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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Zentrums-Aolonialpolitik unter Bismarck

entsprach, während er sich später offen als Gegner bekannte, weil die Lage des
Reiches zwischen den zwei größten Militärmächten eine Zersplitterung seiner
Kraft nicht vertrage*). Bismarcks Vorwurf, daß das Zentrum prinzipiell gegen
die Kolonialpolitik sei, beantwortete Windthorst am 10. Januar 1885 mit der
bedenklichen Phrase: "nicht für jede, aber für eine richtige sind wir sehr."

Im Grunde wollte er nach seinen Reichstagsreden vom 9. und 10. Januar
und vom 2. März 1885 nur für "geeignetere", am liebsten Ackerbaukolonien,
die der Auswanderung dienten, Geld bewilligen. Bismarck aber betonte**),
daß die beschauliche Art des Abwartens, ob nicht etwas besser gebratene Tauben
den Deutschen in den Mund fliegen würden, auf die Kolonien keine Anwendung
finden könne. Denn in der Tat wäre die Regierung dann nie in die Lage gekommen,
sich die Frage vorzulegen, ob sie zugreifen sollte, bei dem was sich an Kolonien
überhaupt noch bot. Als Windthorst im Sinne Bambergers und seiner Genossen
schließlich vor einer Billigung der eingeschlagenen Richtung auf die Autorität
der dabei interessierten großen hanseatischen "Handelskönige" hin warnte, da ant¬
wortete Bismarck, daß eine Förderung der kapitalistischen Interessen (im Dern-
burgschen Sinne) auch in den Kolonien dem Mutterlande Vorteile bringe und
daß er dem Urteil der Überseepioniere, die die Länder zur Ausbeutung aus¬
gewählt hatten, mehr vertraue als irgendeinem heimatlichen Kritiker.

Für bedenklich hielt Windthorst -- und er befand sich dabei in voller Über¬
einstimmung mit August Reichensperger, der in einer Abschiedsrede an seine
Wähler in Krefeld am 12. Oktober 1884 die Stellung des Zentrums gegenüber
der Kolonialpolitik rechtfertigte***) -- bei aller Kolonialpolitik vor allem die Kon¬
sequenzen an stetig wachsenden Kosten und an neuen Reibungspunkten, die sie
für Deutschland bei der dadurch bedingten Kräftezersplitterung mit sich bringen
würden. Zur Beschwörung internationaler Verwicklungen machte er daher,
unter berechtigtem Hinweis auf die in England erwachte Eifersucht, die
neue Politik von einer Höherentwicklung der Marine abhängig, deren Kosten
er neben denen für das Landheer seinen Wählern nicht zumuten wollte.
Bismarck aber betonte damalsf), daß das von Windthorst geforderte Ziel
einer Seemacht, die die Kolonien auch schützen könne, ohne irgend eine
andere Macht fürchten zu müssen, für Deutschland überhaupt unerreichbar
sei. Denn nach seinen kontinentalen Anschauungen über die Flottenpolitikff)
bedürfte Deutschland niemals einer Marine ersten Ranges. Anderseits aber







*) Hüsgen 29ö.
*") Reden XI 141.
Vgl. Pastor, Reichensperger II 218. Ob sich Reichensperger freilich wirklich so
wenig mit den Problemen der Kolonialpolitik -- sei es mit positivem oder negativem Er¬
gebnis -- abgegeben hat, wie es nach Pastors Buch erscheint, ist bei dessen eigenartiger Stoff¬
auswahl (vgl. H. Oncken, Historische Zeitschrift 88, 247 ff.) nicht zu entscheiden,
f) Reden X 414 ff.
--
ff) Vergleiche meine Ausführungen über Bismarcks Flottenpolitik: Grenzboten 1910,
II 492 f.
Zentrums-Aolonialpolitik unter Bismarck

entsprach, während er sich später offen als Gegner bekannte, weil die Lage des
Reiches zwischen den zwei größten Militärmächten eine Zersplitterung seiner
Kraft nicht vertrage*). Bismarcks Vorwurf, daß das Zentrum prinzipiell gegen
die Kolonialpolitik sei, beantwortete Windthorst am 10. Januar 1885 mit der
bedenklichen Phrase: „nicht für jede, aber für eine richtige sind wir sehr."

Im Grunde wollte er nach seinen Reichstagsreden vom 9. und 10. Januar
und vom 2. März 1885 nur für „geeignetere", am liebsten Ackerbaukolonien,
die der Auswanderung dienten, Geld bewilligen. Bismarck aber betonte**),
daß die beschauliche Art des Abwartens, ob nicht etwas besser gebratene Tauben
den Deutschen in den Mund fliegen würden, auf die Kolonien keine Anwendung
finden könne. Denn in der Tat wäre die Regierung dann nie in die Lage gekommen,
sich die Frage vorzulegen, ob sie zugreifen sollte, bei dem was sich an Kolonien
überhaupt noch bot. Als Windthorst im Sinne Bambergers und seiner Genossen
schließlich vor einer Billigung der eingeschlagenen Richtung auf die Autorität
der dabei interessierten großen hanseatischen „Handelskönige" hin warnte, da ant¬
wortete Bismarck, daß eine Förderung der kapitalistischen Interessen (im Dern-
burgschen Sinne) auch in den Kolonien dem Mutterlande Vorteile bringe und
daß er dem Urteil der Überseepioniere, die die Länder zur Ausbeutung aus¬
gewählt hatten, mehr vertraue als irgendeinem heimatlichen Kritiker.

