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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Eine Leihbibliothek vor fünfzig Jcihrcn

Augen, schmetternder Donner der Ton seiner Stimme. ,Hinab, hinab, ihr Ver¬
fluchten, in das ewige Reich der Verdammnis!' rief der donnernde Richter der
Hölle; und auf tat sich ein feuriger Schlund, wimmelnd von Drachen und
Schlangen. Die Verdammten stürzten mit gräßlichem Geheul hinab, und Satanas
laut schallendes Gelächter folgte ihnen nach. Das Teufelsgericht war verschwunden,
aber der Schauertnrm stand noch unverändert mit seinen leuchtenden Fenstern,"
so steht in der Erzählung "der Schauerturm im Teufelsgrunde" zu lesen, und
wer wollte da behaupten, daß der Leser für sein Geld nicht reichlich Ware
bekam? "Mit gefällten Lanzen gings darüber her. links und rechts taumelten
die Schnapphähne aus den Sätteln, krachten die Genicke, und röchelten die ab¬
gemurksten Hechte," so schildert in derselben Geschichte Junker Kuno ein Reiter¬
gefecht, und ebenda schilt ein zärtlicher Valer seine Tochter: "Fort, Mähre,
oder ich trete dich mit Füßen. Stehst du Unkenseele mit meinen Feinden im
Bunde, daß ich in dir'ihren Lobredner erkennen muß? Schweig, Metze, oder
fürchte meinen gräßlichen Zorn! Noch ein Wort zum Lobe dieser Buben, und
das Burgverließ, wo Schlang und Unke nistet, ist dein Prunkzimmer."

Wir sehen, all die Vorwürfe, die man heute gegen die Schundliteratur
unserer Tage erhebt, treffen in vollstem Maße auch jene Ritter- und Räuber¬
geschichten, die wir in unserer Jlmenauer Leihbibliothek so reichlich vertreten
finden. Und doch besteht ein bedeutsamer Unterschied zugunsten unserer Zeit,
an dem wir nicht vorübergehen wollen. Gewiß hat auch heute die sogenannte
Schundliteratur eine bedauerlich große Ausdehnung erhalten. Aber ihre Leser
und Käufer sind doch in ganz anderen Kreisen zu suchen als diejenigen, die sich
vor einem halben Jahrhundert an jenen Ritter- und Räubergeschichten ergötzten.
Jetzt finden wir die dünnen Hefte der Kolportagcromane, der Räuber- und
Detektivgeschichten vorwiegend in den Händen der halbwüchsigen Jugend, der
älteren Schüler, der Dienstmädchen, Lehrlinge und jüngeren Arbeiter. Vor
fünfzig Jahren aber fand diese Art Erzählungen ihr Publikum in dem gebildeten
Bürgerstand. In dieser Beziehung ist also ein ganz bedeutsamer Fortschritt zu
verzeichnen. Und wenn wir jetzt das Verzeichnis einer Leihbibliothek, sei es in
Ilmenau, sei es an irgendeinem anderen Ort durchlesen, so werden wir zwar
gewiß auch manche Werke finden, gegen die sich Bedenken erheben lassen und
denen kaum ein langes Leben beschieden sein dürfte. Im allgemeinen aber wird
die Mehrzahl der Bände auch vor einer schärferen Prüfung bestehen. Der Stand
unserer Volksbildung hat sich gegen jene Zeit doch bedeutend gehoben, der Ge¬
schmack ist seiner, die Wahl strenger, die Ansprüche sind größer geworden, und
es besteht für uns in diesem Punkte so wenig wie in manchem anderen ein An¬
laß, uns zum Lobredner der guten alten Zeit aufzuwerfen.




Eine Leihbibliothek vor fünfzig Jcihrcn

Augen, schmetternder Donner der Ton seiner Stimme. ,Hinab, hinab, ihr Ver¬
fluchten, in das ewige Reich der Verdammnis!' rief der donnernde Richter der
Hölle; und auf tat sich ein feuriger Schlund, wimmelnd von Drachen und
Schlangen. Die Verdammten stürzten mit gräßlichem Geheul hinab, und Satanas
laut schallendes Gelächter folgte ihnen nach. Das Teufelsgericht war verschwunden,
aber der Schauertnrm stand noch unverändert mit seinen leuchtenden Fenstern,"
so steht in der Erzählung „der Schauerturm im Teufelsgrunde" zu lesen, und
wer wollte da behaupten, daß der Leser für sein Geld nicht reichlich Ware
bekam? „Mit gefällten Lanzen gings darüber her. links und rechts taumelten
die Schnapphähne aus den Sätteln, krachten die Genicke, und röchelten die ab¬
gemurksten Hechte," so schildert in derselben Geschichte Junker Kuno ein Reiter¬
gefecht, und ebenda schilt ein zärtlicher Valer seine Tochter: „Fort, Mähre,
oder ich trete dich mit Füßen. Stehst du Unkenseele mit meinen Feinden im
Bunde, daß ich in dir'ihren Lobredner erkennen muß? Schweig, Metze, oder
fürchte meinen gräßlichen Zorn! Noch ein Wort zum Lobe dieser Buben, und
das Burgverließ, wo Schlang und Unke nistet, ist dein Prunkzimmer."

