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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Dänische Leute und dänisches Land im Spiegel des Romans

liebe und Lebensinhalt, für den es zu seiner heimatlichen Landschaft gehört wie
die Glocke zur Kirche oder wie der Finkenschlag zum Walde. Auch das ist
wieder ein ganz germanischer Zug. Hat jemals ein Romanschreiber echteres
und waidgerechteres Jägerblut in die Welt gesetzt als Bauditz in seinem Ritt¬
meister Ravnhjelm, seinem Hauptmann Riis in der "Wildmoorprinzeß", seinem
Förster Lynge in den "Forsthausgeschichten", und vor allem in seinem verkrachten
westjütischen Schulmeister Terndrup? Dieser Terndrup ist ein Meisterwerk
Bauditzscher Chyrakterisierungskunst und Bauditzscheu Humors. Er ist ein
Gegenstück zu seinem gelehrten Freunde Berner in "Absalons Brunnen". Was
Kopenhagen für Berner ist -- der seine Fauna und Flora nicht minder genau
kennt wie seine Geschichte, von den Schicksalen der Kopenhagener Wanderratte
bis zu dem des trilolium re8upinatum -- das ist der jüdische Strand, die
jüdische Heide für Freund Terndrup. Aber ach, seine Liebe zur Natur hat nicht
die gleiche Liebe in den Herzen seiner Vorgesetzten gefunden. Statt Schule
zu halten, hat er feine Jungens zu tüchtigen Treibern ausgebildet und ist mit
ihnen anstatt durch Gesang- und Lesebuch durch Wald und Heide gezogen --
was gleicht auf Erden der Jägerlust? --, bis der gestrenge Herr Bischof und
die böse Schulvisitation dieser eines germanischen Mannes allein würdigen Be¬
schäftigung ein Ende machten. Nun sitzt er, der der Flinte auf ewig ab¬
geschworen hat, in Kopenhagen, in einer müssiger Butike, wo er als gemischter
Antiquariats- und Naturalienhändler bei der besseren Schuljugend "seine
Nahrung sucht", durch Ankauf und Austausch von Schulwörterbüchern und
anderen augenverderbenden Schustern gegen Muscheln, Nattern, Tintenfische,
Bandwürmer in Spiritus und ähnlichen interessanten Dingen. Allerdings mit
Unterbrechungen. Nicht selten hängt an seiner Ladentür ein Stück Pappe mit
der Aufschrift "Komme sofort", und Exschullehrer Terndrup, der sich von anderen
Menschen auch dadurch unterscheidet, daß er niemals Frühlings-, aber ständig
Herbstgefühle hat, sitzt im Taubenschlag. Dort sieht er die Tauben in der Luft
mit den Flügeln kentern -- so wie er selbst im Leben gekentert ist -- und träumt
von Rebhühnern und Brachschnepfen, von-Füchsen und Wanderfalken. Solange,
bis schließlich die Aufschrift "Komme sofort" durch eine andere, mehr der Wahr¬
heit entsprechende ersetzt wird. "Wegen Beerdigung geschlossen" heißt es jetzt,
aber die Leichen sind Brachschnepfen usw. und Arzt, Gefolge. Bestatter und
Grab in alleiniger Person ist der an sich selbst zum Meineidigen gewordene
Terndrup. Schließlich wird er sogar zum Mörder und Wilddieb an einem
Tante Hanne und Tante Sine gehörigen Rehbock.

