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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

ins Weite ist offener, Heller, wenngleich na¬
türlich das unmittelbare Individuelle, See¬
lische weniger ans Herz greift, wie bei Lenau.
Oft ist es, als ob Greiner nicht Raum fände
für seine tiefsten Empfindungen, als ob er sich
nicht genügend ausbreiten könnte. Die heiße
Sehnsucht läßt sich nur mühsam in die Form
einpassen. Wo eine restlose Gestaltung ge¬
lungen ist -- und die meisten Verse sind in
sich geschlossen und vollkommen! -- da er¬
staunt man dankbar und freudig. Ein Ge¬
dicht wie "Leben", das ich für das bedeu¬
tendste des wertvollen Buches halte, kann nur
von einem echten Künstler geschrieben werden:

Weich und blaß sind die Verse, welche
Ernst Lothar in zwei Bänden gesammelt
hat: "Der ruhige Hain" (R. Piper, München;
br. 2 M., geb. 3 M.) und "Die Rast" (ebenda,
derselbe Preis). Sie gleichen den frühen Blüten,
die ein Windstoß leicht von den Zweigen wir¬
belt. Worte und Reime sind fein und sorgsam
gefügt; man fühlt die glatte, lebensscheue Art
mancher anderen österreichischen Lyriker. Oft
meint man, diese Gedichte seien nur aus der
edlen Freude an der Literatur entstanden,
aber nicht aus innerstem Wollen und Drängen.
Unstreitig haben wir in Lothar einen Be¬
gabten, ein Talent; aber damit ist heute wenig
gesagt. Hie und da empfindet man fremde
Anklänge, an Conrad Ferdinand Meyer ("Alte
Zeit"), an Eichendorff ("In der Fremde")
oder Theodor Storm ("Heimgekehrt" 1); ein¬
mal wird sogar der Vergleich zwischen Fluß

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und Silberband wieder hervorgesucht. Das
zweite, schmalere Heft ist mir lieber, hier
merke ich mehr selbstbewußte Ruhe. Aber das
Persönliche vermisse ich hier gleichfalls. Die
Zukunft muß dartun, ob Lothar sich empor¬
ringe; es ist nicht schwer, in angenehmer Stille
die blinkenden Wellen am Strande zu durch-
plätschcrn; erst dann kann man seine Kräfte
Prüfen und schwellen, wenn man durch hohe,
empörte Wogen rudern muß.

Dies gilt in gewissem Sinne auch von
den folgenden beiden Heften. "Gestalten und
Stunden" nennt Wilhelm Walther seine
Gedichte (Fritz Eckardt, Leipzig; br. 3 M,
geb. 4 M.). Der Verleger weist in seiner Be¬
gleitnotiz selbst auf Rainer Maria Rilke hin,
und die Abhängigkeit ist in der Tat sogleich
ersichtlich. Aber was bei Rilke höchste Stei¬
gerung, Persönliche Kraft bedeutet, ist bei
Walther noch Tasten und Suchen. Auch hier
muß man von Talent reden, aber dieses Wort
ist fast ein Fluch. Man begehrt eben mehr!
Es sollen durchaus nicht Kraft und Freudig¬
keit als allgemeines Postulat, als Imperativ
aufgestellt werden; aber das beständige Wiegen
schöngeformter, erlesener Worte, die im Grunde
weder Anschauung, noch Tiefen erschließen,
ermüdet so rasch und macht mißmutig. Es
muß heute alles möglichst dekorativ sein, dann
vermag es leicht die literaturfreudige Menge
zu gewinnen, die in geschmeidigen Sätzen von
Verfeinerung und Versonnenheit orakelt, wo
nur Schwachheit redet, aber das Echte, wahr¬
haft Persönliche damit herabsetzt. Die Worte
sind heute so reich, es gibt so viele feine Ar¬
tisten, daß man leicht den Mangel an eigener
Schöpfertat damit verhüllen kann. Und die¬
jenigen, die in heißer Mühe streben, den adä¬
quaten Ausdruck ihrer tiefsten Empfindungen
zu geben, die langsam und treu arbeiten,
werden übersehen (es brauchen nichr immer
Große zu sein, auch unter den minder Ge¬
nannten finden sich viele, die vergeblich gegen
die gepriesene Mittelmäßigkeit um Anerken¬
nung ringen), während geschickte Wortakro¬
baten eifrig bestaunt werden. -- Immerhin
bin ich der Überzeugung, daß Poeten wie
Wilhelm Walther es mit sich selbst ehrlich
meinen; nur habe ich oft das Gefühl, als
könnte manche Zeile auch anders sein, ohne die
Gedichte irgendwie zu zerstören; es mangelt