Für bedenklich hielt Windthorst — und er befand sich dabei in voller Über¬
einstimmung mit August Reichensperger, der in einer Abschiedsrede an seine
Wähler in Krefeld am 12. Oktober 1884 die Stellung des Zentrums gegenüber
der Kolonialpolitik rechtfertigte***) — bei aller Kolonialpolitik vor allem die Kon¬
sequenzen an stetig wachsenden Kosten und an neuen Reibungspunkten, die sie
für Deutschland bei der dadurch bedingten Kräftezersplitterung mit sich bringen
würden. Zur Beschwörung internationaler Verwicklungen machte er daher,
unter berechtigtem Hinweis auf die in England erwachte Eifersucht, die
neue Politik von einer Höherentwicklung der Marine abhängig, deren Kosten
er neben denen für das Landheer seinen Wählern nicht zumuten wollte.
Bismarck aber betonte damalsf), daß das von Windthorst geforderte Ziel
einer Seemacht, die die Kolonien auch schützen könne, ohne irgend eine
andere Macht fürchten zu müssen, für Deutschland überhaupt unerreichbar
sei. Denn nach seinen kontinentalen Anschauungen über die Flottenpolitikff)
bedürfte Deutschland niemals einer Marine ersten Ranges. Anderseits aber







*) Hüsgen 29ö.
*") Reden XI 141.
Vgl. Pastor, Reichensperger II 218. Ob sich Reichensperger freilich wirklich so
wenig mit den Problemen der Kolonialpolitik — sei es mit positivem oder negativem Er¬
gebnis — abgegeben hat, wie es nach Pastors Buch erscheint, ist bei dessen eigenartiger Stoff¬
auswahl (vgl. H. Oncken, Historische Zeitschrift 88, 247 ff.) nicht zu entscheiden,
f) Reden X 414 ff.
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ff) Vergleiche meine Ausführungen über Bismarcks Flottenpolitik: Grenzboten 1910,
II 492 f.
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[0278] Zentrums-Aolonialpolitik unter Bismarck entsprach, während er sich später offen als Gegner bekannte, weil die Lage des Reiches zwischen den zwei größten Militärmächten eine Zersplitterung seiner Kraft nicht vertrage*). Bismarcks Vorwurf, daß das Zentrum prinzipiell gegen die Kolonialpolitik sei, beantwortete Windthorst am 10. Januar 1885 mit der bedenklichen Phrase: „nicht für jede, aber für eine richtige sind wir sehr." Im Grunde wollte er nach seinen Reichstagsreden vom 9. und 10. Januar und vom 2. März 1885 nur für „geeignetere", am liebsten Ackerbaukolonien, die der Auswanderung dienten, Geld bewilligen. Bismarck aber betonte**), daß die beschauliche Art des Abwartens, ob nicht etwas besser gebratene Tauben den Deutschen in den Mund fliegen würden, auf die Kolonien keine Anwendung finden könne. Denn in der Tat wäre die Regierung dann nie in die Lage gekommen, sich die Frage vorzulegen, ob sie zugreifen sollte, bei dem was sich an Kolonien überhaupt noch bot. Als Windthorst im Sinne Bambergers und seiner Genossen schließlich vor einer Billigung der eingeschlagenen Richtung auf die Autorität der dabei interessierten großen hanseatischen „Handelskönige" hin warnte, da ant¬ wortete Bismarck, daß eine Förderung der kapitalistischen Interessen (im Dern- burgschen Sinne) auch in den Kolonien dem Mutterlande Vorteile bringe und daß er dem Urteil der Überseepioniere, die die Länder zur Ausbeutung aus¬ gewählt hatten, mehr vertraue als irgendeinem heimatlichen Kritiker. Für bedenklich hielt Windthorst — und er befand sich dabei in voller Über¬ einstimmung mit August Reichensperger, der in einer Abschiedsrede an seine Wähler in Krefeld am 12. Oktober 1884 die Stellung des Zentrums gegenüber der Kolonialpolitik rechtfertigte***) — bei aller Kolonialpolitik vor allem die Kon¬ sequenzen an stetig wachsenden Kosten und an neuen Reibungspunkten, die sie für Deutschland bei der dadurch bedingten Kräftezersplitterung mit sich bringen würden. Zur Beschwörung internationaler Verwicklungen machte er daher, unter berechtigtem Hinweis auf die in England erwachte Eifersucht, die neue Politik von einer Höherentwicklung der Marine abhängig, deren Kosten er neben denen für das Landheer seinen Wählern nicht zumuten wollte. Bismarck aber betonte damalsf), daß das von Windthorst geforderte Ziel einer Seemacht, die die Kolonien auch schützen könne, ohne irgend eine andere Macht fürchten zu müssen, für Deutschland überhaupt unerreichbar sei. Denn nach seinen kontinentalen Anschauungen über die Flottenpolitikff) bedürfte Deutschland niemals einer Marine ersten Ranges. Anderseits aber *) Hüsgen 29ö. *") Reden XI 141. Vgl. Pastor, Reichensperger II 218. Ob sich Reichensperger freilich wirklich so wenig mit den Problemen der Kolonialpolitik — sei es mit positivem oder negativem Er¬ gebnis — abgegeben hat, wie es nach Pastors Buch erscheint, ist bei dessen eigenartiger Stoff¬ auswahl (vgl. H. Oncken, Historische Zeitschrift 88, 247 ff.) nicht zu entscheiden, f) Reden X 414 ff. -- ff) Vergleiche meine Ausführungen über Bismarcks Flottenpolitik: Grenzboten 1910, II 492 f.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/278>, abgerufen am 29.12.2024.