Die Originale der Bauditzschen Erzählungen können nicht alle aufgeführt
werden. Es sind zu viele. Jedenfalls liegt in den feinen Profillinien und dem
von humorvollen Lichtern durchsonnten weichen Realismus seiner Charakterköpfe
die Würze seiner Kunst, während die Erfindung nicht seine starke Seite ist.
Aber wegen des unendlichen Behagens, der rein ästhetischen Freude an dieser
Fülle amüsanter Menschlichkeit nimmt man gern einige romanhafte Unwahr-


Dänische Leute und dänisches Land im Spiegel des Romans

liebe und Lebensinhalt, für den es zu seiner heimatlichen Landschaft gehört wie
die Glocke zur Kirche oder wie der Finkenschlag zum Walde. Auch das ist
wieder ein ganz germanischer Zug. Hat jemals ein Romanschreiber echteres
und waidgerechteres Jägerblut in die Welt gesetzt als Bauditz in seinem Ritt¬
meister Ravnhjelm, seinem Hauptmann Riis in der „Wildmoorprinzeß", seinem
Förster Lynge in den „Forsthausgeschichten", und vor allem in seinem verkrachten
westjütischen Schulmeister Terndrup? Dieser Terndrup ist ein Meisterwerk
Bauditzscher Chyrakterisierungskunst und Bauditzscheu Humors. Er ist ein
Gegenstück zu seinem gelehrten Freunde Berner in „Absalons Brunnen". Was
Kopenhagen für Berner ist — der seine Fauna und Flora nicht minder genau
kennt wie seine Geschichte, von den Schicksalen der Kopenhagener Wanderratte
bis zu dem des trilolium re8upinatum — das ist der jüdische Strand, die
jüdische Heide für Freund Terndrup. Aber ach, seine Liebe zur Natur hat nicht
die gleiche Liebe in den Herzen seiner Vorgesetzten gefunden. Statt Schule
zu halten, hat er feine Jungens zu tüchtigen Treibern ausgebildet und ist mit
ihnen anstatt durch Gesang- und Lesebuch durch Wald und Heide gezogen —
was gleicht auf Erden der Jägerlust? —, bis der gestrenge Herr Bischof und
die böse Schulvisitation dieser eines germanischen Mannes allein würdigen Be¬
schäftigung ein Ende machten. Nun sitzt er, der der Flinte auf ewig ab¬
geschworen hat, in Kopenhagen, in einer müssiger Butike, wo er als gemischter
Antiquariats- und Naturalienhändler bei der besseren Schuljugend „seine
Nahrung sucht", durch Ankauf und Austausch von Schulwörterbüchern und
anderen augenverderbenden Schustern gegen Muscheln, Nattern, Tintenfische,
Bandwürmer in Spiritus und ähnlichen interessanten Dingen. Allerdings mit
Unterbrechungen. Nicht selten hängt an seiner Ladentür ein Stück Pappe mit
der Aufschrift „Komme sofort", und Exschullehrer Terndrup, der sich von anderen
Menschen auch dadurch unterscheidet, daß er niemals Frühlings-, aber ständig
Herbstgefühle hat, sitzt im Taubenschlag. Dort sieht er die Tauben in der Luft
mit den Flügeln kentern — so wie er selbst im Leben gekentert ist — und träumt
von Rebhühnern und Brachschnepfen, von-Füchsen und Wanderfalken. Solange,
bis schließlich die Aufschrift „Komme sofort" durch eine andere, mehr der Wahr¬
heit entsprechende ersetzt wird. „Wegen Beerdigung geschlossen" heißt es jetzt,
aber die Leichen sind Brachschnepfen usw. und Arzt, Gefolge. Bestatter und
Grab in alleiniger Person ist der an sich selbst zum Meineidigen gewordene
Terndrup. Schließlich wird er sogar zum Mörder und Wilddieb an einem
Tante Hanne und Tante Sine gehörigen Rehbock.

