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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

Da riß Evi die Tür auf: "Seid ihr denn endlich fertig? Die Reiter
kommen zurück. Man kann sie schon hören!" Und fort war sie.

Der alte Wenkendorff folgte ihr eilig. Wolff Joachim aber zögerte und
blieb auf der Schwelle stehen, bis das lärmende Hasten auf der Treppe vor¬
über war. Dann lehnte er die Tür vorsichtig wieder an und war in zwei
Sätzen am Telephon.

"Reval bitte. -- 333. Jawohl, drei -- hundert -- dreiund -- drei -- ßig!
Und bitte recht schnell -- ist dort Hotel Petersburg? Bitte rufen Sie sofort
Frau Jwanow -- Loljaü! Du bist schon da? Du hast die ganze Zeit gewartet?
Hast Angst um mich? Aber süßes Kind! Mir gehts ganz gut. Nein -- es
geht mir nicht gut. Du fehlst mir! Was -- du willst kommen? Ist ja nicht
möglich, Liebste! Man würde dich scheel ansehen! Ich verstehe nicht... Du
willst dich verkleiden? O du holde Phantastin! sowas ist leider nur in Romanen
möglich. Nein -- wir müssen schon warten! In zwei, drei Tagen -- höchstens
in einer Woche -- bin ich wieder bei dir. Ich schrieb dir schon, und dann --
dann lasse ich dich nicht mehr. Meine Frau wirst du. Und wenn ich Vorküll
darüber verlieren müßte. Also Geduld, Lolja! Ich muß fort. Ob ichs höre?
Ja -- ich hors! O du -- wenn ich die Küsse erst wieder fühlen kann!
Adieu, adieu!"

In dem großen dämmerigen Raum lag eine heimliche Ruhe, als Wolff
Joachim jetzt tiefaufatmend den Hörer aus der Hand legte.

"Wie hab ich sie lieb!" sagte er leise. "Schon ihre Stimme raubt mir
allen Verstand! -- Ich muß hier ein Ende machen!" dachte er und eilte aus
dem Zimmer.

"Wo sind die Herren?" fragte er Edda, die in der Haustür stand. Sie
sah ihn mit abwesenden Blick an, so daß er die Frage wiederholen mußte.
Da deutete sie stumm nach dem Spritzenhaus, aus dem jetzt ein Stimmengewirr
vernehmlich wurde.

Während Wolff Joachim über den Hof schritt, sann er darüber nach, was
das Mädchen für einen Kummer haben mochte. So traurig hatte sie da¬
gestanden, und totenbleich war ihr Gesicht gewesen. Aber als er jetzt zu den
Junkern trat, hatte er den Eindruck, der ihn für einen Augenblick befremdete,
bald vergessen.

"Was habt ihr da für ein Wild zur Strecke gebracht?" Er wies auf zwei
verlumpte Burschen, die mit verängstigten dummen Gesichtern mitten im Kreis
der Junker standen.

"Es ist kein Wort aus ihnen rauszukriegen. Wir haben sie im Walde
aufgegriffen. Sie trugen Schießprügel und sonst noch allerhand Mordwerkzeug.
Es sind natürlich Spione."

"Wie heißt du und wo bist du her?" herrschte Wolff Joachim den älteren
der beiden an. Hart und gebietend klang seine Stimme, und sie erzwang sich
Antwort.


Sturm

Da riß Evi die Tür auf: „Seid ihr denn endlich fertig? Die Reiter
kommen zurück. Man kann sie schon hören!" Und fort war sie.

Der alte Wenkendorff folgte ihr eilig. Wolff Joachim aber zögerte und
blieb auf der Schwelle stehen, bis das lärmende Hasten auf der Treppe vor¬
über war. Dann lehnte er die Tür vorsichtig wieder an und war in zwei
Sätzen am Telephon.

„Reval bitte. — 333. Jawohl, drei — hundert — dreiund — drei — ßig!
Und bitte recht schnell — ist dort Hotel Petersburg? Bitte rufen Sie sofort
Frau Jwanow — Loljaü! Du bist schon da? Du hast die ganze Zeit gewartet?
Hast Angst um mich? Aber süßes Kind! Mir gehts ganz gut. Nein — es
geht mir nicht gut. Du fehlst mir! Was — du willst kommen? Ist ja nicht
möglich, Liebste! Man würde dich scheel ansehen! Ich verstehe nicht... Du
willst dich verkleiden? O du holde Phantastin! sowas ist leider nur in Romanen
möglich. Nein — wir müssen schon warten! In zwei, drei Tagen — höchstens
in einer Woche — bin ich wieder bei dir. Ich schrieb dir schon, und dann —
dann lasse ich dich nicht mehr. Meine Frau wirst du. Und wenn ich Vorküll
darüber verlieren müßte. Also Geduld, Lolja! Ich muß fort. Ob ichs höre?
Ja — ich hors! O du — wenn ich die Küsse erst wieder fühlen kann!
Adieu, adieu!"

In dem großen dämmerigen Raum lag eine heimliche Ruhe, als Wolff
Joachim jetzt tiefaufatmend den Hörer aus der Hand legte.

„Wie hab ich sie lieb!" sagte er leise. „Schon ihre Stimme raubt mir
allen Verstand! — Ich muß hier ein Ende machen!" dachte er und eilte aus
dem Zimmer.

„Wo sind die Herren?" fragte er Edda, die in der Haustür stand. Sie
sah ihn mit abwesenden Blick an, so daß er die Frage wiederholen mußte.
Da deutete sie stumm nach dem Spritzenhaus, aus dem jetzt ein Stimmengewirr
vernehmlich wurde.

Während Wolff Joachim über den Hof schritt, sann er darüber nach, was
das Mädchen für einen Kummer haben mochte. So traurig hatte sie da¬
gestanden, und totenbleich war ihr Gesicht gewesen. Aber als er jetzt zu den
Junkern trat, hatte er den Eindruck, der ihn für einen Augenblick befremdete,
bald vergessen.

„Was habt ihr da für ein Wild zur Strecke gebracht?" Er wies auf zwei
verlumpte Burschen, die mit verängstigten dummen Gesichtern mitten im Kreis
der Junker standen.

„Es ist kein Wort aus ihnen rauszukriegen. Wir haben sie im Walde
aufgegriffen. Sie trugen Schießprügel und sonst noch allerhand Mordwerkzeug.
Es sind natürlich Spione."

„Wie heißt du und wo bist du her?" herrschte Wolff Joachim den älteren
der beiden an. Hart und gebietend klang seine Stimme, und sie erzwang sich
Antwort.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/231>, abgerufen am 19.10.2024.