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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Die armenisch-kurdische Frage

Weder im Parlament noch in der Regierung gewährte man ihnen den Ein¬
fluß, den sie für ihre Unterstützung der Jungtürken erwarten durften. Von
den angeblich zwanzig Sitzen, die ihnen im Parlament zugesagt gewesen sein
sollen, erhielten sie nur acht, im Ministerium nur eine Stelle. Die Haupt¬
sache aber war, daß es auch der jungtürkischen Regierung nicht gelang, in
Kleinasien befriedigende Zustände herzustellen. Es wäre jedoch Unrecht an
ihrem guten Willen daran zu zweifeln: die Vernichtung des Ibrahim Pascha,
des mächtigsten aller Kurdenführer, der in Nordmesopotamien fast zwei Jahr¬
zehnte als unumschränkter Herr geschaltet hatte, kann als Beweis erscheinen, daß
es ihnen mit der Bekämpfung der Hamidije ernst gewesen ist. Allerdings war
Ibrahim Pascha ein offener Rebell gegen die Staatsgewalt -- mit der arme¬
nischen Frage hat er nie zu tun gehabt -- und seine Bekämpfung überdies in
den offenen Ebenen von Nordmesopotanien nicht so schwer wie die seiner Kollegen
in den Gebirgen Kleinasiens. Hier hat sie jedenfalls keine ernstlichen Anstrengungen
zur Unterdrückung der Hamivije gemacht. Bald ließen ihr auch die sich über¬
stürzenden Ereignisse in Mazedonien und Albanien, in Jemen und Tripolis
keine Zeit mehr, sich um das Stammland des Reiches zu bekümmern; es war
auch für die Jungtürken nur da um Gelder und Soldaten zu liefern, die an
den Enden des Reiches nutzlos hingeopfert wurden.

Seit 1908 hatten die Armenier auch die Last des Militärdienstes auf sich
nehmen müssen, und haben, wie schon Moltke vor 75 Jahren vorausgesehen
hat, gute Soldaten abgegeben, die besten von allen christlichen Soldaten der
neuen Türkei. Wie in den Kriegen gegen das christliche Rußland das arme¬
nische Volk stets loyal zu seinem Sultan gehalten hat, so haben auch in dem
letzten Kriege die armenischen Soldaten tapfer und treu zu ihren türkischen
Kameraden gestanden, auf die sie bei ihrem höheren geistigen Niveau einen
günstigen Einfluß ausgeübt haben*). An der Verteidigung von Janina haben
sie ruhmvollen Anteil. Das ist auch anerkannt worden vom Thronfolger, von
Mahmud Schewket Pascha und vielen Offizieren"*). Dahingegen haben die
Kurden in der letzten großen Krise für die Verteidigung des Reichs nichts
weiter getan, als einige hundert Freiwillige, besser Nowdies, zu schicken, die
wegen ihrer Unbotmäßigkeit und Gefahr für die öffentliche Sicherheit bald
wieder heimgesandt werden mußten. Während des Krieges konnten die Hamidije-
banden ihr Treiben unter der unglücklichen armenischen Bevölkerung fortsetzen.
Bitter durfte man der Regierung in Konstantinopel vorhalten, daß während die
armenischen Soldaten für das Reich bluteten, ihre Häuser von den kurdischen
Räubern verbrannt, ihre Angehörigen ausgeraubt, mißhandelt und umgebracht
wurden.




zum Schutz der Armenier geschickten jungtürkischen Truppen. Die Frage der Soldaten bei
ihrer Ankunft war: "Sind noch Mauren übrig?"
") Christliche Orient 1913, S, 69.
Osmamscher Lloyd vom 3. Mai 1913, Ur. 110.
Die armenisch-kurdische Frage

Weder im Parlament noch in der Regierung gewährte man ihnen den Ein¬
fluß, den sie für ihre Unterstützung der Jungtürken erwarten durften. Von
den angeblich zwanzig Sitzen, die ihnen im Parlament zugesagt gewesen sein
sollen, erhielten sie nur acht, im Ministerium nur eine Stelle. Die Haupt¬
sache aber war, daß es auch der jungtürkischen Regierung nicht gelang, in
Kleinasien befriedigende Zustände herzustellen. Es wäre jedoch Unrecht an
ihrem guten Willen daran zu zweifeln: die Vernichtung des Ibrahim Pascha,
des mächtigsten aller Kurdenführer, der in Nordmesopotamien fast zwei Jahr¬
zehnte als unumschränkter Herr geschaltet hatte, kann als Beweis erscheinen, daß
es ihnen mit der Bekämpfung der Hamidije ernst gewesen ist. Allerdings war
Ibrahim Pascha ein offener Rebell gegen die Staatsgewalt — mit der arme¬
nischen Frage hat er nie zu tun gehabt — und seine Bekämpfung überdies in
den offenen Ebenen von Nordmesopotanien nicht so schwer wie die seiner Kollegen
in den Gebirgen Kleinasiens. Hier hat sie jedenfalls keine ernstlichen Anstrengungen
zur Unterdrückung der Hamivije gemacht. Bald ließen ihr auch die sich über¬
stürzenden Ereignisse in Mazedonien und Albanien, in Jemen und Tripolis
keine Zeit mehr, sich um das Stammland des Reiches zu bekümmern; es war
auch für die Jungtürken nur da um Gelder und Soldaten zu liefern, die an
den Enden des Reiches nutzlos hingeopfert wurden.

