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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

zum deutschen Liede nicht erst auf dem Um¬
wege mühseliger Abstraktion gelangt. Über
seine Gesichter fällt wie selbstverständlich der
Sonnenstrahl echtester Kunst, sobald sie nur
aus seinem Innern heraufdrangen und in
die Umwelt projiziert werden. Es mag alt¬
modisch klingen und das Lächeln unserer
"Intellektuellen" heraufbeschwören, aber es
ist deshalb nicht weniger gültig: Peter
Rosegger ist als Dichter so stark, so unver¬
braucht und so jugendlich, weil er zu der
großen Lehrmeisterin aller Kunst, zur Natur
in den intimsten Wechselbeziehungen steht.
Sie gibt ihm, wie die Mutter Erde dem
Antäus, seine beste Kraft. Sie läßt ihn jung
und fröhlich bleiben bis über die Siebzig
hinaus. Sie strömt auf ihn jenen Duft un¬
mittelbarer Keuschheit aus, der, von Homer
bis Goethe, noch immer den wahrhaftigen
Dichter gekennzeichnet hat. Sie schützt ihn
vor Stubenhocker-Krankheiten, vor Gedanken¬
blässe und minder Enkel-Resignation. Und
sie allein macht ihn zu dem, was er ist und
bleiben wird überall, wo deutsche Herzen
schlagen und deutsche Worte gesprochen werden:
zum Sänger des deutschen Waldes.

Der Sänger des deutschen Waldes. Was
Rosegger seinem Volke als Dichter bedeutet,
das liegt in dem einen Worte. Sein fast
schon klassisch gewordenes Buch vom "Wald¬
schulmeister" ist auch heute noch ein kostbares
Juwel aus der Schatzkammer deutschen
Schrifttums. Seine ganze reiche Seele ist
darin, seine große Menschheitsliebe, sein
keuscher Glaube und sein bezaubernder ethi¬
scher Optimismus. Der arme Waldbauern¬
bub, der ohne Schuhzeug und mit zerrissenen
Hosen durch die steirischen Wälder strich, der
tagelang unter grünen Laubdächern träumte
und mit großen, fragenden Augen in eine
wundervoll rätselhafte Welt hineinstarrte, der
sich eins wußte mit allem, was lebendig war
in den Bergen und Tälern seiner Heimat,
der die Sprache der Tiere verstand und das
Rauschen der Bäche und das Donnern der
Lawinen und die lockenden Stimmen des
Windes, der, ein wilder und doch begnadeter
Schößling, im Zaubergärten einer großen
Natur seinen Glauben, seinen Gott, seinen
eigenen Menschen suchte und fand -- der ist
es, der dies köstliche Buch ersonnen und ge¬

[Spaltenumbruch]

schrieben hat. Kein Satz ist darin, der nicht
Fleisch von seinem Fleisch, der nicht Blut von
seinem Blut hätte. Aus der prachtvollsten
Bildsprache wächst eine Welt vor uns auf,
die auch das Unbeseelte zu beseelen, zu adeln,
zu verklären weiß. Jeder armselige Kohlen¬
brenner, jeder Hirtenbube, ja, jedes Tier,
jeder Strauch, jeder Fels bekommt sein
eigenes Gesicht, seine eigene Sprache. Alle
Stimmen des deutschen Bergwaldes werden
lebendig und einen sich zu einer beglückenden
Sinfonie, die im letzten Grunde nichts anderes
ist als ein grandioses l'e äeum lauclamus.
Den nüchternsten Leser wird immer wieder
die selbstverständliche Leichtigkeit verblüffen,
mit der sich dem Dichter auch die nebensäch¬
lichsten Dinge unter den Händen in funkeln¬
des Leben verwandeln. Da gibt es über¬
haupt keine toten Strecken. Da ist die Fülle
der Gesichte restlos im Poetischen aufge¬
gangen. Da ist alles übersonnt und warm
durchleuchtet von dem ethischen Adel eines
Genius, der auserwählt ward unter Tau¬
senden.

Natürlich soll hier nicht um jeden Preis
eine Rückkehr zur Natur im Rousseauschen
Sinne gefordert werden. Das hieße, die
große und gütige Toleranz Peter Roseggers
gründlich mißverstehen. Eines schickt sich nicht
für alle. Hier so wenig wie anderswo. Dem
von: Erleben mitgenommenen und zerfaserten
Großstadtmenschen liegen andere Dinge, andere
Probleme, andere Zusammenhänge näher als
die keuschen Träume des steirischen Bauern¬
jungen und Gottsuchers. Ein Sich-selvst-
Zurückschrauben auf primitivere Anschauungs¬
formen gibt es nun einmal nicht. Wer dazu
verdammt ist draußen zu bleiben, der wird
sich auch mit blutenden Händen keinen Ein¬
laß ertrotzen können. Aber wenn er sich in
der Ratlosigkeit und Leergebranntheit seines
Daseins einen Gefühlsrest für menschliche und
Poetische Werte bewahrt hat, dann müßte er
blind und taub sein, sofern ihn vor der
Roseggerschen Märchenwelt, wie sie im "Wald-
schulmeifter" und in zahllosen anderen Büchern
leuchtet, nicht eine tiefe Sehnsucht und eine
ernsthafte Glücksahnung überkommt.

