Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Bedeutung der englischen Rinderauswanderung

kanadischen Strafgesetzen in Konflikt geraten sind und dann gesetzlich deportiert
werden müssen*).

Früher mußte jeder Verein mit einem gewissen Prozentsatz solcher rechnen,
die ihm vorzeitig aus den Augen entschwanden, deren Spur verloren ging.
Heute, da das Land stärker bevölkert, dem Verkehr mehr erschlossen ist und sich
im Besitz einer vorbildlich tüchtigen Polizei befindet, kommt dies nur noch vor,
wenn ein Junge die Grenze der Vereinigten Staaten überschritten oder sich den
großen Holzarbeiterlagern in den Urwäldern zugesellt hat.

Einem Kinde ist es gleichgültig wer für die Kosten seiner Erziehung auf¬
kommt. Mit vierzehn Jahren aber kann es bereits selbst den Vorteil erkennen,
den es gegenüber gleichalterigen Kameraden in der Heimat hat. In Kanada
kann ein junger Mensch sich seine Arbeit frei aussuchen, jeden Beruf erschließen.
Niemals ist er genötigt des schnellen Verdienstes wegen eine Arbeit zu wählen,
die in eine Sackgasse führt, oder zeitlebens in abhängiger Dienststellung zu bleiben.
Bei der großen Leichtigkeit auf allen Gebieten Arbeit und Verdienst zu finden,
läuft er allerdings Gefahr, der Veränderungssucht zu verfallen und in keinem
bestimmten Berufe heimisch zu werden.

Für eine Durchschnittsbegabung ist der Beruf eines Landwirth in Kanada
besonders aussichtsreich, solange die Regierung in den westlichen Provinzen
Freiland zu sehr günstigen Bedingungen abgibt. Wer zu diesem Beruf Lust
hat, kann schon in jungen Jahren, sobald er sich als Farmgehilfe mit einem
Lohn von 400 bis 1200 Mark pro Jahr die nötigen Kenntnisse und das
erforderliche Kapital von 1200 bis 3000 Mark erspart hat, eine "Kome stsaci"
gründen, d. h. sich von der Regierung die 160 acreg (1 aere 0.7 Ka) Frei¬
land anweisen lassen. Die einzigen Verpflichtungen, die er übernimmt, sind:
abgesehen von einer geringen "entrance" Gebühr von 40 Mark, alljährlich
I g,Lre8 Land in lulturfähigen Zustand zu bringen, innerhalb eines Jahres ein
bewohnbares Haus zu errichten und während drei Jahren mindestens sechs
Monate alljährlich auf der Farm zuzubringen. Nach wenigen Jahren tüchtiger,
anstrengender Arbeit kann er ein wohlhabender, selbständiger, freier Grund¬
besitzer sein.

Wer handwerkslustig ist, kann zu jedem Meister unentgeltlich in die Lehre
gehen und braucht kein ungesundes Handwerk zu ergreifen. Sie alle -- auch
Schuster und Schneider -- nähren ihren Mann und mehr in Kanada.

In die höheren Berufe des Kaufmanns, Mediziners, Pfarrers u. a. in.
aufzusteigen, ist in Kanada nicht schwer. Die sekundären Lehranstalten kann
man ohne Schwierigkeiten unentgeltlich besuchen und wie in den Vereinigten
Staaten haben Studierende lange Sommerferien, in denen sie mit einem beliebigen
"joh" sich die Mittel für die winterlichen Studienmonate verdienen können.



") Es spricht für die Umsicht der Anstaltsleiter, datz nur 8 Prozent der Kinder in das
Heim zurückkehren. Auch bei diesen sind weniger Charakterfehler oder Abneigung die Ursache
des Mißerfolgs, als die gesundheitliche Schwäche des Bettnässens.
Die Bedeutung der englischen Rinderauswanderung

kanadischen Strafgesetzen in Konflikt geraten sind und dann gesetzlich deportiert
werden müssen*).

