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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Richard Wagner und die Philosophie des deutschen Idealismus

Daß dann schließlich der deutsche Geist voll echter Religiosität ist, daß er
es mit der Religion ernst nimmt wie mit der Metaphysik, das bedarf auch bei
Wagner keiner besonderen Erwähnung. "Unter Religionsfreiheit versteht er
nichts anderes, als das Recht, mit dem Heiligsten es ernst und redlich meinen
zu dürfen."

So erhebt denn Wagner die Frage: "Ist der Deutsche eine bereits
zerbröckelte und seiner letzten Zersetzung entgegenstechende Völkererscheinung, oder
lebt in ihm noch eine besondere, der Natur um ihrer Erlösung willen unendlich
wichtige Anlage, -- eine Anlage, die, vollkommen ausgebildet, einer weit
ausgedehnten neuen Welt den Untergang der uns jetzt immer so überragenden
alten Welt ersetzen könnte?" Genau so hat Fichte seine Schlußrede formuliert,
und Wagner selbst hat uns die Antwort auf seine Frage längst gegeben. Es
hat eben mit dem deutschen Geist eine besondere Bewandtnis. Aufgabe des
deutschen Volkes ist es, "mit Hilfe aller uns verwandten germanischen Stämme
die ganze Welt mit unseren eigentümlichen Kulturschöpfungen zu durchdringen."
Auch bei Wagner ist das deutsche Volk das einzige, echte Kulturvolk, das Salz
der Erde. So kann er denn fast wörtlich wie einst Fichte ausrufen: "Wehe
uns und der Welt, wenn diesmal das Volk gerettet wäre, aber der deutsche Geist
aus der Welt schwante!"

In der ganzen Konstruktion des Begriffes und der Aufgabe des Deutsch¬
tums herrscht also eine so weitgehendeÜbereinstimmung zwischen Wagner und Fichte,
daß der Hinweis auf die Verwandtschaft des Geistes und des Charakters zur
Erklärung nicht mehr ganz ausreichen dürfte. Wir können es nach obigem wohl
als erwiesen betrachten, daß die "Reden an die deutsche Nation" und höchst¬
wahrscheinlich auch "die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters" einen nach¬
haltigen, tiefen Einfluß auf die Gedanken Wagners und ihren Ausdruck aus¬
geübt haben. Daß dieser Aufnahme Fichtescher Anschauungen die persönlichen
Bedürfnisse Wagners förderlich gewesen sind, daß Wagners Geist dem Fichteschen
urverwandt gewesen ist, das haben wir ja schon oben betont. Auch ist es nicht
mehr nötig auf die selbständige, freie Art hinzuweisen, mit der Wagner diesen
Fichteschen Geist neu belebte. Die angeführten Schriften bleiben persönlichste,
eigenste Bekenntnisse des für seine Kunst und sein deutsches Volk ringenden Genius.

Doch verfolgen wir die Gedanken der beiden Großen noch einen kleinen
Schritt weiter.


3. Über Geist und Buchstabe in der Kunst

Wir haben schon vorhin gesehen, daß Wagner in der Schrift "Das
Judentum in der Musik" einen Gegensatz der künstlerischen Produktion, den
Gegensatz von Talent und Genie, aufstellt. Dieser Gegensatz wird nun in
einer Weise eingeführt, die lebhaft an Fichtes "Über Geist und Buchstabe in
der Philosophie" (1794) erinnert. Gleich Fichte geht auch Wagner von der
Wirkung des Werkes aus. Von den Werken Mendelssohns sagt er, daß sie
nur dann "fesseln" könnten, "wenn nichts anderes unserer, mehr oder weniger


Richard Wagner und die Philosophie des deutschen Idealismus

Daß dann schließlich der deutsche Geist voll echter Religiosität ist, daß er
es mit der Religion ernst nimmt wie mit der Metaphysik, das bedarf auch bei
Wagner keiner besonderen Erwähnung. „Unter Religionsfreiheit versteht er
nichts anderes, als das Recht, mit dem Heiligsten es ernst und redlich meinen
zu dürfen."

So erhebt denn Wagner die Frage: „Ist der Deutsche eine bereits
zerbröckelte und seiner letzten Zersetzung entgegenstechende Völkererscheinung, oder
lebt in ihm noch eine besondere, der Natur um ihrer Erlösung willen unendlich
wichtige Anlage, — eine Anlage, die, vollkommen ausgebildet, einer weit
ausgedehnten neuen Welt den Untergang der uns jetzt immer so überragenden
alten Welt ersetzen könnte?" Genau so hat Fichte seine Schlußrede formuliert,
und Wagner selbst hat uns die Antwort auf seine Frage längst gegeben. Es
hat eben mit dem deutschen Geist eine besondere Bewandtnis. Aufgabe des
deutschen Volkes ist es, „mit Hilfe aller uns verwandten germanischen Stämme
die ganze Welt mit unseren eigentümlichen Kulturschöpfungen zu durchdringen."
Auch bei Wagner ist das deutsche Volk das einzige, echte Kulturvolk, das Salz
der Erde. So kann er denn fast wörtlich wie einst Fichte ausrufen: „Wehe
uns und der Welt, wenn diesmal das Volk gerettet wäre, aber der deutsche Geist
aus der Welt schwante!"

