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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Kommt die Kaperei wieder?

anzurufenden Appellinstanz beschlossen worden, England und Deutschland hatten
sich besonders mit organisatorischen Vorschlägen hierzu beteiligt. -- Dieser, in
der Folge beschlossenen, internationalen Prisengenchtsbarkeit fehlte aber die
einigermaßen notwendige Unterlage eines entsprechenden Rechtes. Um dieses
womöglich festzulegen, ließ die englische Negierung im Frühjahr 1908 Ein¬
ladungen an die am meisten interessierten Staaten zu einer in London ab¬
zuhaltenden Konferenz ergehen. Die Konferenz trat Ende 1903 zusammen und
beendete ihre Arbeit Ende Februar 1909; das Ergebnis war die vielbesprochene,
in England maßlos angegriffene Londoner Deklaration. Sie ist auch heute noch
nicht gültig, weil Großbritannien sie nicht ratifiziert hat. Einen der Haupt¬
gründe der öffentlichen Meinung und des britischen Parlamentes gegen die
Ratifizierung der Londoner Deklaration bildet die Tatsache, daß die Deklaration
kein Verbot der Umwandlung von Handelsschiffen in Kriegsschiffe auf hoher
See enthält, sondern diese Frage wegen der Unmöglichkeit eine Einigung zu
erzielen nicht berühren konnte. Nichts könnte die sonst so sorgsam versteckte
"Teleologie" der britischen Vorschläge in: Haag und in London Heller beleuchten:
man wollte sich durch international-rechtlich anerkanntes Verbot der Umwandlung
von Handelsschiffen in Kriegsschiffe auf hoher See sichern. Es gelang nicht,
die Festlandmächte zu dieser Selbstbindung zu bewegen, andere, hier nicht zu
erörternde Gründe kommen hinzu, und so hatte man in England keine Freude
mehr am Spielzeuge eines internationalen Prisenrechtes. Mit diesem aber steht
und fällt selbstverständlich auch die Prisengerichtsbarkeit: der mit so großem
Apparat geschaffene und als Beginn eines neuen Zeitalters gestempelte inter¬
nationale Appellhof, der über den nationalen Prisengerichten stehen und außer¬
dem ganz unabhängig von ihnen unparteiisch arbeiten sollte. Wie war es möglich
geworden, daß der von England selbst eingebrachte Vorschlag durch England
zum Scheitern gebracht werden konnte? Die Ratifizierung eines Abkommens
an sich ist ein Akt, der in den Händen des Königs liegt, mit der Maßgabe,
daß die Regierung ihm dazu rät. Unter den Auspizien der liberalen Re¬
gierung waren die Einladungen zur Londoner Konferenz ergangen, und war
die Deklaration selbst entstanden. Trotz schwerer Bedenken, von denen das hier
in Betracht kommende eben angedeutet wurde, stand die Regierungspresse auf
dem Standpunkte der Ratifizierung, und votierte die Änderung und Ergänzung
des nationalen britischen Seeprisengesetzes (Naval Prize Bill). Das Oberhaus
lehnte das neue Prisengesetz dagegen ab und machte so die Ratifizierung der
Londoner Deklaration unmöglich, denn diese ist ohne eine nationale Prisen-
gesetzgcbnng, welche die internationale Prisenappellinstanz, den Haager
Prisenhof, anerkannt, "gegenstandslos". In manchen Punkten hofft man bri-
tischerseits noch Änderungen und Ergänzungen nachträglich zuwege bringen zu
können und dann die Ratifizierung vollziehen zu lassen. Ein Verbot der Um¬
wandlung von Handelsschiffen in Kriegsschiffe auf hoher See in das inter¬
nationale Dokument hineinbringen zu können, daran denkt in England jetzt
aber niemand mehr. (Schluß folgt)


Kommt die Kaperei wieder?

anzurufenden Appellinstanz beschlossen worden, England und Deutschland hatten
sich besonders mit organisatorischen Vorschlägen hierzu beteiligt. — Dieser, in
der Folge beschlossenen, internationalen Prisengenchtsbarkeit fehlte aber die
einigermaßen notwendige Unterlage eines entsprechenden Rechtes. Um dieses
womöglich festzulegen, ließ die englische Negierung im Frühjahr 1908 Ein¬
ladungen an die am meisten interessierten Staaten zu einer in London ab¬
zuhaltenden Konferenz ergehen. Die Konferenz trat Ende 1903 zusammen und
beendete ihre Arbeit Ende Februar 1909; das Ergebnis war die vielbesprochene,
in England maßlos angegriffene Londoner Deklaration. Sie ist auch heute noch
nicht gültig, weil Großbritannien sie nicht ratifiziert hat. Einen der Haupt¬
gründe der öffentlichen Meinung und des britischen Parlamentes gegen die
Ratifizierung der Londoner Deklaration bildet die Tatsache, daß die Deklaration
kein Verbot der Umwandlung von Handelsschiffen in Kriegsschiffe auf hoher
See enthält, sondern diese Frage wegen der Unmöglichkeit eine Einigung zu
erzielen nicht berühren konnte. Nichts könnte die sonst so sorgsam versteckte
„Teleologie" der britischen Vorschläge in: Haag und in London Heller beleuchten:
man wollte sich durch international-rechtlich anerkanntes Verbot der Umwandlung
von Handelsschiffen in Kriegsschiffe auf hoher See sichern. Es gelang nicht,
die Festlandmächte zu dieser Selbstbindung zu bewegen, andere, hier nicht zu
erörternde Gründe kommen hinzu, und so hatte man in England keine Freude
mehr am Spielzeuge eines internationalen Prisenrechtes. Mit diesem aber steht
und fällt selbstverständlich auch die Prisengerichtsbarkeit: der mit so großem
Apparat geschaffene und als Beginn eines neuen Zeitalters gestempelte inter¬
nationale Appellhof, der über den nationalen Prisengerichten stehen und außer¬
dem ganz unabhängig von ihnen unparteiisch arbeiten sollte. Wie war es möglich
geworden, daß der von England selbst eingebrachte Vorschlag durch England
zum Scheitern gebracht werden konnte? Die Ratifizierung eines Abkommens
an sich ist ein Akt, der in den Händen des Königs liegt, mit der Maßgabe,
daß die Regierung ihm dazu rät. Unter den Auspizien der liberalen Re¬
gierung waren die Einladungen zur Londoner Konferenz ergangen, und war
die Deklaration selbst entstanden. Trotz schwerer Bedenken, von denen das hier
in Betracht kommende eben angedeutet wurde, stand die Regierungspresse auf
dem Standpunkte der Ratifizierung, und votierte die Änderung und Ergänzung
des nationalen britischen Seeprisengesetzes (Naval Prize Bill). Das Oberhaus
lehnte das neue Prisengesetz dagegen ab und machte so die Ratifizierung der
Londoner Deklaration unmöglich, denn diese ist ohne eine nationale Prisen-
gesetzgcbnng, welche die internationale Prisenappellinstanz, den Haager
Prisenhof, anerkannt, „gegenstandslos". In manchen Punkten hofft man bri-
tischerseits noch Änderungen und Ergänzungen nachträglich zuwege bringen zu
können und dann die Ratifizierung vollziehen zu lassen. Ein Verbot der Um¬
wandlung von Handelsschiffen in Kriegsschiffe auf hoher See in das inter¬
nationale Dokument hineinbringen zu können, daran denkt in England jetzt
aber niemand mehr. (Schluß folgt)


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/258>, abgerufen am 19.10.2024.