Früher mußte jeder Verein mit einem gewissen Prozentsatz solcher rechnen,
die ihm vorzeitig aus den Augen entschwanden, deren Spur verloren ging.
Heute, da das Land stärker bevölkert, dem Verkehr mehr erschlossen ist und sich
im Besitz einer vorbildlich tüchtigen Polizei befindet, kommt dies nur noch vor,
wenn ein Junge die Grenze der Vereinigten Staaten überschritten oder sich den
großen Holzarbeiterlagern in den Urwäldern zugesellt hat.

Einem Kinde ist es gleichgültig wer für die Kosten seiner Erziehung auf¬
kommt. Mit vierzehn Jahren aber kann es bereits selbst den Vorteil erkennen,
den es gegenüber gleichalterigen Kameraden in der Heimat hat. In Kanada
kann ein junger Mensch sich seine Arbeit frei aussuchen, jeden Beruf erschließen.
Niemals ist er genötigt des schnellen Verdienstes wegen eine Arbeit zu wählen,
die in eine Sackgasse führt, oder zeitlebens in abhängiger Dienststellung zu bleiben.
Bei der großen Leichtigkeit auf allen Gebieten Arbeit und Verdienst zu finden,
läuft er allerdings Gefahr, der Veränderungssucht zu verfallen und in keinem
bestimmten Berufe heimisch zu werden.

Für eine Durchschnittsbegabung ist der Beruf eines Landwirth in Kanada
besonders aussichtsreich, solange die Regierung in den westlichen Provinzen
Freiland zu sehr günstigen Bedingungen abgibt. Wer zu diesem Beruf Lust
hat, kann schon in jungen Jahren, sobald er sich als Farmgehilfe mit einem
Lohn von 400 bis 1200 Mark pro Jahr die nötigen Kenntnisse und das
erforderliche Kapital von 1200 bis 3000 Mark erspart hat, eine „Kome stsaci"
gründen, d. h. sich von der Regierung die 160 acreg (1 aere 0.7 Ka) Frei¬
land anweisen lassen. Die einzigen Verpflichtungen, die er übernimmt, sind:
abgesehen von einer geringen „entrance" Gebühr von 40 Mark, alljährlich
I g,Lre8 Land in lulturfähigen Zustand zu bringen, innerhalb eines Jahres ein
bewohnbares Haus zu errichten und während drei Jahren mindestens sechs
Monate alljährlich auf der Farm zuzubringen. Nach wenigen Jahren tüchtiger,
anstrengender Arbeit kann er ein wohlhabender, selbständiger, freier Grund¬
besitzer sein.

Wer handwerkslustig ist, kann zu jedem Meister unentgeltlich in die Lehre
gehen und braucht kein ungesundes Handwerk zu ergreifen. Sie alle — auch
Schuster und Schneider — nähren ihren Mann und mehr in Kanada.

In die höheren Berufe des Kaufmanns, Mediziners, Pfarrers u. a. in.
aufzusteigen, ist in Kanada nicht schwer. Die sekundären Lehranstalten kann
man ohne Schwierigkeiten unentgeltlich besuchen und wie in den Vereinigten
Staaten haben Studierende lange Sommerferien, in denen sie mit einem beliebigen
„joh" sich die Mittel für die winterlichen Studienmonate verdienen können.