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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ins Weite ist offener, Heller, wenngleich na¬
türlich das unmittelbare Individuelle, See¬
lische weniger ans Herz greift, wie bei Lenau.
Oft ist es, als ob Greiner nicht Raum fände
für seine tiefsten Empfindungen, als ob er sich
nicht genügend ausbreiten könnte. Die heiße
Sehnsucht läßt sich nur mühsam in die Form
einpassen. Wo eine restlose Gestaltung ge¬
lungen ist — und die meisten Verse sind in
sich geschlossen und vollkommen! — da er¬
staunt man dankbar und freudig. Ein Ge¬
dicht wie „Leben", das ich für das bedeu¬
tendste des wertvollen Buches halte, kann nur
von einem echten Künstler geschrieben werden:

Weich und blaß sind die Verse, welche
Ernst Lothar in zwei Bänden gesammelt
hat: „Der ruhige Hain" (R. Piper, München;
br. 2 M., geb. 3 M.) und „Die Rast" (ebenda,
derselbe Preis). Sie gleichen den frühen Blüten,
die ein Windstoß leicht von den Zweigen wir¬
belt. Worte und Reime sind fein und sorgsam
gefügt; man fühlt die glatte, lebensscheue Art
mancher anderen österreichischen Lyriker. Oft
meint man, diese Gedichte seien nur aus der
edlen Freude an der Literatur entstanden,
aber nicht aus innerstem Wollen und Drängen.
Unstreitig haben wir in Lothar einen Be¬
gabten, ein Talent; aber damit ist heute wenig
gesagt. Hie und da empfindet man fremde
Anklänge, an Conrad Ferdinand Meyer („Alte
Zeit"), an Eichendorff („In der Fremde")
oder Theodor Storm („Heimgekehrt" 1); ein¬
mal wird sogar der Vergleich zwischen Fluß

[Spaltenumbruch]

und Silberband wieder hervorgesucht. Das
zweite, schmalere Heft ist mir lieber, hier
merke ich mehr selbstbewußte Ruhe. Aber das
Persönliche vermisse ich hier gleichfalls. Die
Zukunft muß dartun, ob Lothar sich empor¬
ringe; es ist nicht schwer, in angenehmer Stille
die blinkenden Wellen am Strande zu durch-
plätschcrn; erst dann kann man seine Kräfte
Prüfen und schwellen, wenn man durch hohe,
empörte Wogen rudern muß.

Dies gilt in gewissem Sinne auch von
den folgenden beiden Heften. „Gestalten und
Stunden" nennt Wilhelm Walther seine
Gedichte (Fritz Eckardt, Leipzig; br. 3 M,
geb. 4 M.). Der Verleger weist in seiner Be¬
gleitnotiz selbst auf Rainer Maria Rilke hin,
und die Abhängigkeit ist in der Tat sogleich
ersichtlich. Aber was bei Rilke höchste Stei¬
gerung, Persönliche Kraft bedeutet, ist bei
Walther noch Tasten und Suchen. Auch hier
muß man von Talent reden, aber dieses Wort
ist fast ein Fluch. Man begehrt eben mehr!
Es sollen durchaus nicht Kraft und Freudig¬
keit als allgemeines Postulat, als Imperativ
aufgestellt werden; aber das beständige Wiegen
schöngeformter, erlesener Worte, die im Grunde
weder Anschauung, noch Tiefen erschließen,
ermüdet so rasch und macht mißmutig. Es
muß heute alles möglichst dekorativ sein, dann
vermag es leicht die literaturfreudige Menge
zu gewinnen, die in geschmeidigen Sätzen von
Verfeinerung und Versonnenheit orakelt, wo
nur Schwachheit redet, aber das Echte, wahr¬
haft Persönliche damit herabsetzt. Die Worte
sind heute so reich, es gibt so viele feine Ar¬
tisten, daß man leicht den Mangel an eigener
Schöpfertat damit verhüllen kann. Und die¬
jenigen, die in heißer Mühe streben, den adä¬
quaten Ausdruck ihrer tiefsten Empfindungen
zu geben, die langsam und treu arbeiten,
werden übersehen (es brauchen nichr immer
Große zu sein, auch unter den minder Ge¬
nannten finden sich viele, die vergeblich gegen
die gepriesene Mittelmäßigkeit um Anerken¬
nung ringen), während geschickte Wortakro¬
baten eifrig bestaunt werden. — Immerhin
bin ich der Überzeugung, daß Poeten wie
Wilhelm Walther es mit sich selbst ehrlich
meinen; nur habe ich oft das Gefühl, als
könnte manche Zeile auch anders sein, ohne die
Gedichte irgendwie zu zerstören; es mangelt

