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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Die armenisch-kurdische Frage

Wenn auch bei einzelnen ausführenden Organen ein Mangel an gutem
Willen zweifelsohne vorhanden ist, der Regierung ist es mit den Reformen
nun sicher Ernst. Aber die armenisch-kurdische Frage ist eine Machtfrage
geworden. Die Vorbedingung aller Reformen wäre die Auflösung und Ent¬
waffnung der Hamidijebanden. Wenn auch ein offenbarer Freund derselben,
der frühere Maki von Wan, Isel Bey, sich gegen die Auflösung ausgesprochen
und eine Reformierung der Einrichtung für ausreichend erklärt hat, so hat sein
militärischer Kollege Djavid Pascha, der Kommandant von Wan, mit aner¬
kennenswerter Offenheit herausgesagt: "Die Hamidijeregimenter herrschen als
Könige in Armenien und bilden eine schwere Last für den Staatsschatz. Ihre
Beseitigung bedeutet allein schon die Ausführung der dringendsten Reformen*).

Die Kurden sind sich nicht im Unklaren darüber, daß ein Sturm sich gegen
sie zusammenbraut und bereiten sich zur Gegenwehr vor. Die Führung haben
zwei Männer aus der alten Adelsfamilie der Bedrchan (die schon Moltke als
"Vedehan" kennen gelernt hat) übernommen, Hussein Pascha und Abd ni resak,
die durch längeren Aufenthalt in Konstantinopel am Hofe des vorigen Sultans
ihren Horizont haben erweitern können. Seitdem der erstere vor zwei Jahren
bei den Parlamentswahlen durchgefallen ist und wegen seiner Umtriebe von
den Behörden verfolgt wird, organisiert er mit seinem anderen Bruder Kamil
Bey alle Kurdenstämme von Diarbekir bis zur persischen Grenze und von Wan
bis Djesiret Ihr Omar**). Gestützt auf die Macht des vereinigten Kurdistan
wird er dann statt eines Mutessarriflik wie bisher die Dezentralisation für das
Land verlangen als Vorläufer der Autonomie. Die Kurden sind ersichtlich fest
entschlossen, es auf eine Kraftprobe mit der Regierung ankommen zu lassen.
Aber selbst bei günstigem Ausfall derselben ist es kaum wahrscheinlich, daß
Rußland die Bildung eines neuen mohammedanischen Staatswesens an seiner
Grenze zulassen wird. Eines jedenfalls kann sicher sein, daß bei den zu erwartenden
Kämpfen die Hauptleidtragenden die Armenier sein würden.

Nun sollen aber nach den letzten Zeitungsnachrichten England und Rußland
übereingekommen sein, das Reformwerk in Armenien gemeinschaftlich in die Hand
zu nehmen. Wie es ausgeführt werden soll, bleibt vorläufig Geheimnis der
beiden Regierungen. Man kann nur wünschen, daß der Erfolg nicht derselbe
sein möge wie bei den früheren Versuchen von 1895 und 1905. Zudem haben
die Ereignisse des letzten Winters gezeigt, zu welchem Resultat die in Mazedonien
jahrelang mit dem Rat und unter der Aufsicht europäischer Mächte inszenierten
Reformversuche geführt haben. Ob die Kurden hinter den Taten von Serben
und Bulgaren zurückbleiben würden, wenn man ihnen ernstlich mit Reform¬
zumutungen kommen würde, kann kaum fraglich sein. Wenn also die türkische
Regierung nicht schnell genug erstarkt, um den beiden Mächten mit gewaltsamer




*) Osmamscher Lloyd Ur. 130.
*) Osmamscher Lloyd Ur. 133.
Die armenisch-kurdische Frage

Wenn auch bei einzelnen ausführenden Organen ein Mangel an gutem
Willen zweifelsohne vorhanden ist, der Regierung ist es mit den Reformen
nun sicher Ernst. Aber die armenisch-kurdische Frage ist eine Machtfrage
geworden. Die Vorbedingung aller Reformen wäre die Auflösung und Ent¬
waffnung der Hamidijebanden. Wenn auch ein offenbarer Freund derselben,
der frühere Maki von Wan, Isel Bey, sich gegen die Auflösung ausgesprochen
und eine Reformierung der Einrichtung für ausreichend erklärt hat, so hat sein
militärischer Kollege Djavid Pascha, der Kommandant von Wan, mit aner¬
kennenswerter Offenheit herausgesagt: „Die Hamidijeregimenter herrschen als
Könige in Armenien und bilden eine schwere Last für den Staatsschatz. Ihre
Beseitigung bedeutet allein schon die Ausführung der dringendsten Reformen*).

Die Kurden sind sich nicht im Unklaren darüber, daß ein Sturm sich gegen
sie zusammenbraut und bereiten sich zur Gegenwehr vor. Die Führung haben
zwei Männer aus der alten Adelsfamilie der Bedrchan (die schon Moltke als
„Vedehan" kennen gelernt hat) übernommen, Hussein Pascha und Abd ni resak,
die durch längeren Aufenthalt in Konstantinopel am Hofe des vorigen Sultans
ihren Horizont haben erweitern können. Seitdem der erstere vor zwei Jahren
bei den Parlamentswahlen durchgefallen ist und wegen seiner Umtriebe von
den Behörden verfolgt wird, organisiert er mit seinem anderen Bruder Kamil
Bey alle Kurdenstämme von Diarbekir bis zur persischen Grenze und von Wan
bis Djesiret Ihr Omar**). Gestützt auf die Macht des vereinigten Kurdistan
wird er dann statt eines Mutessarriflik wie bisher die Dezentralisation für das
Land verlangen als Vorläufer der Autonomie. Die Kurden sind ersichtlich fest
entschlossen, es auf eine Kraftprobe mit der Regierung ankommen zu lassen.
Aber selbst bei günstigem Ausfall derselben ist es kaum wahrscheinlich, daß
Rußland die Bildung eines neuen mohammedanischen Staatswesens an seiner
Grenze zulassen wird. Eines jedenfalls kann sicher sein, daß bei den zu erwartenden
Kämpfen die Hauptleidtragenden die Armenier sein würden.

