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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Richard Wagner und die Philosophie des deutschen
Idealismus (I. G. Achte und Schiller)
Dr. p, Hauck i von n

n dem Aufsatze "Richard Wagners Parsifal" in Heft 18 d. I.
dieser Zeitschrift habe ich den Versuch gemacht, an einem bestimmten
Beispiel den Einfluß der Weltanschauung auf das künstlerische Schaffen
des "Meisters" darzulegen, dessen originale geistigeKrast sich auch da¬
durch bewährte, daß das Fremde in ihm eigenes, neues Leben
weckte, das unabhängig von dem Boden, aus dem es entkeimte, weiterwuchs und
schöne Früchte trug. Schon am Schlüsse jener Ausführungen konnte ich darauf
hinweisen, daß die Grundstimmung des ganzen Denkens Richard Wagners sich
weit von Schopenhauer entfernte, und jedem, der seine Schriften liest, wird
sofort klar, daß aller Pessimismus nur eine Durchgangsstufe ist, nur ein Mittel
zur Herbeiführung eines idealen Endzustandes, die wesentliche Voraussetzung
einer "Regeneration". Der Parsifal ist kein pessimistisches Drama, er führt
durch die Erkenntnis des Elends des gegenwärtigen Weltzustandes hindurch zu
einer schönen, seligen Zukunft. Da läge es nun nahe sich daran zu erinnern,
daß Wagner in der Schule Feuerbachs den Optimismus Hegels in sich auf¬
genommen, daß er von jeher "das Kunstwerk der Zukunft" theoretisch gefordert
und praktisch selbst zu leisten gesucht hatte; doch möchte ich gerade im folgenden
zeigen, daß innerhalb der Grenzen Feuerbach--Schopenhauer die Überzeugungen
Wagners sich nicht erschöpfend darstellen lassen, daß man vielmehr unbedingt
auch auf I. G. Fichte und Schiller zurückgehen muß, um für wesentliche Be¬
standteile der Wagnerschen Weltanschauung verwandtschaftliche Ähnlichkeiten
aufweisen zu können. Die Ausführung selbst muß zeigen, ob und wie weit
wirklicher, geschichtlicher Einfluß oder gleiches Ergebnis infolge gleichen Zieles
und gleicher Geistesart anzunehmen ist.

Die Richtung, in der sich die Untersuchung bewegen muß, ist leicht ge¬
funden, wenn wir bedenken, was, nach unserer Auffassung des Parsifal, Wagner
von Schopenhauer letzten Endes trennte. Es war offenbar die Annahme eines
geschichtlichen Prozesses, einer Veränderung des gegenwärtigen Weltzustandes,
eines Übergangs der Menschheit in einen besseren Zustand. Die Erlösungstat
des Heilands ist eine historische, die rechte Erkenntnis dieser Tat, die Erlösung
des Erlösers, setzt notwendig ein post roe, eine spätere Zeit voraus, und
zwischen beiden Taten liegt alsnotwendigesZwischenglieddielangeZeitderVerkennung




Richard Wagner und die Philosophie des deutschen
Idealismus (I. G. Achte und Schiller)
Dr. p, Hauck i von n

n dem Aufsatze „Richard Wagners Parsifal" in Heft 18 d. I.
dieser Zeitschrift habe ich den Versuch gemacht, an einem bestimmten
Beispiel den Einfluß der Weltanschauung auf das künstlerische Schaffen
des „Meisters" darzulegen, dessen originale geistigeKrast sich auch da¬
durch bewährte, daß das Fremde in ihm eigenes, neues Leben
weckte, das unabhängig von dem Boden, aus dem es entkeimte, weiterwuchs und
schöne Früchte trug. Schon am Schlüsse jener Ausführungen konnte ich darauf
hinweisen, daß die Grundstimmung des ganzen Denkens Richard Wagners sich
weit von Schopenhauer entfernte, und jedem, der seine Schriften liest, wird
sofort klar, daß aller Pessimismus nur eine Durchgangsstufe ist, nur ein Mittel
zur Herbeiführung eines idealen Endzustandes, die wesentliche Voraussetzung
einer „Regeneration". Der Parsifal ist kein pessimistisches Drama, er führt
durch die Erkenntnis des Elends des gegenwärtigen Weltzustandes hindurch zu
einer schönen, seligen Zukunft. Da läge es nun nahe sich daran zu erinnern,
daß Wagner in der Schule Feuerbachs den Optimismus Hegels in sich auf¬
genommen, daß er von jeher „das Kunstwerk der Zukunft" theoretisch gefordert
und praktisch selbst zu leisten gesucht hatte; doch möchte ich gerade im folgenden
zeigen, daß innerhalb der Grenzen Feuerbach—Schopenhauer die Überzeugungen
Wagners sich nicht erschöpfend darstellen lassen, daß man vielmehr unbedingt
auch auf I. G. Fichte und Schiller zurückgehen muß, um für wesentliche Be¬
standteile der Wagnerschen Weltanschauung verwandtschaftliche Ähnlichkeiten
aufweisen zu können. Die Ausführung selbst muß zeigen, ob und wie weit
wirklicher, geschichtlicher Einfluß oder gleiches Ergebnis infolge gleichen Zieles
und gleicher Geistesart anzunehmen ist.