") Es spricht für die Umsicht der Anstaltsleiter, datz nur 8 Prozent der Kinder in das
Heim zurückkehren. Auch bei diesen sind weniger Charakterfehler oder Abneigung die Ursache
des Mißerfolgs, als die gesundheitliche Schwäche des Bettnässens.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0216" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326386"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Bedeutung der englischen Rinderauswanderung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_985" prev="#ID_984"> kanadischen Strafgesetzen in Konflikt geraten sind und dann gesetzlich deportiert<lb/>
werden müssen*).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_986"> Früher mußte jeder Verein mit einem gewissen Prozentsatz solcher rechnen,<lb/>
die ihm vorzeitig aus den Augen entschwanden, deren Spur verloren ging.<lb/>
Heute, da das Land stärker bevölkert, dem Verkehr mehr erschlossen ist und sich<lb/>
im Besitz einer vorbildlich tüchtigen Polizei befindet, kommt dies nur noch vor,<lb/>
wenn ein Junge die Grenze der Vereinigten Staaten überschritten oder sich den<lb/>
großen Holzarbeiterlagern in den Urwäldern zugesellt hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_987"> Einem Kinde ist es gleichgültig wer für die Kosten seiner Erziehung auf¬<lb/>
kommt. Mit vierzehn Jahren aber kann es bereits selbst den Vorteil erkennen,<lb/>
den es gegenüber gleichalterigen Kameraden in der Heimat hat. In Kanada<lb/>
kann ein junger Mensch sich seine Arbeit frei aussuchen, jeden Beruf erschließen.<lb/>
Niemals ist er genötigt des schnellen Verdienstes wegen eine Arbeit zu wählen,<lb/>
die in eine Sackgasse führt, oder zeitlebens in abhängiger Dienststellung zu bleiben.<lb/>
Bei der großen Leichtigkeit auf allen Gebieten Arbeit und Verdienst zu finden,<lb/>
läuft er allerdings Gefahr, der Veränderungssucht zu verfallen und in keinem<lb/>
bestimmten Berufe heimisch zu werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_988"> Für eine Durchschnittsbegabung ist der Beruf eines Landwirth in Kanada<lb/>
besonders aussichtsreich, solange die Regierung in den westlichen Provinzen<lb/>
Freiland zu sehr günstigen Bedingungen abgibt. Wer zu diesem Beruf Lust<lb/>
hat, kann schon in jungen Jahren, sobald er sich als Farmgehilfe mit einem<lb/>
Lohn von 400 bis 1200 Mark pro Jahr die nötigen Kenntnisse und das<lb/>
erforderliche Kapital von 1200 bis 3000 Mark erspart hat, eine &#x201E;Kome stsaci"<lb/>
gründen, d. h. sich von der Regierung die 160 acreg (1 aere 0.7 Ka) Frei¬<lb/>
land anweisen lassen. Die einzigen Verpflichtungen, die er übernimmt, sind:<lb/>
abgesehen von einer geringen &#x201E;entrance" Gebühr von 40 Mark, alljährlich<lb/>
I g,Lre8 Land in lulturfähigen Zustand zu bringen, innerhalb eines Jahres ein<lb/>
bewohnbares Haus zu errichten und während drei Jahren mindestens sechs<lb/>
Monate alljährlich auf der Farm zuzubringen. Nach wenigen Jahren tüchtiger,<lb/>
anstrengender Arbeit kann er ein wohlhabender, selbständiger, freier Grund¬<lb/>
besitzer sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_989"> Wer handwerkslustig ist, kann zu jedem Meister unentgeltlich in die Lehre<lb/>
gehen und braucht kein ungesundes Handwerk zu ergreifen. Sie alle &#x2014; auch<lb/>
Schuster und Schneider &#x2014; nähren ihren Mann und mehr in Kanada.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_990"> In die höheren Berufe des Kaufmanns, Mediziners, Pfarrers u. a. in.<lb/>
aufzusteigen, ist in Kanada nicht schwer. Die sekundären Lehranstalten kann<lb/>
man ohne Schwierigkeiten unentgeltlich besuchen und wie in den Vereinigten<lb/>
Staaten haben Studierende lange Sommerferien, in denen sie mit einem beliebigen<lb/>