Die Originale der Bauditzschen Erzählungen können nicht alle aufgeführt
werden. Es sind zu viele. Jedenfalls liegt in den feinen Profillinien und dem
von humorvollen Lichtern durchsonnten weichen Realismus seiner Charakterköpfe
die Würze seiner Kunst, während die Erfindung nicht seine starke Seite ist.
Aber wegen des unendlichen Behagens, der rein ästhetischen Freude an dieser
Fülle amüsanter Menschlichkeit nimmt man gern einige romanhafte Unwahr-


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[0291] Dänische Leute und dänisches Land im Spiegel des Romans liebe und Lebensinhalt, für den es zu seiner heimatlichen Landschaft gehört wie die Glocke zur Kirche oder wie der Finkenschlag zum Walde. Auch das ist wieder ein ganz germanischer Zug. Hat jemals ein Romanschreiber echteres und waidgerechteres Jägerblut in die Welt gesetzt als Bauditz in seinem Ritt¬ meister Ravnhjelm, seinem Hauptmann Riis in der „Wildmoorprinzeß", seinem Förster Lynge in den „Forsthausgeschichten", und vor allem in seinem verkrachten westjütischen Schulmeister Terndrup? Dieser Terndrup ist ein Meisterwerk Bauditzscher Chyrakterisierungskunst und Bauditzscheu Humors. Er ist ein Gegenstück zu seinem gelehrten Freunde Berner in „Absalons Brunnen". Was Kopenhagen für Berner ist — der seine Fauna und Flora nicht minder genau kennt wie seine Geschichte, von den Schicksalen der Kopenhagener Wanderratte bis zu dem des trilolium re8upinatum — das ist der jüdische Strand, die jüdische Heide für Freund Terndrup. Aber ach, seine Liebe zur Natur hat nicht die gleiche Liebe in den Herzen seiner Vorgesetzten gefunden. Statt Schule zu halten, hat er feine Jungens zu tüchtigen Treibern ausgebildet und ist mit ihnen anstatt durch Gesang- und Lesebuch durch Wald und Heide gezogen — was gleicht auf Erden der Jägerlust? —, bis der gestrenge Herr Bischof und die böse Schulvisitation dieser eines germanischen Mannes allein würdigen Be¬ schäftigung ein Ende machten. Nun sitzt er, der der Flinte auf ewig ab¬ geschworen hat, in Kopenhagen, in einer müssiger Butike, wo er als gemischter Antiquariats- und Naturalienhändler bei der besseren Schuljugend „seine Nahrung sucht", durch Ankauf und Austausch von Schulwörterbüchern und anderen augenverderbenden Schustern gegen Muscheln, Nattern, Tintenfische, Bandwürmer in Spiritus und ähnlichen interessanten Dingen. Allerdings mit Unterbrechungen. Nicht selten hängt an seiner Ladentür ein Stück Pappe mit der Aufschrift „Komme sofort", und Exschullehrer Terndrup, der sich von anderen Menschen auch dadurch unterscheidet, daß er niemals Frühlings-, aber ständig Herbstgefühle hat, sitzt im Taubenschlag. Dort sieht er die Tauben in der Luft mit den Flügeln kentern — so wie er selbst im Leben gekentert ist — und träumt von Rebhühnern und Brachschnepfen, von-Füchsen und Wanderfalken. Solange, bis schließlich die Aufschrift „Komme sofort" durch eine andere, mehr der Wahr¬ heit entsprechende ersetzt wird. „Wegen Beerdigung geschlossen" heißt es jetzt, aber die Leichen sind Brachschnepfen usw. und Arzt, Gefolge. Bestatter und Grab in alleiniger Person ist der an sich selbst zum Meineidigen gewordene Terndrup. Schließlich wird er sogar zum Mörder und Wilddieb an einem Tante Hanne und Tante Sine gehörigen Rehbock. Die Originale der Bauditzschen Erzählungen können nicht alle aufgeführt werden. Es sind zu viele. Jedenfalls liegt in den feinen Profillinien und dem von humorvollen Lichtern durchsonnten weichen Realismus seiner Charakterköpfe die Würze seiner Kunst, während die Erfindung nicht seine starke Seite ist. Aber wegen des unendlichen Behagens, der rein ästhetischen Freude an dieser Fülle amüsanter Menschlichkeit nimmt man gern einige romanhafte Unwahr-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/291>, abgerufen am 29.12.2024.