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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Zentrums-Kolonialpolitik unter Bismarck

Denn das Zentrum suchte nach Bismarcks taktisch vortrefflicher Äußerung*) die
Sympathie der katholischen Wähler für die neue Politik dadurch zu erschüttern,
daß es insinuierte, die Kolonien würden in disparitätischer Weise zum Nachteil
der katholischen Konfession ausgebeutet. Zentrum und Germania, die nach
Bismarcks Bemerkung*") unberufene Wächter der katholischen Interessen und
(paritätischen) Berechtigungen waren, "kitzelten und peitschten" denn auch sofort
wieder den Kulturkampf aus Machtbedürfnis auf, indem sie an französisch¬
jesuitische Missionsbestrebungen ihren "höchst unpatriotischen Feldzug" gegen die
heimische Regierung knüpften***). Der Bruch der Regierung mit dem Zentrum
konnte daher nicht ausbleiben, als die katholische Presse für den Kulturkampf
wieder zu werben begann. Schrieb doch die Schlesische Volkszeitung am 3. De¬
zember 1885, daß die Kriegserklärung des Reichskanzlers "im katholischen Volk
weithin als ein erlösendes Wort mit Jubel begrüßt" werden würde, worauf
die norddeutsche Allgemeine Zeitung das schon lange unvermeidliche Machtwort
in einem äußerst scharfen Artikel aussprach.

Für die Kolonialpolitik wurde dieser Bruch glücklicherweise nicht von Be¬
deutung, da sie damals im wesentlichen schon abgeschlossen war. Auch fand das
Zentrum mit seiner Opposition bei anderen Parteien diesmal keine Unterstützung,
weil seine eigennützigen Tendenzen zu offenkundig waren. Bismarck suchte die
neue Wendung schließlich dadurch zu paralysieren, daß er das Schiedsgericht
des Papstes in dem Streite um die Karolinen zwischen Spanien und Deutsch¬
land anrief: ein Mittel, das freilich, wie alle feine Versuche eines Zusammen-
arbeitens mit dem Papste über den Kopf des Zentrums hinweg, wenig Eindruck
hinterließ und die Richtung der deutschen Ultramontanen kaum beeinflußte, weil,
nach Bismarcks Erklärung f). der Partei- und Fraktionsgeist des Zentrums sich
immer stärker erwies als ihr geistliches Oberhaupt! Auch in dieser Frage zeigte
die Partei wenig Verständnis für die Einmischung des Papstes, sondern bewies
auch hier, daß Windthorsts Wort vom 3. September 1885 in Münster "Der
Greis im Vatikan regiert doch die Welt" auf das Zentrum keine Anwendung
findet, sobald die kirchlichen Interessen seinen politischen einmal widersprechen.
So unzufrieden aber auch das Zentrum mit der Form des Nachgebens in der
Karolinenfrage sein mochte: die Tatsache billigte es. wie überhaupt alle Oppo¬
sitionsparteien -- was der Schande halber besonders betont werden muß --
nur der negativen Seite der Bismarckschen Kolonialpolitik, d. h. allen offiziellen
Verzichten, ihre restlos zustimmende Anerkennung gaben.

Die Hauptkämpen in den kolonialpolitischen Debatten des Zentrums waren
natürlich Windthorst und außerdem der Hilfssenator am Leipziger Kammergericht
Rintelen. Der erste Pfuirufer und spätere langjährige Präsident des Reichstags,






*) Reden XI 254.
Reden XI 253, 273.
**") Reden Xi 287 bis 292.
1) "Gedanken und Erinnerungen" II 153.
Zentrums-Kolonialpolitik unter Bismarck

Denn das Zentrum suchte nach Bismarcks taktisch vortrefflicher Äußerung*) die
Sympathie der katholischen Wähler für die neue Politik dadurch zu erschüttern,
daß es insinuierte, die Kolonien würden in disparitätischer Weise zum Nachteil
der katholischen Konfession ausgebeutet. Zentrum und Germania, die nach
Bismarcks Bemerkung*") unberufene Wächter der katholischen Interessen und
(paritätischen) Berechtigungen waren, „kitzelten und peitschten" denn auch sofort
wieder den Kulturkampf aus Machtbedürfnis auf, indem sie an französisch¬
jesuitische Missionsbestrebungen ihren „höchst unpatriotischen Feldzug" gegen die
heimische Regierung knüpften***). Der Bruch der Regierung mit dem Zentrum
konnte daher nicht ausbleiben, als die katholische Presse für den Kulturkampf
wieder zu werben begann. Schrieb doch die Schlesische Volkszeitung am 3. De¬
zember 1885, daß die Kriegserklärung des Reichskanzlers „im katholischen Volk
weithin als ein erlösendes Wort mit Jubel begrüßt" werden würde, worauf
die norddeutsche Allgemeine Zeitung das schon lange unvermeidliche Machtwort
in einem äußerst scharfen Artikel aussprach.

