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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Avant die Kaperei wieder?

und die Dardanellen passierten, um sich, nachdem so den Meerengenverträgen
Genüge geleistet worden war. auf hoher See in Kriegsschiffe zu verwandeln und
Jagd auf neutrale Schiffe zu machen, die sie im Verdacht der Konterbande hatten.
Auf Vorstellungen der britischen Regierung stellte Rußland freilich dieses Ver¬
fahren ein, das in England große Beunruhigung und Verstimmung erregt hatte.
Das sind jetzt vergessene Dinge, man sieht nur Deutschland als von der
festen und raffiniert organisierten Absicht erfüllt, Großbritanniens Seehandel zu
vernichten. In einem der ersten Jahre des neuen Jahrhunderts hatten ack Kön
veranstaltete Manöverübungen der britischen Flotte, im Verein mit zahlreichen
Handelsschiffen (durch Vermittlung der Reedereien) gezeigt, daß die Verluste
für den englischen Seehandel während der ersten Periode des Krieges ganz
außerordentliche sein würden, unter der Voraussetzung, daß es dem Gegner
gelänge, sich auch nur ein paar Tage lang auf dem Ozean zu betätigen. Die
Ergebnisse sind damals nur lückenhaft bekannt gegeben worden, und zwar wie
die englische Presse behauptete: damit keine Beunruhigung in der englischen
Öffentlichkeit Platz griffe. Als außer Zweifel wurde aber allgemein angesehen,
daß der Schutz der britischen Ozeanfahrer ungleich viel schwieriger sein werde,
als in früheren Zeiten, während anderseits die Abhängigkeit der Bevölkerung
der britischen Inseln vom ungestörten Fortgange der überseeischen Zufuhr mindestens
im gleichen Maße gewachsen war. Nun wuchs die deutsche Flotte von Jahr
zu Jahr, die bekannten Gegensätze entwickelten sich immer mehr, und man darf
wohl annehmen, daß der britische Grundgedanke bei den seekriegsrechtlichen Ver¬
handlungen im Haag vor allem gewesen ist, dem Seehandel Großbritanniens
auf international anerkannten Rechtsgrundlagen, auch im Kriege denkbar hohe
Sicherheit zu gewährleisten, ohne daß anderseits die Aktionsfreiheit der britischen
Flotte im Kriege gegen die feindliche Handelsflotte beeinträchtigt würde. Diese
Aufgabe hätte -- im Gegensatz zum äußeren Anschein -- keineswegs die
Quadratur des Kreises bedeutet, wie gleich gezeigt werden soll. Gestört aber
wurde, und wie es scheint unerwarteterweise, alles durch den schon im Haag
sich geltend machenden Gegensatz "Festland-Insel", und durch die Tatsache, daß
gerade diejenige Macht den Ton des Festlandes am festesten und durchdachtesten
vertrat, welche die britischen Sachverständigen durch entsprechende internationale Be¬
stimmungen vor allem im Kriege zu paralysieren gedacht hatten. Das gleiche wieder¬
holte sich, wie gezeigt wurde, während der Londoner Konferenz, und die neueste Re¬
aktion Großbritanniens bildet eben das "armierte Handelsschiff" Mr. Churchills.




Werfen wir einen kurzen Blick auf das Wesen des deutschen Standpunktes:
worin begründet sich das deutsche Verlangen, seine als Hilfskreuzer bestimmten
Handelsdampfer auch auf hoher See in Kriegsschiffe umwandeln zu können?

Die Handelsflotte des deutschen Reiches ist bereits jetzt sehr groß und sie
wächst weiter. Der überseeische Handel, den sie vermittelt, bedeutet von Jahr


Avant die Kaperei wieder?

und die Dardanellen passierten, um sich, nachdem so den Meerengenverträgen
Genüge geleistet worden war. auf hoher See in Kriegsschiffe zu verwandeln und
Jagd auf neutrale Schiffe zu machen, die sie im Verdacht der Konterbande hatten.
Auf Vorstellungen der britischen Regierung stellte Rußland freilich dieses Ver¬
fahren ein, das in England große Beunruhigung und Verstimmung erregt hatte.
Das sind jetzt vergessene Dinge, man sieht nur Deutschland als von der
festen und raffiniert organisierten Absicht erfüllt, Großbritanniens Seehandel zu
vernichten. In einem der ersten Jahre des neuen Jahrhunderts hatten ack Kön
veranstaltete Manöverübungen der britischen Flotte, im Verein mit zahlreichen
Handelsschiffen (durch Vermittlung der Reedereien) gezeigt, daß die Verluste
für den englischen Seehandel während der ersten Periode des Krieges ganz
außerordentliche sein würden, unter der Voraussetzung, daß es dem Gegner
gelänge, sich auch nur ein paar Tage lang auf dem Ozean zu betätigen. Die
Ergebnisse sind damals nur lückenhaft bekannt gegeben worden, und zwar wie
die englische Presse behauptete: damit keine Beunruhigung in der englischen
Öffentlichkeit Platz griffe. Als außer Zweifel wurde aber allgemein angesehen,
daß der Schutz der britischen Ozeanfahrer ungleich viel schwieriger sein werde,
als in früheren Zeiten, während anderseits die Abhängigkeit der Bevölkerung
der britischen Inseln vom ungestörten Fortgange der überseeischen Zufuhr mindestens
im gleichen Maße gewachsen war. Nun wuchs die deutsche Flotte von Jahr
zu Jahr, die bekannten Gegensätze entwickelten sich immer mehr, und man darf
wohl annehmen, daß der britische Grundgedanke bei den seekriegsrechtlichen Ver¬
handlungen im Haag vor allem gewesen ist, dem Seehandel Großbritanniens
auf international anerkannten Rechtsgrundlagen, auch im Kriege denkbar hohe
Sicherheit zu gewährleisten, ohne daß anderseits die Aktionsfreiheit der britischen
Flotte im Kriege gegen die feindliche Handelsflotte beeinträchtigt würde. Diese
Aufgabe hätte — im Gegensatz zum äußeren Anschein — keineswegs die
Quadratur des Kreises bedeutet, wie gleich gezeigt werden soll. Gestört aber
wurde, und wie es scheint unerwarteterweise, alles durch den schon im Haag
sich geltend machenden Gegensatz „Festland-Insel", und durch die Tatsache, daß
gerade diejenige Macht den Ton des Festlandes am festesten und durchdachtesten
vertrat, welche die britischen Sachverständigen durch entsprechende internationale Be¬
stimmungen vor allem im Kriege zu paralysieren gedacht hatten. Das gleiche wieder¬
holte sich, wie gezeigt wurde, während der Londoner Konferenz, und die neueste Re¬
aktion Großbritanniens bildet eben das „armierte Handelsschiff" Mr. Churchills.




Werfen wir einen kurzen Blick auf das Wesen des deutschen Standpunktes:
worin begründet sich das deutsche Verlangen, seine als Hilfskreuzer bestimmten
Handelsdampfer auch auf hoher See in Kriegsschiffe umwandeln zu können?

Die Handelsflotte des deutschen Reiches ist bereits jetzt sehr groß und sie
wächst weiter. Der überseeische Handel, den sie vermittelt, bedeutet von Jahr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/302>, abgerufen am 19.10.2024.