Wir sehen, all die Vorwürfe, die man heute gegen die Schundliteratur
unserer Tage erhebt, treffen in vollstem Maße auch jene Ritter- und Räuber¬
geschichten, die wir in unserer Jlmenauer Leihbibliothek so reichlich vertreten
finden. Und doch besteht ein bedeutsamer Unterschied zugunsten unserer Zeit,
an dem wir nicht vorübergehen wollen. Gewiß hat auch heute die sogenannte
Schundliteratur eine bedauerlich große Ausdehnung erhalten. Aber ihre Leser
und Käufer sind doch in ganz anderen Kreisen zu suchen als diejenigen, die sich
vor einem halben Jahrhundert an jenen Ritter- und Räubergeschichten ergötzten.
Jetzt finden wir die dünnen Hefte der Kolportagcromane, der Räuber- und
Detektivgeschichten vorwiegend in den Händen der halbwüchsigen Jugend, der
älteren Schüler, der Dienstmädchen, Lehrlinge und jüngeren Arbeiter. Vor
fünfzig Jahren aber fand diese Art Erzählungen ihr Publikum in dem gebildeten
Bürgerstand. In dieser Beziehung ist also ein ganz bedeutsamer Fortschritt zu
verzeichnen. Und wenn wir jetzt das Verzeichnis einer Leihbibliothek, sei es in
Ilmenau, sei es an irgendeinem anderen Ort durchlesen, so werden wir zwar
gewiß auch manche Werke finden, gegen die sich Bedenken erheben lassen und
denen kaum ein langes Leben beschieden sein dürfte. Im allgemeinen aber wird
die Mehrzahl der Bände auch vor einer schärferen Prüfung bestehen. Der Stand
unserer Volksbildung hat sich gegen jene Zeit doch bedeutend gehoben, der Ge¬
schmack ist seiner, die Wahl strenger, die Ansprüche sind größer geworden, und
es besteht für uns in diesem Punkte so wenig wie in manchem anderen ein An¬
laß, uns zum Lobredner der guten alten Zeit aufzuwerfen.




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[0228] Eine Leihbibliothek vor fünfzig Jcihrcn Augen, schmetternder Donner der Ton seiner Stimme. ,Hinab, hinab, ihr Ver¬ fluchten, in das ewige Reich der Verdammnis!' rief der donnernde Richter der Hölle; und auf tat sich ein feuriger Schlund, wimmelnd von Drachen und Schlangen. Die Verdammten stürzten mit gräßlichem Geheul hinab, und Satanas laut schallendes Gelächter folgte ihnen nach. Das Teufelsgericht war verschwunden, aber der Schauertnrm stand noch unverändert mit seinen leuchtenden Fenstern," so steht in der Erzählung „der Schauerturm im Teufelsgrunde" zu lesen, und wer wollte da behaupten, daß der Leser für sein Geld nicht reichlich Ware bekam? „Mit gefällten Lanzen gings darüber her. links und rechts taumelten die Schnapphähne aus den Sätteln, krachten die Genicke, und röchelten die ab¬ gemurksten Hechte," so schildert in derselben Geschichte Junker Kuno ein Reiter¬ gefecht, und ebenda schilt ein zärtlicher Valer seine Tochter: „Fort, Mähre, oder ich trete dich mit Füßen. Stehst du Unkenseele mit meinen Feinden im Bunde, daß ich in dir'ihren Lobredner erkennen muß? Schweig, Metze, oder fürchte meinen gräßlichen Zorn! Noch ein Wort zum Lobe dieser Buben, und das Burgverließ, wo Schlang und Unke nistet, ist dein Prunkzimmer." Wir sehen, all die Vorwürfe, die man heute gegen die Schundliteratur unserer Tage erhebt, treffen in vollstem Maße auch jene Ritter- und Räuber¬ geschichten, die wir in unserer Jlmenauer Leihbibliothek so reichlich vertreten finden. Und doch besteht ein bedeutsamer Unterschied zugunsten unserer Zeit, an dem wir nicht vorübergehen wollen. Gewiß hat auch heute die sogenannte Schundliteratur eine bedauerlich große Ausdehnung erhalten. Aber ihre Leser und Käufer sind doch in ganz anderen Kreisen zu suchen als diejenigen, die sich vor einem halben Jahrhundert an jenen Ritter- und Räubergeschichten ergötzten. Jetzt finden wir die dünnen Hefte der Kolportagcromane, der Räuber- und Detektivgeschichten vorwiegend in den Händen der halbwüchsigen Jugend, der älteren Schüler, der Dienstmädchen, Lehrlinge und jüngeren Arbeiter. Vor fünfzig Jahren aber fand diese Art Erzählungen ihr Publikum in dem gebildeten Bürgerstand. In dieser Beziehung ist also ein ganz bedeutsamer Fortschritt zu verzeichnen. Und wenn wir jetzt das Verzeichnis einer Leihbibliothek, sei es in Ilmenau, sei es an irgendeinem anderen Ort durchlesen, so werden wir zwar gewiß auch manche Werke finden, gegen die sich Bedenken erheben lassen und denen kaum ein langes Leben beschieden sein dürfte. Im allgemeinen aber wird die Mehrzahl der Bände auch vor einer schärferen Prüfung bestehen. Der Stand unserer Volksbildung hat sich gegen jene Zeit doch bedeutend gehoben, der Ge¬ schmack ist seiner, die Wahl strenger, die Ansprüche sind größer geworden, und es besteht für uns in diesem Punkte so wenig wie in manchem anderen ein An¬ laß, uns zum Lobredner der guten alten Zeit aufzuwerfen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/228>, abgerufen am 19.10.2024.