Für die Kolonialpolitik wurde dieser Bruch glücklicherweise nicht von Be¬
deutung, da sie damals im wesentlichen schon abgeschlossen war. Auch fand das
Zentrum mit seiner Opposition bei anderen Parteien diesmal keine Unterstützung,
weil seine eigennützigen Tendenzen zu offenkundig waren. Bismarck suchte die
neue Wendung schließlich dadurch zu paralysieren, daß er das Schiedsgericht
des Papstes in dem Streite um die Karolinen zwischen Spanien und Deutsch¬
land anrief: ein Mittel, das freilich, wie alle feine Versuche eines Zusammen-
arbeitens mit dem Papste über den Kopf des Zentrums hinweg, wenig Eindruck
hinterließ und die Richtung der deutschen Ultramontanen kaum beeinflußte, weil,
nach Bismarcks Erklärung f). der Partei- und Fraktionsgeist des Zentrums sich
immer stärker erwies als ihr geistliches Oberhaupt! Auch in dieser Frage zeigte
die Partei wenig Verständnis für die Einmischung des Papstes, sondern bewies
auch hier, daß Windthorsts Wort vom 3. September 1885 in Münster „Der
Greis im Vatikan regiert doch die Welt" auf das Zentrum keine Anwendung
findet, sobald die kirchlichen Interessen seinen politischen einmal widersprechen.
So unzufrieden aber auch das Zentrum mit der Form des Nachgebens in der
Karolinenfrage sein mochte: die Tatsache billigte es. wie überhaupt alle Oppo¬
sitionsparteien — was der Schande halber besonders betont werden muß —
nur der negativen Seite der Bismarckschen Kolonialpolitik, d. h. allen offiziellen
Verzichten, ihre restlos zustimmende Anerkennung gaben.

Die Hauptkämpen in den kolonialpolitischen Debatten des Zentrums waren
natürlich Windthorst und außerdem der Hilfssenator am Leipziger Kammergericht
Rintelen. Der erste Pfuirufer und spätere langjährige Präsident des Reichstags,






*) Reden XI 254.
Reden XI 253, 273.
**") Reden Xi 287 bis 292.
1) „Gedanken und Erinnerungen" II 153.
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[0275] Zentrums-Kolonialpolitik unter Bismarck Denn das Zentrum suchte nach Bismarcks taktisch vortrefflicher Äußerung*) die Sympathie der katholischen Wähler für die neue Politik dadurch zu erschüttern, daß es insinuierte, die Kolonien würden in disparitätischer Weise zum Nachteil der katholischen Konfession ausgebeutet. Zentrum und Germania, die nach Bismarcks Bemerkung*") unberufene Wächter der katholischen Interessen und (paritätischen) Berechtigungen waren, „kitzelten und peitschten" denn auch sofort wieder den Kulturkampf aus Machtbedürfnis auf, indem sie an französisch¬ jesuitische Missionsbestrebungen ihren „höchst unpatriotischen Feldzug" gegen die heimische Regierung knüpften***). Der Bruch der Regierung mit dem Zentrum konnte daher nicht ausbleiben, als die katholische Presse für den Kulturkampf wieder zu werben begann. Schrieb doch die Schlesische Volkszeitung am 3. De¬ zember 1885, daß die Kriegserklärung des Reichskanzlers „im katholischen Volk weithin als ein erlösendes Wort mit Jubel begrüßt" werden würde, worauf die norddeutsche Allgemeine Zeitung das schon lange unvermeidliche Machtwort in einem äußerst scharfen Artikel aussprach. Für die Kolonialpolitik wurde dieser Bruch glücklicherweise nicht von Be¬ deutung, da sie damals im wesentlichen schon abgeschlossen war. Auch fand das Zentrum mit seiner Opposition bei anderen Parteien diesmal keine Unterstützung, weil seine eigennützigen Tendenzen zu offenkundig waren. Bismarck suchte die neue Wendung schließlich dadurch zu paralysieren, daß er das Schiedsgericht des Papstes in dem Streite um die Karolinen zwischen Spanien und Deutsch¬ land anrief: ein Mittel, das freilich, wie alle feine Versuche eines Zusammen- arbeitens mit dem Papste über den Kopf des Zentrums hinweg, wenig Eindruck hinterließ und die Richtung der deutschen Ultramontanen kaum beeinflußte, weil, nach Bismarcks Erklärung f). der Partei- und Fraktionsgeist des Zentrums sich immer stärker erwies als ihr geistliches Oberhaupt! Auch in dieser Frage zeigte die Partei wenig Verständnis für die Einmischung des Papstes, sondern bewies auch hier, daß Windthorsts Wort vom 3. September 1885 in Münster „Der Greis im Vatikan regiert doch die Welt" auf das Zentrum keine Anwendung findet, sobald die kirchlichen Interessen seinen politischen einmal widersprechen. So unzufrieden aber auch das Zentrum mit der Form des Nachgebens in der Karolinenfrage sein mochte: die Tatsache billigte es. wie überhaupt alle Oppo¬ sitionsparteien — was der Schande halber besonders betont werden muß — nur der negativen Seite der Bismarckschen Kolonialpolitik, d. h. allen offiziellen Verzichten, ihre restlos zustimmende Anerkennung gaben. Die Hauptkämpen in den kolonialpolitischen Debatten des Zentrums waren natürlich Windthorst und außerdem der Hilfssenator am Leipziger Kammergericht Rintelen. Der erste Pfuirufer und spätere langjährige Präsident des Reichstags, *) Reden XI 254. Reden XI 253, 273. **") Reden Xi 287 bis 292. 1) „Gedanken und Erinnerungen" II 153.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/275>, abgerufen am 29.12.2024.