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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

"Und wenn er muckt!" Herr von Wenkendorff schwang sich, etwas schwer¬
fällig zwar, aber doch ohne Hilfe in den Sattel: "Er kennt mich -- er wird
mir parieren. Und nun los, meine Herren!"

Diesmal wurde der Weg um das Herrenhaus herum durch die große Allee
genommen.

"Ein alter Recke -- Ihr Vater!" sagte Cäsar von Brügge, der die Reiter
mit Edles bis zum Parktor begleitet hatte.

"Was sein muß, muß sein. Es ging nicht anders!" war ihre einfache
Entgegnung.

"Die Herren bleiben am besten im Saal!" schlug Edda vor, die jetzt mit
Sandberg aus dem Hause trat. "Wir drei suchen Eoi!"

Sandberg, der eine Laterne trug, übernahm die Führung. Da er den
ersten Schuß aus dem Gemüsegarten hatte fallen hören, gingen sie zunächst
dorthin.

Sie leuchteten die Wege ab und verfolgten an den zahlreichen Fußspuren
die Richtung, aus der der Überfall geschehen war.

"Da haben Sie es!" rief Sandberg. Er sah neben dem Bretterhaufen
sein Gewehr liegen: "Der Schrotlauf ist abgefeuert, und wahrscheinlich unfrei¬
willig. Eoi wird über die Bretter gestolpert sein, und der Schuß hat ihr das
Gewehr aus der Hand geschlagen. Sehen Sie -- hier im Spargelbeet sind
ihre Tritte."

Deutlich hatte sich Evis kleiner Fuß in dem weichen Boden abgedrückt.
..Hier ist sie abgerutscht -- hier geht es weiter. Sie ist zwischen den Beeten
bis zur Mauer gerannt!"

Sandberg bückte sich tief zur Erde und folgte den von der Laterne
beleuchteten Spuren mit erstaunlicher Schnelligkeit.

An der Mauer machten die drei halt. An ihr entlang ging ein befestigter
Weg, auf dem keine Abdrücke mehr zu unterscheiden waren. Sandberg zog seine
Schlüsse wie ein erfahrener Detektiv.

"Sie ist über die Mauer geflohen. Aber bei den zwei Metern Höhe ist
ihr das nicht so ohne weiteres gelungen. Wie ich Evi kenne, wird sie dort in
der Ecke auf den Apfelbaum geklettert sein. . ."

"Natürlich." rief Edda. "Das hat sie ja schon als Kind gemacht!"

Der Baum wurde sorgfältig abgesucht und mehrere gebrochene Zweige
bestätigten Sandbergs Vermutung. Er schwang sich hinauf und beleuchtete die
andere Seite der Mauer.

"Denselben Weg hat die Bande genommen, als sie kam. Der Acker ist
ganz zertrampelt. Von Evi kann ich nichts entdecken!"

Ratlos machten die drei kehrt und gingen zurück.

"Vielleicht ist sie im Gewächshaus!" meinte Edda.

"Dann hätte sie sich längst gemeldet!" entgegnet Edles. Aber sie gingen
doch hinein und leuchteten in jeden Winkel.


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Sturm

„Und wenn er muckt!" Herr von Wenkendorff schwang sich, etwas schwer¬
fällig zwar, aber doch ohne Hilfe in den Sattel: „Er kennt mich — er wird
mir parieren. Und nun los, meine Herren!"

Diesmal wurde der Weg um das Herrenhaus herum durch die große Allee
genommen.

„Ein alter Recke — Ihr Vater!" sagte Cäsar von Brügge, der die Reiter
mit Edles bis zum Parktor begleitet hatte.

„Was sein muß, muß sein. Es ging nicht anders!" war ihre einfache
Entgegnung.

„Die Herren bleiben am besten im Saal!" schlug Edda vor, die jetzt mit
Sandberg aus dem Hause trat. „Wir drei suchen Eoi!"

Sandberg, der eine Laterne trug, übernahm die Führung. Da er den
ersten Schuß aus dem Gemüsegarten hatte fallen hören, gingen sie zunächst
dorthin.

Sie leuchteten die Wege ab und verfolgten an den zahlreichen Fußspuren
die Richtung, aus der der Überfall geschehen war.

„Da haben Sie es!" rief Sandberg. Er sah neben dem Bretterhaufen
sein Gewehr liegen: „Der Schrotlauf ist abgefeuert, und wahrscheinlich unfrei¬
willig. Eoi wird über die Bretter gestolpert sein, und der Schuß hat ihr das
Gewehr aus der Hand geschlagen. Sehen Sie — hier im Spargelbeet sind
ihre Tritte."

