezeigt haben, die Berechtigung und
praktische Notwendigkeit einer tatsächlich internationalen Ausgestaltung des See¬
kriegsrechtes anzuerkennen, so lebt im britischen Volke die alte Tradition un¬
geschwächt weiter, daß Britannien, die Trägerin der Ozeansuprematie, die Gesetze
für den Seekrieg den anderen Seemächten vorzuschreiben nicht nur das Recht
habe, sondern daß diese Rolle eine Grundbedingung eben seiner Suprematie sei.
Anläßlich der öffentlichen Erörterungen über die Fragen der Haager und der
Londoner Konferenz gab es in der unionistischen Presse nur eine Stimme des
Bedenkens darüber, daß Großbritannien sich auf gleichem Fuße mit den anderen
Mächten beteilige, wo es sein eigentlicher Beruf sei, vorzuschreiben und zu
befehlen. Ja die Imperialisten, an der Spitze der mehrfach genannte Mr.
Gibson Bootes, beklagten, daß Großbritannien 1856 die Pariser Deklaration
mit ihren Bestimmungen und ihrem Verbote der Kaperei unterzeichnet habe.
Da läge das ^^vo ^of-»: und der grundsätzliche Fehler der britischen Politik,
deshalb müsse man die Gelegenheit jetzt benutzen, um die alte absolute Freiheit
wiederzugewinnen: durch Ablehnung der Londoner Deklaration. Eine weit über¬
wiegende Mehrheit des Oberhauses steht auf diesem Standpunkte und hat ihn,
wie im vorigen Artikel gezeigt wurde, durch die Ablehnung der „^aval ?n?is
Viti" betätigt. Einzelne hervorragende Staatsmänner, wie Lord Selborne, ein
früherer Erster Lord der Admiralität, aber vertreten die Ansicht, daß selbst die
Annahme der Bill bzw. die Ratifizierung der Deklaration unwesentlich sei, denn
im großen Seekriege werde Großbritannien sich an nichts anderes kehren, als an
die Wahrnehmung und den Schutz der eigenen Interessen. In der Marine sei
man übereinstimmend der Ansicht, daß die Londoner Deklaration (wenn durch
Ratifizierung anerkannt) wenige Tage nach Beginn der Feindseligkeiten „in
Fetzen ins Meer fliegen werde". Man hat sicher allen Grund, Äußerungen
aus solchem Munde ernst zu nehmen, und es liegt uns dabei fern, moralische
Maßstäbe anlegen zu wollen. Diese weichen im Existenzkampfe eben der Macht- und
Zweckmäßigkeitsfrage. Wie sie sich allerdings für England in den bewußten Fragen
tatsächlich stellen würden, dürfte keineswegs so ausgemacht und klar sein, wie viele
Briten es annehmen; das gehört aber nicht zu unserem heute zubehandelnden Thema.

Durch alle Abstimmungen und Kundgebungen hat man aber die Tatsache
nicht aus der Welt geschafft, daß die Festlandmächte durch Umwandlung von


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[0305] Kommt die Raxerei wieder? Ergebnis — die Unmöglichkeit einer Einigung über die Umwandlungsfrage — in England jenen Eindruck hervorgerufen hat, der sonst gar nicht zu verstehen wäre. Gerade in diesem Zusammenhange darf nicht vergessen werden, daß das See¬ kriegsrecht, zumal seine praktische Handhabung, mit nur unwesentlichen Ausnahmen auf das englische Interesse unter einem ausschließlich anglozentrischen Gesichts¬ punkt zugeschnitten und auf entsprechender Grundlage aufgebaut war. Wir treffen hier den traditionellen britischen Suprematiegedanken, verbunden mit einer hoch¬ gradig gewordenen Empfindlichkeit besonders Deutschland gegenüber. Wenn die Vertreter der britischen Regierung sich gelegentlich, in Anerkennung der ver¬ änderten Zeiten und Verhältnisse, geneigt gezeigt haben, die Berechtigung und praktische Notwendigkeit einer tatsächlich internationalen Ausgestaltung des See¬ kriegsrechtes anzuerkennen, so lebt im britischen Volke die alte Tradition un¬ geschwächt weiter, daß Britannien, die Trägerin der Ozeansuprematie, die Gesetze für den Seekrieg den anderen Seemächten vorzuschreiben nicht nur das Recht habe, sondern daß diese Rolle eine Grundbedingung eben seiner Suprematie sei. Anläßlich der öffentlichen Erörterungen über die Fragen der Haager und der Londoner Konferenz gab es in der unionistischen Presse nur eine Stimme des Bedenkens darüber, daß Großbritannien sich auf gleichem Fuße mit den anderen Mächten beteilige, wo es sein eigentlicher Beruf sei, vorzuschreiben und zu befehlen. Ja die Imperialisten, an der Spitze der mehrfach genannte Mr. Gibson Bootes, beklagten, daß Großbritannien 1856 die Pariser Deklaration mit ihren Bestimmungen und ihrem Verbote der Kaperei unterzeichnet habe. Da läge das ^^vo ^of-»: und der grundsätzliche Fehler der britischen Politik, deshalb müsse man die Gelegenheit jetzt benutzen, um die alte absolute Freiheit wiederzugewinnen: durch Ablehnung der Londoner Deklaration. Eine weit über¬ wiegende Mehrheit des Oberhauses steht auf diesem Standpunkte und hat ihn, wie im vorigen Artikel gezeigt wurde, durch die Ablehnung der „^aval ?n?is Viti" betätigt. Einzelne hervorragende Staatsmänner, wie Lord Selborne, ein früherer Erster Lord der Admiralität, aber vertreten die Ansicht, daß selbst die Annahme der Bill bzw. die Ratifizierung der Deklaration unwesentlich sei, denn im großen Seekriege werde Großbritannien sich an nichts anderes kehren, als an die Wahrnehmung und den Schutz der eigenen Interessen. In der Marine sei man übereinstimmend der Ansicht, daß die Londoner Deklaration (wenn durch Ratifizierung anerkannt) wenige Tage nach Beginn der Feindseligkeiten „in Fetzen ins Meer fliegen werde". Man hat sicher allen Grund, Äußerungen aus solchem Munde ernst zu nehmen, und es liegt uns dabei fern, moralische Maßstäbe anlegen zu wollen. Diese weichen im Existenzkampfe eben der Macht- und Zweckmäßigkeitsfrage. Wie sie sich allerdings für England in den bewußten Fragen tatsächlich stellen würden, dürfte keineswegs so ausgemacht und klar sein, wie viele Briten es annehmen; das gehört aber nicht zu unserem heute zubehandelnden Thema. Durch alle Abstimmungen und Kundgebungen hat man aber die Tatsache nicht aus der Welt geschafft, daß die Festlandmächte durch Umwandlung von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/305>, abgerufen am 29.12.2024.