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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Ebensowenig wissenschaftlichen Charakter wie diese Reisebeschretbungen
tragen die geschichtlichen Werke, die wir in der Jlmenauer Bibliothek verzeichnet
finden. Wie zu erwarten, beziehen sie sich überwiegend auf die große Zeit
der französischen Revolution, der napoleonischen Herrschaft und der Befreiungs¬
kriege. Die gewaltige Persönlichkeit des ersten Napoleon behandeln mehrere
Bände, unter ihnen das große Werk Walter Scotts. Doch hat man auch
der deutschen Freiheitshelden, eines Andreas Hofer. eines Marschall Vorwärts
nicht vergessen. Die Freiheitskümpfe der Polen und Griechen hatten in ganz
Europa die leidenschaftlichste Teilnahme hervorgerufen; auch ihnen sind mehrere
Bände gewidmet.

Daneben stehen geschichtliche Romane, besonders aus den letzten Jahren
Napoleons: RellstoH 1812 und Stolle 1813, von denen das erstgenannte Werk
jetzt in dieser Zeit der Erinnerung an die großen Freiheitskämpfe zu neuem
Leben erwacht ist. Auch Walter Scott finden wir mit einer stattlichen Reihe
seiner historischen Romane vertreten. Eine große Zahl anderer Romane wählen
ihren Stoff zwar gleichfalls aus der Geschichte, lassen aber bereits durch ihre
Bezeichnung als "historisch-romantische Gemälde" darauf schließen, daß die Ver¬
fasser hierbei weit weniger eine gründliche Kenntnis der Geschichte als eine rege
Phantasie betätigt haben. Wir finden hier nicht ganz unbekannte Namen, so
Bechstein mit seinem historisch-romantischen Gemälde "Das tolle Jahr" oder
Herloßsohn "Der Ungar" oder von Tromlitz "Franz von Sickingen und scire
Zeitgenossen". Bei den allermeisten Romanen dieser Art aber wird es bereits
sehr schwierig zu entscheiden, ob wir sie noch als historische Romane ansprechen
oder nicht schon zu den Ritter- und Räubergeschichten rechnen sollen. Wenigstens
dürfen wir aus einem Titel wie zum Beispiel "Die Verführerin und Robes-
pierre. Ein Nachtstück aus den blutigen Tagen der französischen Revolution"
wohl mit Recht folgern, daß es dem Verfasser wirklich nicht so sehr darauf an¬
kam, uns ein getreues Bild eines wichtigen Abschnitts der neueren Geschichte
zu geben als vielmehr nach dem altbewährten Muster der Schauerromane mit
Gewalt an unseren Nerven zu zerren.

Nun muß ich zu meinem Bedauern feststellen, daß gerade diese Abart der
Erzählungsliteratur, die wir heute mit dem Namen Schundliteratur kennzeichnen,
in unserer Bücherei in überreicher Fülle vorhanden ist. Die eigentlichen Schauer¬
geschichten zählen allein über zweihundert Bände, und rechnen wir noch die
Rittergeschichten hinzu, die sich kaum von ihnen unterscheiden, so kommen wir
gar auf über dreihundertundfunfzig Bände. Wir wissen bereits, daß diese Literatur
als ein wilder Trieb mit üppiger Kraft aus der Wurzel der Romantik empor¬
gewuchert war. Die Neigung zum Heroischen, das sich ebensogut im Räuber
wie im Ritter offenbaren kann, zum Grausigen, zum übernatürlichen und Ge¬
spenstischen ist ja dem menschlichen Herzen nie fremd gewesen, und gerade durch
den Einfluß der Romantik mit ihren verwandten Stoffen gedieh sie zu neuer
Blüte. ,


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Ebensowenig wissenschaftlichen Charakter wie diese Reisebeschretbungen
tragen die geschichtlichen Werke, die wir in der Jlmenauer Bibliothek verzeichnet
finden. Wie zu erwarten, beziehen sie sich überwiegend auf die große Zeit
der französischen Revolution, der napoleonischen Herrschaft und der Befreiungs¬
kriege. Die gewaltige Persönlichkeit des ersten Napoleon behandeln mehrere
Bände, unter ihnen das große Werk Walter Scotts. Doch hat man auch
der deutschen Freiheitshelden, eines Andreas Hofer. eines Marschall Vorwärts
nicht vergessen. Die Freiheitskümpfe der Polen und Griechen hatten in ganz
Europa die leidenschaftlichste Teilnahme hervorgerufen; auch ihnen sind mehrere
Bände gewidmet.

Daneben stehen geschichtliche Romane, besonders aus den letzten Jahren
Napoleons: RellstoH 1812 und Stolle 1813, von denen das erstgenannte Werk
jetzt in dieser Zeit der Erinnerung an die großen Freiheitskämpfe zu neuem
Leben erwacht ist. Auch Walter Scott finden wir mit einer stattlichen Reihe
seiner historischen Romane vertreten. Eine große Zahl anderer Romane wählen
ihren Stoff zwar gleichfalls aus der Geschichte, lassen aber bereits durch ihre
Bezeichnung als „historisch-romantische Gemälde" darauf schließen, daß die Ver¬
fasser hierbei weit weniger eine gründliche Kenntnis der Geschichte als eine rege
Phantasie betätigt haben. Wir finden hier nicht ganz unbekannte Namen, so
Bechstein mit seinem historisch-romantischen Gemälde „Das tolle Jahr" oder
Herloßsohn „Der Ungar" oder von Tromlitz „Franz von Sickingen und scire
Zeitgenossen". Bei den allermeisten Romanen dieser Art aber wird es bereits
sehr schwierig zu entscheiden, ob wir sie noch als historische Romane ansprechen
oder nicht schon zu den Ritter- und Räubergeschichten rechnen sollen. Wenigstens
dürfen wir aus einem Titel wie zum Beispiel „Die Verführerin und Robes-
pierre. Ein Nachtstück aus den blutigen Tagen der französischen Revolution"
wohl mit Recht folgern, daß es dem Verfasser wirklich nicht so sehr darauf an¬
kam, uns ein getreues Bild eines wichtigen Abschnitts der neueren Geschichte
zu geben als vielmehr nach dem altbewährten Muster der Schauerromane mit
Gewalt an unseren Nerven zu zerren.