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[0198] Maßgebliches und Unmaßgebliches ins Weite ist offener, Heller, wenngleich na¬ türlich das unmittelbare Individuelle, See¬ lische weniger ans Herz greift, wie bei Lenau. Oft ist es, als ob Greiner nicht Raum fände für seine tiefsten Empfindungen, als ob er sich nicht genügend ausbreiten könnte. Die heiße Sehnsucht läßt sich nur mühsam in die Form einpassen. Wo eine restlose Gestaltung ge¬ lungen ist — und die meisten Verse sind in sich geschlossen und vollkommen! — da er¬ staunt man dankbar und freudig. Ein Ge¬ dicht wie „Leben", das ich für das bedeu¬ tendste des wertvollen Buches halte, kann nur von einem echten Künstler geschrieben werden: Weich und blaß sind die Verse, welche Ernst Lothar in zwei Bänden gesammelt hat: „Der ruhige Hain" (R. Piper, München; br. 2 M., geb. 3 M.) und „Die Rast" (ebenda, derselbe Preis). Sie gleichen den frühen Blüten, die ein Windstoß leicht von den Zweigen wir¬ belt. Worte und Reime sind fein und sorgsam gefügt; man fühlt die glatte, lebensscheue Art mancher anderen österreichischen Lyriker. Oft meint man, diese Gedichte seien nur aus der edlen Freude an der Literatur entstanden, aber nicht aus innerstem Wollen und Drängen. Unstreitig haben wir in Lothar einen Be¬ gabten, ein Talent; aber damit ist heute wenig gesagt. Hie und da empfindet man fremde Anklänge, an Conrad Ferdinand Meyer („Alte Zeit"), an Eichendorff („In der Fremde") oder Theodor Storm („Heimgekehrt" 1); ein¬ mal wird sogar der Vergleich zwischen Fluß und Silberband wieder hervorgesucht. Das zweite, schmalere Heft ist mir lieber, hier merke ich mehr selbstbewußte Ruhe. Aber das Persönliche vermisse ich hier gleichfalls. Die Zukunft muß dartun, ob Lothar sich empor¬ ringe; es ist nicht schwer, in angenehmer Stille die blinkenden Wellen am Strande zu durch- plätschcrn; erst dann kann man seine Kräfte Prüfen und schwellen, wenn man durch hohe, empörte Wogen rudern muß. Dies gilt in gewissem Sinne auch von den folgenden beiden Heften. „Gestalten und Stunden" nennt Wilhelm Walther seine Gedichte (Fritz Eckardt, Leipzig; br. 3 M, geb. 4 M.). Der Verleger weist in seiner Be¬ gleitnotiz selbst auf Rainer Maria Rilke hin, und die Abhängigkeit ist in der Tat sogleich ersichtlich. Aber was bei Rilke höchste Stei¬ gerung, Persönliche Kraft bedeutet, ist bei Walther noch Tasten und Suchen. Auch hier muß man von Talent reden, aber dieses Wort ist fast ein Fluch. Man begehrt eben mehr! Es sollen durchaus nicht Kraft und Freudig¬ keit als allgemeines Postulat, als Imperativ aufgestellt werden; aber das beständige Wiegen schöngeformter, erlesener Worte, die im Grunde weder Anschauung, noch Tiefen erschließen, ermüdet so rasch und macht mißmutig. Es muß heute alles möglichst dekorativ sein, dann vermag es leicht die literaturfreudige Menge zu gewinnen, die in geschmeidigen Sätzen von Verfeinerung und Versonnenheit orakelt, wo nur Schwachheit redet, aber das Echte, wahr¬ haft Persönliche damit herabsetzt. Die Worte sind heute so reich, es gibt so viele feine Ar¬ tisten, daß man leicht den Mangel an eigener Schöpfertat damit verhüllen kann. Und die¬ jenigen, die in heißer Mühe streben, den adä¬ quaten Ausdruck ihrer tiefsten Empfindungen zu geben, die langsam und treu arbeiten, werden übersehen (es brauchen nichr immer Große zu sein, auch unter den minder Ge¬ nannten finden sich viele, die vergeblich gegen die gepriesene Mittelmäßigkeit um Anerken¬ nung ringen), während geschickte Wortakro¬ baten eifrig bestaunt werden. — Immerhin bin ich der Überzeugung, daß Poeten wie Wilhelm Walther es mit sich selbst ehrlich meinen; nur habe ich oft das Gefühl, als könnte manche Zeile auch anders sein, ohne die Gedichte irgendwie zu zerstören; es mangelt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/198>, abgerufen am 19.10.2024.