In der ganzen Konstruktion des Begriffes und der Aufgabe des Deutsch¬
tums herrscht also eine so weitgehendeÜbereinstimmung zwischen Wagner und Fichte,
daß der Hinweis auf die Verwandtschaft des Geistes und des Charakters zur
Erklärung nicht mehr ganz ausreichen dürfte. Wir können es nach obigem wohl
als erwiesen betrachten, daß die „Reden an die deutsche Nation" und höchst¬
wahrscheinlich auch „die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters" einen nach¬
haltigen, tiefen Einfluß auf die Gedanken Wagners und ihren Ausdruck aus¬
geübt haben. Daß dieser Aufnahme Fichtescher Anschauungen die persönlichen
Bedürfnisse Wagners förderlich gewesen sind, daß Wagners Geist dem Fichteschen
urverwandt gewesen ist, das haben wir ja schon oben betont. Auch ist es nicht
mehr nötig auf die selbständige, freie Art hinzuweisen, mit der Wagner diesen
Fichteschen Geist neu belebte. Die angeführten Schriften bleiben persönlichste,
eigenste Bekenntnisse des für seine Kunst und sein deutsches Volk ringenden Genius.

Doch verfolgen wir die Gedanken der beiden Großen noch einen kleinen
Schritt weiter.


3. Über Geist und Buchstabe in der Kunst

Wir haben schon vorhin gesehen, daß Wagner in der Schrift „Das
Judentum in der Musik" einen Gegensatz der künstlerischen Produktion, den
Gegensatz von Talent und Genie, aufstellt. Dieser Gegensatz wird nun in
einer Weise eingeführt, die lebhaft an Fichtes „Über Geist und Buchstabe in
der Philosophie" (1794) erinnert. Gleich Fichte geht auch Wagner von der
Wirkung des Werkes aus. Von den Werken Mendelssohns sagt er, daß sie
nur dann „fesseln" könnten, „wenn nichts anderes unserer, mehr oder weniger


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[0268] Richard Wagner und die Philosophie des deutschen Idealismus Daß dann schließlich der deutsche Geist voll echter Religiosität ist, daß er es mit der Religion ernst nimmt wie mit der Metaphysik, das bedarf auch bei Wagner keiner besonderen Erwähnung. „Unter Religionsfreiheit versteht er nichts anderes, als das Recht, mit dem Heiligsten es ernst und redlich meinen zu dürfen." So erhebt denn Wagner die Frage: „Ist der Deutsche eine bereits zerbröckelte und seiner letzten Zersetzung entgegenstechende Völkererscheinung, oder lebt in ihm noch eine besondere, der Natur um ihrer Erlösung willen unendlich wichtige Anlage, — eine Anlage, die, vollkommen ausgebildet, einer weit ausgedehnten neuen Welt den Untergang der uns jetzt immer so überragenden alten Welt ersetzen könnte?" Genau so hat Fichte seine Schlußrede formuliert, und Wagner selbst hat uns die Antwort auf seine Frage längst gegeben. Es hat eben mit dem deutschen Geist eine besondere Bewandtnis. Aufgabe des deutschen Volkes ist es, „mit Hilfe aller uns verwandten germanischen Stämme die ganze Welt mit unseren eigentümlichen Kulturschöpfungen zu durchdringen." Auch bei Wagner ist das deutsche Volk das einzige, echte Kulturvolk, das Salz der Erde. So kann er denn fast wörtlich wie einst Fichte ausrufen: „Wehe uns und der Welt, wenn diesmal das Volk gerettet wäre, aber der deutsche Geist aus der Welt schwante!" In der ganzen Konstruktion des Begriffes und der Aufgabe des Deutsch¬ tums herrscht also eine so weitgehendeÜbereinstimmung zwischen Wagner und Fichte, daß der Hinweis auf die Verwandtschaft des Geistes und des Charakters zur Erklärung nicht mehr ganz ausreichen dürfte. Wir können es nach obigem wohl als erwiesen betrachten, daß die „Reden an die deutsche Nation" und höchst¬ wahrscheinlich auch „die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters" einen nach¬ haltigen, tiefen Einfluß auf die Gedanken Wagners und ihren Ausdruck aus¬ geübt haben. Daß dieser Aufnahme Fichtescher Anschauungen die persönlichen Bedürfnisse Wagners förderlich gewesen sind, daß Wagners Geist dem Fichteschen urverwandt gewesen ist, das haben wir ja schon oben betont. Auch ist es nicht mehr nötig auf die selbständige, freie Art hinzuweisen, mit der Wagner diesen Fichteschen Geist neu belebte. Die angeführten Schriften bleiben persönlichste, eigenste Bekenntnisse des für seine Kunst und sein deutsches Volk ringenden Genius. Doch verfolgen wir die Gedanken der beiden Großen noch einen kleinen Schritt weiter. 3. Über Geist und Buchstabe in der Kunst Wir haben schon vorhin gesehen, daß Wagner in der Schrift „Das Judentum in der Musik" einen Gegensatz der künstlerischen Produktion, den Gegensatz von Talent und Genie, aufstellt. Dieser Gegensatz wird nun in einer Weise eingeführt, die lebhaft an Fichtes „Über Geist und Buchstabe in der Philosophie" (1794) erinnert. Gleich Fichte geht auch Wagner von der Wirkung des Werkes aus. Von den Werken Mendelssohns sagt er, daß sie nur dann „fesseln" könnten, „wenn nichts anderes unserer, mehr oder weniger

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/268>, abgerufen am 19.10.2024.