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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Dänische Leute und dänisches Land im Spiegel des Romans

scheinlichkeiten in den Kauf, um so mehr, als die Fabel nur das äußere Mittel
ist, uns neben Charakteren und Landschaft auch die besondere Eigenart Kopen¬
hagener und ländlicher dänischer Kreise nahe zu bringen.

Die Bauditzschen Hauptwerke sind die drei großen Romane "Absalons
Brunnen", "Wildmoorprinzeß" und "Die Chronik des Garnisonstädtchens". Von
diesen möchte ich "Absalons Brunnen" den Preis zuerkennen. Die Geschichte
dreht sich hier um eine Zollumperei, die der Großkaufmann Lange begangen,
aber seinem Angestellten Lund zugeschoben hat: Seidenstoffe sind auf dem Boden
italienischer Apfelftnenkisten eingeführt und im Hof des Großhändlers ausgepackt
worden, wobei verschleppter Samen des italienischen trifolium resupinatum
dort zu Boden fällt und später zum Keimen gelangt. Dieses unscheinbare
Vorkommnis wird ausgesponnen, um Vertreter der verschiedenen Kopenhagener
Volksschichten zueinander in Beziehung zu setzen, wobei Bauditz, ähnlich wie
Dickens, eine besondere Vorliebe für originelle großstädtische Mauer- und Winkel¬
pflanzen beweist (Terndrup, Mille Buxbaum u. a.). Daneben werden künst¬
lerische Kreise in dem frischen und prachtvoll inkonsequenten Maler Holst und
dessen Freund, dem Sonderling Duborg, zur geldprotzigen, engherzigen Kauf¬
mannsschicht in Gegensatz gebracht, und zwar durch einen sehr fein durch¬
geführten Ehekonflikt, den Duborg mit der Tochter des Großhändlers durch"
zufechten hat. Alle Situationen und Ereignisse gruppieren sich -- und das ist
für Bauditz bezeichnend -- um dies Nichts von Trifolium mit einer zwanglosen
Selbständigkeit wie anschießende Kristalle um einen Zwirnsfaden.

Ebensolche leichte Netzwerke, die dem unbefangenen Leser in ihrer spinn-
webigen Feinheit kaum zum Bewußtsein kommen, den ästhetisch Feinfühligen
aber entzücken, bilden den Numpf der beiden anderen Romane. In der "Wild¬
moorprinzeß" ist es ein gefälschtes Testament -- also ein an sich recht abge¬
griffenes Arsenalstück -- das für die Vertreter zweier Stände in zahlreichen Einzel¬
charakteren und amüsanten episodischen Figuren zu einer Art Erisapfel wird. Der
bürgerliche Ingenieur Kongstedt, von Rechts wegen Besitzer des Gutes Hjortholm,
und die feudale Fanny Höibro, die "Wildmoorprinzeß", seine tatsächliche Inhaberin
auf Grund des Testaments, streiten als Repräsentanten der verstandesklaren
neuen und der gefühlsromantischen älteren Zeit widereinander, bis die Liebe
dem Zank ein Ende macht. In der bunten Menschlichkeit, die uns in dem
Roman entgegentritt, hebt sich die Prachtfigur der "Tante Rosa" heraus, die
an Fanny Mutterstelle vertritt, und neben dem schon genannten menschlich
etwas verkrachten Hauptmann Riis die amüsante Ruine des geistesschwachen
"Onkel Heinrich", des "Familienhaupts" der Höibros. In der köstlichen Gruppe
der Kopenhagener Literatursnobs macht Bauditz seinen privaten literarischen Ge¬
fühlen Luft.