Nun sollen aber nach den letzten Zeitungsnachrichten England und Rußland
übereingekommen sein, das Reformwerk in Armenien gemeinschaftlich in die Hand
zu nehmen. Wie es ausgeführt werden soll, bleibt vorläufig Geheimnis der
beiden Regierungen. Man kann nur wünschen, daß der Erfolg nicht derselbe
sein möge wie bei den früheren Versuchen von 1895 und 1905. Zudem haben
die Ereignisse des letzten Winters gezeigt, zu welchem Resultat die in Mazedonien
jahrelang mit dem Rat und unter der Aufsicht europäischer Mächte inszenierten
Reformversuche geführt haben. Ob die Kurden hinter den Taten von Serben
und Bulgaren zurückbleiben würden, wenn man ihnen ernstlich mit Reform¬
zumutungen kommen würde, kann kaum fraglich sein. Wenn also die türkische
Regierung nicht schnell genug erstarkt, um den beiden Mächten mit gewaltsamer




*) Osmamscher Lloyd Ur. 130.
*) Osmamscher Lloyd Ur. 133.
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[0024] Die armenisch-kurdische Frage Wenn auch bei einzelnen ausführenden Organen ein Mangel an gutem Willen zweifelsohne vorhanden ist, der Regierung ist es mit den Reformen nun sicher Ernst. Aber die armenisch-kurdische Frage ist eine Machtfrage geworden. Die Vorbedingung aller Reformen wäre die Auflösung und Ent¬ waffnung der Hamidijebanden. Wenn auch ein offenbarer Freund derselben, der frühere Maki von Wan, Isel Bey, sich gegen die Auflösung ausgesprochen und eine Reformierung der Einrichtung für ausreichend erklärt hat, so hat sein militärischer Kollege Djavid Pascha, der Kommandant von Wan, mit aner¬ kennenswerter Offenheit herausgesagt: „Die Hamidijeregimenter herrschen als Könige in Armenien und bilden eine schwere Last für den Staatsschatz. Ihre Beseitigung bedeutet allein schon die Ausführung der dringendsten Reformen*). Die Kurden sind sich nicht im Unklaren darüber, daß ein Sturm sich gegen sie zusammenbraut und bereiten sich zur Gegenwehr vor. Die Führung haben zwei Männer aus der alten Adelsfamilie der Bedrchan (die schon Moltke als „Vedehan" kennen gelernt hat) übernommen, Hussein Pascha und Abd ni resak, die durch längeren Aufenthalt in Konstantinopel am Hofe des vorigen Sultans ihren Horizont haben erweitern können. Seitdem der erstere vor zwei Jahren bei den Parlamentswahlen durchgefallen ist und wegen seiner Umtriebe von den Behörden verfolgt wird, organisiert er mit seinem anderen Bruder Kamil Bey alle Kurdenstämme von Diarbekir bis zur persischen Grenze und von Wan bis Djesiret Ihr Omar**). Gestützt auf die Macht des vereinigten Kurdistan wird er dann statt eines Mutessarriflik wie bisher die Dezentralisation für das Land verlangen als Vorläufer der Autonomie. Die Kurden sind ersichtlich fest entschlossen, es auf eine Kraftprobe mit der Regierung ankommen zu lassen. Aber selbst bei günstigem Ausfall derselben ist es kaum wahrscheinlich, daß Rußland die Bildung eines neuen mohammedanischen Staatswesens an seiner Grenze zulassen wird. Eines jedenfalls kann sicher sein, daß bei den zu erwartenden Kämpfen die Hauptleidtragenden die Armenier sein würden. Nun sollen aber nach den letzten Zeitungsnachrichten England und Rußland übereingekommen sein, das Reformwerk in Armenien gemeinschaftlich in die Hand zu nehmen. Wie es ausgeführt werden soll, bleibt vorläufig Geheimnis der beiden Regierungen. Man kann nur wünschen, daß der Erfolg nicht derselbe sein möge wie bei den früheren Versuchen von 1895 und 1905. Zudem haben die Ereignisse des letzten Winters gezeigt, zu welchem Resultat die in Mazedonien jahrelang mit dem Rat und unter der Aufsicht europäischer Mächte inszenierten Reformversuche geführt haben. Ob die Kurden hinter den Taten von Serben und Bulgaren zurückbleiben würden, wenn man ihnen ernstlich mit Reform¬ zumutungen kommen würde, kann kaum fraglich sein. Wenn also die türkische Regierung nicht schnell genug erstarkt, um den beiden Mächten mit gewaltsamer *) Osmamscher Lloyd Ur. 130. *) Osmamscher Lloyd Ur. 133.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/24>, abgerufen am 28.12.2024.