Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.Sturm eines kurzen Rausches willen allen Forderungen der Ehre und des Anstandes Jetzt war er gewiß nicht mehr der liebe hübsche Bursche mit dem klaren, Was waren das für schöne Tage gewesen! Die Schwester hatte sie auf Sie schlich sich leise aus dem Bett, schloß die Tür hinter sich und zündete Edda kauerte auf den geblümten Sessel und vertiefte sich in das Buch auf "Er ist ein schöner Mann!" flüsterte Edda. "Viel zu schön für mich!" Sie sah auf und betrachtete ihr Bild, wie es der Spiegel in der Ecke zu¬ "Wenn ich ihn sehe, will ich noch tausendmal schöner sein!" nahm sie sich In auflösender Scham barg sie ihr Gesicht in den Händen: "Ich kann Der Elfenreigen auf dem roten Lampenschirm verschwand wieder im Schatten Sturm eines kurzen Rausches willen allen Forderungen der Ehre und des Anstandes Jetzt war er gewiß nicht mehr der liebe hübsche Bursche mit dem klaren, Was waren das für schöne Tage gewesen! Die Schwester hatte sie auf Sie schlich sich leise aus dem Bett, schloß die Tür hinter sich und zündete Edda kauerte auf den geblümten Sessel und vertiefte sich in das Buch auf „Er ist ein schöner Mann!" flüsterte Edda. „Viel zu schön für mich!" Sie sah auf und betrachtete ihr Bild, wie es der Spiegel in der Ecke zu¬ „Wenn ich ihn sehe, will ich noch tausendmal schöner sein!" nahm sie sich In auflösender Scham barg sie ihr Gesicht in den Händen: „Ich kann Der Elfenreigen auf dem roten Lampenschirm verschwand wieder im Schatten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0188" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326358"/> <fw type="header" place="top"> Sturm</fw><lb/> <p xml:id="ID_839" prev="#ID_838"> eines kurzen Rausches willen allen Forderungen der Ehre und des Anstandes<lb/> ins Gesicht zu schlagen.</p><lb/> <p xml:id="ID_840"> Jetzt war er gewiß nicht mehr der liebe hübsche Bursche mit dem klaren,<lb/> treuherzigen Gesichtsausdruck, dem es so gut stand, wenn er wie ein Junge<lb/> seine Neckereien trieb. Man verzieh sie ihm gern, und auch sie selber konnte<lb/> ihm nicht lange böse sein, als er ihr beim Theaterspiel die Küsse wider Ver¬<lb/> abreden herzhaft auf den Mund gepreßt hatte.</p><lb/> <p xml:id="ID_841"> Was waren das für schöne Tage gewesen! Die Schwester hatte sie auf<lb/> manchem Bild festgehalten. Nebenan in Ebbas Schreibtisch lag das Album mit<lb/> den Aufnahmen. Ein unwiderstehliches Verlangen trieb das junge Mädchen,<lb/> aufzustehen und in den Photographien zu blättern.</p><lb/> <p xml:id="ID_842"> Sie schlich sich leise aus dem Bett, schloß die Tür hinter sich und zündete<lb/> Licht an. Die schwarzen Elfen auf dem roten Lampenschirm erwachten aus<lb/> ihrem Schlaf und schwangen wieder ihren Reigen. Im Kamin war noch Glut.<lb/> Und der Wind blies seine mächtige Melodie auf der hohen Esse des alten Hauses.</p><lb/> <p xml:id="ID_843"> Edda kauerte auf den geblümten Sessel und vertiefte sich in das Buch auf<lb/> ihren Knien. Ihr aschblondes Haar war in einen einzigen dicken Zopf geflochten<lb/> und siel über das hochgeschlossene sich weich um den lieblichen Mädchenkörper<lb/> schmiegende Battisthemd.</p><lb/> <p xml:id="ID_844"> „Er ist ein schöner Mann!" flüsterte Edda. „Viel zu schön für mich!"</p><lb/> <p xml:id="ID_845"> Sie sah auf und betrachtete ihr Bild, wie es der Spiegel in der Ecke zu¬<lb/> rückwarf. So hatte sie sich noch nie gesehen. Das Licht der Lampe malte ihre<lb/> Wangen rot, dunkel und groß blickten ihre grauen Augen. Sie wandte den<lb/> Kopf zur Seite, um die Linie ihres Halses zu prüfen und freute sich der edlen<lb/> Zeichnung. Auch der dichte Ansatz ihres Haares fiel ihr heute auf, und unter<lb/> einem Schauer von Glück und Sehnsucht preßte sie ihre Arme gegen die Brust.