Der Reiz des dritten Romans liegt, neben den auch hier wieder fo
treffsicher und humorvoll gezeichneten Kleinstadtoriginalen, in dem besonderen
Zeit- und dem intimen Milieukolorit. Bauditz führt uns in ein südjütisches


Dänische Leute und dänisches Land im Spiegel des Romans

scheinlichkeiten in den Kauf, um so mehr, als die Fabel nur das äußere Mittel
ist, uns neben Charakteren und Landschaft auch die besondere Eigenart Kopen¬
hagener und ländlicher dänischer Kreise nahe zu bringen.

Die Bauditzschen Hauptwerke sind die drei großen Romane „Absalons
Brunnen", „Wildmoorprinzeß" und „Die Chronik des Garnisonstädtchens". Von
diesen möchte ich „Absalons Brunnen" den Preis zuerkennen. Die Geschichte
dreht sich hier um eine Zollumperei, die der Großkaufmann Lange begangen,
aber seinem Angestellten Lund zugeschoben hat: Seidenstoffe sind auf dem Boden
italienischer Apfelftnenkisten eingeführt und im Hof des Großhändlers ausgepackt
worden, wobei verschleppter Samen des italienischen trifolium resupinatum
dort zu Boden fällt und später zum Keimen gelangt. Dieses unscheinbare
Vorkommnis wird ausgesponnen, um Vertreter der verschiedenen Kopenhagener
Volksschichten zueinander in Beziehung zu setzen, wobei Bauditz, ähnlich wie
Dickens, eine besondere Vorliebe für originelle großstädtische Mauer- und Winkel¬
pflanzen beweist (Terndrup, Mille Buxbaum u. a.). Daneben werden künst¬
lerische Kreise in dem frischen und prachtvoll inkonsequenten Maler Holst und
dessen Freund, dem Sonderling Duborg, zur geldprotzigen, engherzigen Kauf¬
mannsschicht in Gegensatz gebracht, und zwar durch einen sehr fein durch¬
geführten Ehekonflikt, den Duborg mit der Tochter des Großhändlers durch»
zufechten hat. Alle Situationen und Ereignisse gruppieren sich — und das ist
für Bauditz bezeichnend — um dies Nichts von Trifolium mit einer zwanglosen
Selbständigkeit wie anschießende Kristalle um einen Zwirnsfaden.

Ebensolche leichte Netzwerke, die dem unbefangenen Leser in ihrer spinn-
webigen Feinheit kaum zum Bewußtsein kommen, den ästhetisch Feinfühligen
aber entzücken, bilden den Numpf der beiden anderen Romane. In der „Wild¬
moorprinzeß" ist es ein gefälschtes Testament — also ein an sich recht abge¬
griffenes Arsenalstück — das für die Vertreter zweier Stände in zahlreichen Einzel¬
charakteren und amüsanten episodischen Figuren zu einer Art Erisapfel wird. Der
bürgerliche Ingenieur Kongstedt, von Rechts wegen Besitzer des Gutes Hjortholm,
und die feudale Fanny Höibro, die „Wildmoorprinzeß", seine tatsächliche Inhaberin
auf Grund des Testaments, streiten als Repräsentanten der verstandesklaren
neuen und der gefühlsromantischen älteren Zeit widereinander, bis die Liebe
dem Zank ein Ende macht. In der bunten Menschlichkeit, die uns in dem
Roman entgegentritt, hebt sich die Prachtfigur der „Tante Rosa" heraus, die
an Fanny Mutterstelle vertritt, und neben dem schon genannten menschlich
etwas verkrachten Hauptmann Riis die amüsante Ruine des geistesschwachen
„Onkel Heinrich", des „Familienhaupts" der Höibros. In der köstlichen Gruppe
der Kopenhagener Literatursnobs macht Bauditz seinen privaten literarischen Ge¬
fühlen Luft.

Der Reiz des dritten Romans liegt, neben den auch hier wieder fo
treffsicher und humorvoll gezeichneten Kleinstadtoriginalen, in dem besonderen
Zeit- und dem intimen Milieukolorit. Bauditz führt uns in ein südjütisches


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/292>, abgerufen am 19.10.2024.