Die Richtung, in der sich die Untersuchung bewegen muß, ist leicht ge¬
funden, wenn wir bedenken, was, nach unserer Auffassung des Parsifal, Wagner
von Schopenhauer letzten Endes trennte. Es war offenbar die Annahme eines
geschichtlichen Prozesses, einer Veränderung des gegenwärtigen Weltzustandes,
eines Übergangs der Menschheit in einen besseren Zustand. Die Erlösungstat
des Heilands ist eine historische, die rechte Erkenntnis dieser Tat, die Erlösung
des Erlösers, setzt notwendig ein post roe, eine spätere Zeit voraus, und
zwischen beiden Taten liegt alsnotwendigesZwischenglieddielangeZeitderVerkennung


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[0259] [Abbildung] Richard Wagner und die Philosophie des deutschen Idealismus (I. G. Achte und Schiller) Dr. p, Hauck i von n n dem Aufsatze „Richard Wagners Parsifal" in Heft 18 d. I. dieser Zeitschrift habe ich den Versuch gemacht, an einem bestimmten Beispiel den Einfluß der Weltanschauung auf das künstlerische Schaffen des „Meisters" darzulegen, dessen originale geistigeKrast sich auch da¬ durch bewährte, daß das Fremde in ihm eigenes, neues Leben weckte, das unabhängig von dem Boden, aus dem es entkeimte, weiterwuchs und schöne Früchte trug. Schon am Schlüsse jener Ausführungen konnte ich darauf hinweisen, daß die Grundstimmung des ganzen Denkens Richard Wagners sich weit von Schopenhauer entfernte, und jedem, der seine Schriften liest, wird sofort klar, daß aller Pessimismus nur eine Durchgangsstufe ist, nur ein Mittel zur Herbeiführung eines idealen Endzustandes, die wesentliche Voraussetzung einer „Regeneration". Der Parsifal ist kein pessimistisches Drama, er führt durch die Erkenntnis des Elends des gegenwärtigen Weltzustandes hindurch zu einer schönen, seligen Zukunft. Da läge es nun nahe sich daran zu erinnern, daß Wagner in der Schule Feuerbachs den Optimismus Hegels in sich auf¬ genommen, daß er von jeher „das Kunstwerk der Zukunft" theoretisch gefordert und praktisch selbst zu leisten gesucht hatte; doch möchte ich gerade im folgenden zeigen, daß innerhalb der Grenzen Feuerbach—Schopenhauer die Überzeugungen Wagners sich nicht erschöpfend darstellen lassen, daß man vielmehr unbedingt auch auf I. G. Fichte und Schiller zurückgehen muß, um für wesentliche Be¬ standteile der Wagnerschen Weltanschauung verwandtschaftliche Ähnlichkeiten aufweisen zu können. Die Ausführung selbst muß zeigen, ob und wie weit wirklicher, geschichtlicher Einfluß oder gleiches Ergebnis infolge gleichen Zieles und gleicher Geistesart anzunehmen ist. Die Richtung, in der sich die Untersuchung bewegen muß, ist leicht ge¬ funden, wenn wir bedenken, was, nach unserer Auffassung des Parsifal, Wagner von Schopenhauer letzten Endes trennte. Es war offenbar die Annahme eines geschichtlichen Prozesses, einer Veränderung des gegenwärtigen Weltzustandes, eines Übergangs der Menschheit in einen besseren Zustand. Die Erlösungstat des Heilands ist eine historische, die rechte Erkenntnis dieser Tat, die Erlösung des Erlösers, setzt notwendig ein post roe, eine spätere Zeit voraus, und zwischen beiden Taten liegt alsnotwendigesZwischenglieddielangeZeitderVerkennung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/259>, abgerufen am 19.10.2024.