<lb/> Heute sagte ihr der Spiegel, daß sie ein hübsches Mädchen sei und wohl An¬<lb/> spruch auf eines Wolff Joachims Liebe erheben dürfe.</p><lb/> <p xml:id="ID_846"> „Wenn ich ihn sehe, will ich noch tausendmal schöner sein!" nahm sie sich<lb/> vor. „So schön, daß er die andere vergißt. Aber dann bin ich kalt zu ihm,<lb/> so kalt . . ."</p><lb/> <p xml:id="ID_847"> In auflösender Scham barg sie ihr Gesicht in den Händen: „Ich kann<lb/> es ja gar nicht, ich bin ihm ja längst wieder gut! Meine Augen werden mich<lb/> verraten, meine Stimme, der Druck meiner Hand. Alles, alles wird zu ihm<lb/> sprechen: endlich bist du wiedergekommen, du Böser!"</p><lb/> <p xml:id="ID_848"> Der Elfenreigen auf dem roten Lampenschirm verschwand wieder im Schatten<lb/> der Nacht. Im Kamin zerfielen die letzten glühenden Scheite zu Asche. Leichte<lb/> Schritte schwebten durchs Zimmer und bald malte der Traum dem Mädchen<lb/> noch lichtere Bilder als wie sie Wunsch und Sehnsucht ihm eben vorgegaukelt hatten.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0188]
Sturm
eines kurzen Rausches willen allen Forderungen der Ehre und des Anstandes
ins Gesicht zu schlagen.
Jetzt war er gewiß nicht mehr der liebe hübsche Bursche mit dem klaren,
treuherzigen Gesichtsausdruck, dem es so gut stand, wenn er wie ein Junge
seine Neckereien trieb. Man verzieh sie ihm gern, und auch sie selber konnte
ihm nicht lange böse sein, als er ihr beim Theaterspiel die Küsse wider Ver¬
abreden herzhaft auf den Mund gepreßt hatte.
Was waren das für schöne Tage gewesen! Die Schwester hatte sie auf
manchem Bild festgehalten. Nebenan in Ebbas Schreibtisch lag das Album mit
den Aufnahmen. Ein unwiderstehliches Verlangen trieb das junge Mädchen,
aufzustehen und in den Photographien zu blättern.
Sie schlich sich leise aus dem Bett, schloß die Tür hinter sich und zündete
Licht an. Die schwarzen Elfen auf dem roten Lampenschirm erwachten aus
ihrem Schlaf und schwangen wieder ihren Reigen. Im Kamin war noch Glut.
Und der Wind blies seine mächtige Melodie auf der hohen Esse des alten Hauses.
Edda kauerte auf den geblümten Sessel und vertiefte sich in das Buch auf
ihren Knien. Ihr aschblondes Haar war in einen einzigen dicken Zopf geflochten
und siel über das hochgeschlossene sich weich um den lieblichen Mädchenkörper
schmiegende Battisthemd.
„Er ist ein schöner Mann!" flüsterte Edda. „Viel zu schön für mich!"
Sie sah auf und betrachtete ihr Bild, wie es der Spiegel in der Ecke zu¬
rückwarf. So hatte sie sich noch nie gesehen. Das Licht der Lampe malte ihre
Wangen rot, dunkel und groß blickten ihre grauen Augen. Sie wandte den
Kopf zur Seite, um die Linie ihres Halses zu prüfen und freute sich der edlen
Zeichnung. Auch der dichte Ansatz ihres Haares fiel ihr heute auf, und unter
einem Schauer von Glück und Sehnsucht preßte sie ihre Arme gegen die Brust.
Heute sagte ihr der Spiegel, daß sie ein hübsches Mädchen sei und wohl An¬
spruch auf eines Wolff Joachims Liebe erheben dürfe.
„Wenn ich ihn sehe, will ich noch tausendmal schöner sein!" nahm sie sich
vor. „So schön, daß er die andere vergißt. Aber dann bin ich kalt zu ihm,
so kalt . . ."
In auflösender Scham barg sie ihr Gesicht in den Händen: „Ich kann
es ja gar nicht, ich bin ihm ja längst wieder gut! Meine Augen werden mich
verraten, meine Stimme, der Druck meiner Hand. Alles, alles wird zu ihm
sprechen: endlich bist du wiedergekommen, du Böser!"
Der Elfenreigen auf dem roten Lampenschirm verschwand wieder im Schatten
der Nacht. Im Kamin zerfielen die letzten glühenden Scheite zu Asche. Leichte
Schritte schwebten durchs Zimmer und bald malte der Traum dem Mädchen
noch lichtere Bilder als wie sie Wunsch und Sehnsucht ihm eben vorgegaukelt hatten.
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