Wir können und wollen das natürliche
Pathos des Roseggerschen Jubeltages gerechter¬
weise nicht bis zu der Feststellung steigern,

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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zum deutschen Liede nicht erst auf dem Um¬
wege mühseliger Abstraktion gelangt. Über
seine Gesichter fällt wie selbstverständlich der
Sonnenstrahl echtester Kunst, sobald sie nur
aus seinem Innern heraufdrangen und in
die Umwelt projiziert werden. Es mag alt¬
modisch klingen und das Lächeln unserer
„Intellektuellen" heraufbeschwören, aber es
ist deshalb nicht weniger gültig: Peter
Rosegger ist als Dichter so stark, so unver¬
braucht und so jugendlich, weil er zu der
großen Lehrmeisterin aller Kunst, zur Natur
in den intimsten Wechselbeziehungen steht.
Sie gibt ihm, wie die Mutter Erde dem
Antäus, seine beste Kraft. Sie läßt ihn jung
und fröhlich bleiben bis über die Siebzig
hinaus. Sie strömt auf ihn jenen Duft un¬
mittelbarer Keuschheit aus, der, von Homer
bis Goethe, noch immer den wahrhaftigen
Dichter gekennzeichnet hat. Sie schützt ihn
vor Stubenhocker-Krankheiten, vor Gedanken¬
blässe und minder Enkel-Resignation. Und
sie allein macht ihn zu dem, was er ist und
bleiben wird überall, wo deutsche Herzen
schlagen und deutsche Worte gesprochen werden:
zum Sänger des deutschen Waldes.

Der Sänger des deutschen Waldes. Was
Rosegger seinem Volke als Dichter bedeutet,
das liegt in dem einen Worte. Sein fast
schon klassisch gewordenes Buch vom „Wald¬
schulmeister" ist auch heute noch ein kostbares
Juwel aus der Schatzkammer deutschen
Schrifttums. Seine ganze reiche Seele ist
darin, seine große Menschheitsliebe, sein
keuscher Glaube und sein bezaubernder ethi¬
scher Optimismus. Der arme Waldbauern¬
bub, der ohne Schuhzeug und mit zerrissenen
Hosen durch die steirischen Wälder strich, der
tagelang unter grünen Laubdächern träumte
und mit großen, fragenden Augen in eine
wundervoll rätselhafte Welt hineinstarrte, der
sich eins wußte mit allem, was lebendig war
in den Bergen und Tälern seiner Heimat,
der die Sprache der Tiere verstand und das
Rauschen der Bäche und das Donnern der
Lawinen und die lockenden Stimmen des
Windes, der, ein wilder und doch begnadeter
Schößling, im Zaubergärten einer großen
Natur seinen Glauben, seinen Gott, seinen
eigenen Menschen suchte und fand — der ist
es, der dies köstliche Buch ersonnen und ge¬

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schrieben hat. Kein Satz ist darin, der nicht
Fleisch von seinem Fleisch, der nicht Blut von
seinem Blut hätte. Aus der prachtvollsten
Bildsprache wächst eine Welt vor uns auf,
die auch das Unbeseelte zu beseelen, zu adeln,
zu verklären weiß. Jeder armselige Kohlen¬
brenner, jeder Hirtenbube, ja, jedes Tier,
jeder Strauch, jeder Fels bekommt sein
eigenes Gesicht, seine eigene Sprache. Alle
Stimmen des deutschen Bergwaldes werden
lebendig und einen sich zu einer beglückenden
Sinfonie, die im letzten Grunde nichts anderes
ist als ein grandioses l'e äeum lauclamus.
Den nüchternsten Leser wird immer wieder
die selbstverständliche Leichtigkeit verblüffen,
mit der sich dem Dichter auch die nebensäch¬
lichsten Dinge unter den Händen in funkeln¬
des Leben verwandeln. Da gibt es über¬
haupt keine toten Strecken. Da ist die Fülle
der Gesichte restlos im Poetischen aufge¬
gangen. Da ist alles übersonnt und warm
durchleuchtet von dem ethischen Adel eines
Genius, der auserwählt ward unter Tau¬
senden.

Natürlich soll hier nicht um jeden Preis
eine Rückkehr zur Natur im Rousseauschen
Sinne gefordert werden. Das hieße, die
große und gütige Toleranz Peter Roseggers
gründlich mißverstehen. Eines schickt sich nicht
für alle. Hier so wenig wie anderswo. Dem
von: Erleben mitgenommenen und zerfaserten
Großstadtmenschen liegen andere Dinge, andere
Probleme, andere Zusammenhänge näher als
die keuschen Träume des steirischen Bauern¬
jungen und Gottsuchers. Ein Sich-selvst-
Zurückschrauben auf primitivere Anschauungs¬
formen gibt es nun einmal nicht. Wer dazu
verdammt ist draußen zu bleiben, der wird
sich auch mit blutenden Händen keinen Ein¬
laß ertrotzen können. Aber wenn er sich in
der Ratlosigkeit und Leergebranntheit seines
Daseins einen Gefühlsrest für menschliche und
Poetische Werte bewahrt hat, dann müßte er
blind und taub sein, sofern ihn vor der
Roseggerschen Märchenwelt, wie sie im „Wald-
schulmeifter" und in zahllosen anderen Büchern
leuchtet, nicht eine tiefe Sehnsucht und eine
ernsthafte Glücksahnung überkommt.

Wir können und wollen das natürliche
Pathos des Roseggerschen Jubeltages gerechter¬
weise nicht bis zu der Feststellung steigern,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/244>, abgerufen am 28.12.2024.