Nun muß ich zu meinem Bedauern feststellen, daß gerade diese Abart der
Erzählungsliteratur, die wir heute mit dem Namen Schundliteratur kennzeichnen,
in unserer Bücherei in überreicher Fülle vorhanden ist. Die eigentlichen Schauer¬
geschichten zählen allein über zweihundert Bände, und rechnen wir noch die
Rittergeschichten hinzu, die sich kaum von ihnen unterscheiden, so kommen wir
gar auf über dreihundertundfunfzig Bände. Wir wissen bereits, daß diese Literatur
als ein wilder Trieb mit üppiger Kraft aus der Wurzel der Romantik empor¬
gewuchert war. Die Neigung zum Heroischen, das sich ebensogut im Räuber
wie im Ritter offenbaren kann, zum Grausigen, zum übernatürlichen und Ge¬
spenstischen ist ja dem menschlichen Herzen nie fremd gewesen, und gerade durch
den Einfluß der Romantik mit ihren verwandten Stoffen gedieh sie zu neuer
Blüte. ,


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[0226] Line Leihbibliothek vor fünfzig Jahren Ebensowenig wissenschaftlichen Charakter wie diese Reisebeschretbungen tragen die geschichtlichen Werke, die wir in der Jlmenauer Bibliothek verzeichnet finden. Wie zu erwarten, beziehen sie sich überwiegend auf die große Zeit der französischen Revolution, der napoleonischen Herrschaft und der Befreiungs¬ kriege. Die gewaltige Persönlichkeit des ersten Napoleon behandeln mehrere Bände, unter ihnen das große Werk Walter Scotts. Doch hat man auch der deutschen Freiheitshelden, eines Andreas Hofer. eines Marschall Vorwärts nicht vergessen. Die Freiheitskümpfe der Polen und Griechen hatten in ganz Europa die leidenschaftlichste Teilnahme hervorgerufen; auch ihnen sind mehrere Bände gewidmet. Daneben stehen geschichtliche Romane, besonders aus den letzten Jahren Napoleons: RellstoH 1812 und Stolle 1813, von denen das erstgenannte Werk jetzt in dieser Zeit der Erinnerung an die großen Freiheitskämpfe zu neuem Leben erwacht ist. Auch Walter Scott finden wir mit einer stattlichen Reihe seiner historischen Romane vertreten. Eine große Zahl anderer Romane wählen ihren Stoff zwar gleichfalls aus der Geschichte, lassen aber bereits durch ihre Bezeichnung als „historisch-romantische Gemälde" darauf schließen, daß die Ver¬ fasser hierbei weit weniger eine gründliche Kenntnis der Geschichte als eine rege Phantasie betätigt haben. Wir finden hier nicht ganz unbekannte Namen, so Bechstein mit seinem historisch-romantischen Gemälde „Das tolle Jahr" oder Herloßsohn „Der Ungar" oder von Tromlitz „Franz von Sickingen und scire Zeitgenossen". Bei den allermeisten Romanen dieser Art aber wird es bereits sehr schwierig zu entscheiden, ob wir sie noch als historische Romane ansprechen oder nicht schon zu den Ritter- und Räubergeschichten rechnen sollen. Wenigstens dürfen wir aus einem Titel wie zum Beispiel „Die Verführerin und Robes- pierre. Ein Nachtstück aus den blutigen Tagen der französischen Revolution" wohl mit Recht folgern, daß es dem Verfasser wirklich nicht so sehr darauf an¬ kam, uns ein getreues Bild eines wichtigen Abschnitts der neueren Geschichte zu geben als vielmehr nach dem altbewährten Muster der Schauerromane mit Gewalt an unseren Nerven zu zerren. Nun muß ich zu meinem Bedauern feststellen, daß gerade diese Abart der Erzählungsliteratur, die wir heute mit dem Namen Schundliteratur kennzeichnen, in unserer Bücherei in überreicher Fülle vorhanden ist. Die eigentlichen Schauer¬ geschichten zählen allein über zweihundert Bände, und rechnen wir noch die Rittergeschichten hinzu, die sich kaum von ihnen unterscheiden, so kommen wir gar auf über dreihundertundfunfzig Bände. Wir wissen bereits, daß diese Literatur als ein wilder Trieb mit üppiger Kraft aus der Wurzel der Romantik empor¬ gewuchert war. Die Neigung zum Heroischen, das sich ebensogut im Räuber wie im Ritter offenbaren kann, zum Grausigen, zum übernatürlichen und Ge¬ spenstischen ist ja dem menschlichen Herzen nie fremd gewesen, und gerade durch den Einfluß der Romantik mit ihren verwandten Stoffen gedieh sie zu neuer Blüte. ,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/226>, abgerufen am 28.12.2024.