Seit 1908 hatten die Armenier auch die Last des Militärdienstes auf sich
nehmen müssen, und haben, wie schon Moltke vor 75 Jahren vorausgesehen
hat, gute Soldaten abgegeben, die besten von allen christlichen Soldaten der
neuen Türkei. Wie in den Kriegen gegen das christliche Rußland das arme¬
nische Volk stets loyal zu seinem Sultan gehalten hat, so haben auch in dem
letzten Kriege die armenischen Soldaten tapfer und treu zu ihren türkischen
Kameraden gestanden, auf die sie bei ihrem höheren geistigen Niveau einen
günstigen Einfluß ausgeübt haben*). An der Verteidigung von Janina haben
sie ruhmvollen Anteil. Das ist auch anerkannt worden vom Thronfolger, von
Mahmud Schewket Pascha und vielen Offizieren"*). Dahingegen haben die
Kurden in der letzten großen Krise für die Verteidigung des Reichs nichts
weiter getan, als einige hundert Freiwillige, besser Nowdies, zu schicken, die
wegen ihrer Unbotmäßigkeit und Gefahr für die öffentliche Sicherheit bald
wieder heimgesandt werden mußten. Während des Krieges konnten die Hamidije-
banden ihr Treiben unter der unglücklichen armenischen Bevölkerung fortsetzen.
Bitter durfte man der Regierung in Konstantinopel vorhalten, daß während die
armenischen Soldaten für das Reich bluteten, ihre Häuser von den kurdischen
Räubern verbrannt, ihre Angehörigen ausgeraubt, mißhandelt und umgebracht
wurden.




zum Schutz der Armenier geschickten jungtürkischen Truppen. Die Frage der Soldaten bei
ihrer Ankunft war: „Sind noch Mauren übrig?"
") Christliche Orient 1913, S, 69.
Osmamscher Lloyd vom 3. Mai 1913, Ur. 110.
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[0022] Die armenisch-kurdische Frage Weder im Parlament noch in der Regierung gewährte man ihnen den Ein¬ fluß, den sie für ihre Unterstützung der Jungtürken erwarten durften. Von den angeblich zwanzig Sitzen, die ihnen im Parlament zugesagt gewesen sein sollen, erhielten sie nur acht, im Ministerium nur eine Stelle. Die Haupt¬ sache aber war, daß es auch der jungtürkischen Regierung nicht gelang, in Kleinasien befriedigende Zustände herzustellen. Es wäre jedoch Unrecht an ihrem guten Willen daran zu zweifeln: die Vernichtung des Ibrahim Pascha, des mächtigsten aller Kurdenführer, der in Nordmesopotamien fast zwei Jahr¬ zehnte als unumschränkter Herr geschaltet hatte, kann als Beweis erscheinen, daß es ihnen mit der Bekämpfung der Hamidije ernst gewesen ist. Allerdings war Ibrahim Pascha ein offener Rebell gegen die Staatsgewalt — mit der arme¬ nischen Frage hat er nie zu tun gehabt — und seine Bekämpfung überdies in den offenen Ebenen von Nordmesopotanien nicht so schwer wie die seiner Kollegen in den Gebirgen Kleinasiens. Hier hat sie jedenfalls keine ernstlichen Anstrengungen zur Unterdrückung der Hamivije gemacht. Bald ließen ihr auch die sich über¬ stürzenden Ereignisse in Mazedonien und Albanien, in Jemen und Tripolis keine Zeit mehr, sich um das Stammland des Reiches zu bekümmern; es war auch für die Jungtürken nur da um Gelder und Soldaten zu liefern, die an den Enden des Reiches nutzlos hingeopfert wurden. Seit 1908 hatten die Armenier auch die Last des Militärdienstes auf sich nehmen müssen, und haben, wie schon Moltke vor 75 Jahren vorausgesehen hat, gute Soldaten abgegeben, die besten von allen christlichen Soldaten der neuen Türkei. Wie in den Kriegen gegen das christliche Rußland das arme¬ nische Volk stets loyal zu seinem Sultan gehalten hat, so haben auch in dem letzten Kriege die armenischen Soldaten tapfer und treu zu ihren türkischen Kameraden gestanden, auf die sie bei ihrem höheren geistigen Niveau einen günstigen Einfluß ausgeübt haben*). An der Verteidigung von Janina haben sie ruhmvollen Anteil. Das ist auch anerkannt worden vom Thronfolger, von Mahmud Schewket Pascha und vielen Offizieren"*). Dahingegen haben die Kurden in der letzten großen Krise für die Verteidigung des Reichs nichts weiter getan, als einige hundert Freiwillige, besser Nowdies, zu schicken, die wegen ihrer Unbotmäßigkeit und Gefahr für die öffentliche Sicherheit bald wieder heimgesandt werden mußten. Während des Krieges konnten die Hamidije- banden ihr Treiben unter der unglücklichen armenischen Bevölkerung fortsetzen. Bitter durfte man der Regierung in Konstantinopel vorhalten, daß während die armenischen Soldaten für das Reich bluteten, ihre Häuser von den kurdischen Räubern verbrannt, ihre Angehörigen ausgeraubt, mißhandelt und umgebracht wurden. zum Schutz der Armenier geschickten jungtürkischen Truppen. Die Frage der Soldaten bei ihrer Ankunft war: „Sind noch Mauren übrig?" ") Christliche Orient 1913, S, 69. Osmamscher Lloyd vom 3. Mai 1913, Ur. 110.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/22>, abgerufen am 28.12.2024.