Deutlich hatte sich Evis kleiner Fuß in dem weichen Boden abgedrückt.
..Hier ist sie abgerutscht — hier geht es weiter. Sie ist zwischen den Beeten
bis zur Mauer gerannt!"

Sandberg bückte sich tief zur Erde und folgte den von der Laterne
beleuchteten Spuren mit erstaunlicher Schnelligkeit.

An der Mauer machten die drei halt. An ihr entlang ging ein befestigter
Weg, auf dem keine Abdrücke mehr zu unterscheiden waren. Sandberg zog seine
Schlüsse wie ein erfahrener Detektiv.

„Sie ist über die Mauer geflohen. Aber bei den zwei Metern Höhe ist
ihr das nicht so ohne weiteres gelungen. Wie ich Evi kenne, wird sie dort in
der Ecke auf den Apfelbaum geklettert sein. . ."

„Natürlich." rief Edda. „Das hat sie ja schon als Kind gemacht!"

Der Baum wurde sorgfältig abgesucht und mehrere gebrochene Zweige
bestätigten Sandbergs Vermutung. Er schwang sich hinauf und beleuchtete die
andere Seite der Mauer.

„Denselben Weg hat die Bande genommen, als sie kam. Der Acker ist
ganz zertrampelt. Von Evi kann ich nichts entdecken!"

Ratlos machten die drei kehrt und gingen zurück.

„Vielleicht ist sie im Gewächshaus!" meinte Edda.

„Dann hätte sie sich längst gemeldet!" entgegnet Edles. Aber sie gingen
doch hinein und leuchteten in jeden Winkel.


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[0287] Sturm „Und wenn er muckt!" Herr von Wenkendorff schwang sich, etwas schwer¬ fällig zwar, aber doch ohne Hilfe in den Sattel: „Er kennt mich — er wird mir parieren. Und nun los, meine Herren!" Diesmal wurde der Weg um das Herrenhaus herum durch die große Allee genommen. „Ein alter Recke — Ihr Vater!" sagte Cäsar von Brügge, der die Reiter mit Edles bis zum Parktor begleitet hatte. „Was sein muß, muß sein. Es ging nicht anders!" war ihre einfache Entgegnung. „Die Herren bleiben am besten im Saal!" schlug Edda vor, die jetzt mit Sandberg aus dem Hause trat. „Wir drei suchen Eoi!" Sandberg, der eine Laterne trug, übernahm die Führung. Da er den ersten Schuß aus dem Gemüsegarten hatte fallen hören, gingen sie zunächst dorthin. Sie leuchteten die Wege ab und verfolgten an den zahlreichen Fußspuren die Richtung, aus der der Überfall geschehen war. „Da haben Sie es!" rief Sandberg. Er sah neben dem Bretterhaufen sein Gewehr liegen: „Der Schrotlauf ist abgefeuert, und wahrscheinlich unfrei¬ willig. Eoi wird über die Bretter gestolpert sein, und der Schuß hat ihr das Gewehr aus der Hand geschlagen. Sehen Sie — hier im Spargelbeet sind ihre Tritte." Deutlich hatte sich Evis kleiner Fuß in dem weichen Boden abgedrückt. ..Hier ist sie abgerutscht — hier geht es weiter. Sie ist zwischen den Beeten bis zur Mauer gerannt!" Sandberg bückte sich tief zur Erde und folgte den von der Laterne beleuchteten Spuren mit erstaunlicher Schnelligkeit. An der Mauer machten die drei halt. An ihr entlang ging ein befestigter Weg, auf dem keine Abdrücke mehr zu unterscheiden waren. Sandberg zog seine Schlüsse wie ein erfahrener Detektiv. „Sie ist über die Mauer geflohen. Aber bei den zwei Metern Höhe ist ihr das nicht so ohne weiteres gelungen. Wie ich Evi kenne, wird sie dort in der Ecke auf den Apfelbaum geklettert sein. . ." „Natürlich." rief Edda. „Das hat sie ja schon als Kind gemacht!" Der Baum wurde sorgfältig abgesucht und mehrere gebrochene Zweige bestätigten Sandbergs Vermutung. Er schwang sich hinauf und beleuchtete die andere Seite der Mauer. „Denselben Weg hat die Bande genommen, als sie kam. Der Acker ist ganz zertrampelt. Von Evi kann ich nichts entdecken!" Ratlos machten die drei kehrt und gingen zurück. „Vielleicht ist sie im Gewächshaus!" meinte Edda. „Dann hätte sie sich längst gemeldet!" entgegnet Edles. Aber sie gingen doch hinein und leuchteten in jeden Winkel. 18«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/287>, abgerufen am 28.12.2024.