&#x201E;joh" sich die Mittel für die winterlichen Studienmonate verdienen können.</p><lb/>
          <note xml:id="FID_104" place="foot"> ") Es spricht für die Umsicht der Anstaltsleiter, datz nur 8 Prozent der Kinder in das<lb/>
Heim zurückkehren. Auch bei diesen sind weniger Charakterfehler oder Abneigung die Ursache<lb/>
des Mißerfolgs, als die gesundheitliche Schwäche des Bettnässens.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0216] Die Bedeutung der englischen Rinderauswanderung kanadischen Strafgesetzen in Konflikt geraten sind und dann gesetzlich deportiert werden müssen*). Früher mußte jeder Verein mit einem gewissen Prozentsatz solcher rechnen, die ihm vorzeitig aus den Augen entschwanden, deren Spur verloren ging. Heute, da das Land stärker bevölkert, dem Verkehr mehr erschlossen ist und sich im Besitz einer vorbildlich tüchtigen Polizei befindet, kommt dies nur noch vor, wenn ein Junge die Grenze der Vereinigten Staaten überschritten oder sich den großen Holzarbeiterlagern in den Urwäldern zugesellt hat. Einem Kinde ist es gleichgültig wer für die Kosten seiner Erziehung auf¬ kommt. Mit vierzehn Jahren aber kann es bereits selbst den Vorteil erkennen, den es gegenüber gleichalterigen Kameraden in der Heimat hat. In Kanada kann ein junger Mensch sich seine Arbeit frei aussuchen, jeden Beruf erschließen. Niemals ist er genötigt des schnellen Verdienstes wegen eine Arbeit zu wählen, die in eine Sackgasse führt, oder zeitlebens in abhängiger Dienststellung zu bleiben. Bei der großen Leichtigkeit auf allen Gebieten Arbeit und Verdienst zu finden, läuft er allerdings Gefahr, der Veränderungssucht zu verfallen und in keinem bestimmten Berufe heimisch zu werden. Für eine Durchschnittsbegabung ist der Beruf eines Landwirth in Kanada besonders aussichtsreich, solange die Regierung in den westlichen Provinzen Freiland zu sehr günstigen Bedingungen abgibt. Wer zu diesem Beruf Lust hat, kann schon in jungen Jahren, sobald er sich als Farmgehilfe mit einem Lohn von 400 bis 1200 Mark pro Jahr die nötigen Kenntnisse und das erforderliche Kapital von 1200 bis 3000 Mark erspart hat, eine „Kome stsaci" gründen, d. h. sich von der Regierung die 160 acreg (1 aere 0.7 Ka) Frei¬ land anweisen lassen. Die einzigen Verpflichtungen, die er übernimmt, sind: abgesehen von einer geringen „entrance" Gebühr von 40 Mark, alljährlich I g,Lre8 Land in lulturfähigen Zustand zu bringen, innerhalb eines Jahres ein bewohnbares Haus zu errichten und während drei Jahren mindestens sechs Monate alljährlich auf der Farm zuzubringen. Nach wenigen Jahren tüchtiger, anstrengender Arbeit kann er ein wohlhabender, selbständiger, freier Grund¬ besitzer sein. Wer handwerkslustig ist, kann zu jedem Meister unentgeltlich in die Lehre gehen und braucht kein ungesundes Handwerk zu ergreifen. Sie alle — auch Schuster und Schneider — nähren ihren Mann und mehr in Kanada. In die höheren Berufe des Kaufmanns, Mediziners, Pfarrers u. a. in. aufzusteigen, ist in Kanada nicht schwer. Die sekundären Lehranstalten kann man ohne Schwierigkeiten unentgeltlich besuchen und wie in den Vereinigten Staaten haben Studierende lange Sommerferien, in denen sie mit einem beliebigen „joh" sich die Mittel für die winterlichen Studienmonate verdienen können. ") Es spricht für die Umsicht der Anstaltsleiter, datz nur 8 Prozent der Kinder in das Heim zurückkehren. Auch bei diesen sind weniger Charakterfehler oder Abneigung die Ursache des Mißerfolgs, als die gesundheitliche Schwäche des Bettnässens.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/216
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/216>, abgerufen am 21.10.2024.