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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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"IVKomme macnine" im zwanzigsten Jahrhundert

wird, solange es eine ernsthafte Philosophie gibt, nicht wieder auferstehen, aber
ein ihm innewohnendes Moment -- das Streben nach Empirie und Gesetz --
trägt Frucht, obgleich es die Materialisten selbst irreleitete. Dieses Moment ist
ja durchaus nicht ausschließlich mit dem Materialismus oder ihm nahe ver¬
wandten Standpunkten verquickt in dem Sinne, als sei es von ihm und nur
von ihm in Erbpacht genommen worden, so daß strenge Wissenschaftlichkeit ledig¬
lich auf dem Boden seiner Voraussetzungen zu gewinnen sei, im Gegenteil, die
Trugschlüsse, auf die er sich stützt, liegen klar zutage und das, was an ihm
wichtig und wertvoll ist, kommt nicht ihm allein zu -- aber anzuerkennen ist
immerhin sein Tatsachenhunger, sein Sinn für das Reale.

Und hier begegnet er der Gegenwart.

Die Atmosphäre unserer Zeit ist gesättigt mit dem Streben nach greifbarer
Erkenntnis. Wir sammeln, sichten und suchen das Gesetz, von dem die Vor¬
gänge um uns her getragen werden. Man hat von einer Mechanisierung
unseres Zeitalters gesprochen und schier graust es uns vor dem Beginnen, auch
das, was uns ungreifbar schien -- die Einzigartigkeit des Geistigen -- in das
Prokrustesbett der Gesetzmäßigkeit einzuspannen. Mit Maß und Zahl durch¬
streift man das weite Land der menschlichen Seele. Aber nicht nur, daß wir
dem Ablauf des geistigen Geschehens sein Gesetz ablauschen wollen und die
eherne Notwendigkeiten des Kosmos auch in ihm erkennen -- nein, der Mensch
in seiner körperlich-geistigen Organisation soll eingeschaltet werden in den
maschinellen Betrieb des großen, wirtschaftlichen Arbeitsprozesses. Mit mehr
Berechtigung denn je können wir von einem "Komme manlins" sprechen.




Die Bestrebungen, die zwischen Psychologie und Wissenschaft eine Brücke
schlagen wollen, sind nicht alt. Natürlich hat man von jeher, sowohl in der
theoretischen als auch in der praktischen Nationalökonomie von wirkenden
"psychischen" Faktoren gesprochen, da der Mensch als teils körperliches, teils
geistiges Wesen im Mittelpunkt der Volkswirtschaft steht, aber es handelt sich
hier immer nur um seine einfühlende Erfassung, die, wenn es nicht um
Primitivstes geht, mehr mit künstlerischer Intuition als mit strenger Wissen¬
schaftlichkeit zu tun hat. Die Wissenschaft erstrebt weitgehende, bis zum Elemen¬
taren dringende Analyse, Feststellung des ursächlichen Zusammenhangs von
Einzelvorgängen, und diese an der Ursächlichkeit orientierte Psychologie ist es,
die jetzt an die Tore der Volkswirtschaft klopft.

Daß es der praktische Sinn der Amerikaner war, der zuerst in systematischer
und umfassender Weise versuchte, die Methoden der exakten Psychologie unter
volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten in Anwendung zu bringen, kann nicht
wundernehmen. Schon seit längerer Zeit wird in Amerika das System der
sogenannten wissenschaftlichen Betriebsführung (scientific mena^euere) erörtert


„IVKomme macnine" im zwanzigsten Jahrhundert

wird, solange es eine ernsthafte Philosophie gibt, nicht wieder auferstehen, aber
ein ihm innewohnendes Moment — das Streben nach Empirie und Gesetz —
trägt Frucht, obgleich es die Materialisten selbst irreleitete. Dieses Moment ist
ja durchaus nicht ausschließlich mit dem Materialismus oder ihm nahe ver¬
wandten Standpunkten verquickt in dem Sinne, als sei es von ihm und nur
von ihm in Erbpacht genommen worden, so daß strenge Wissenschaftlichkeit ledig¬
lich auf dem Boden seiner Voraussetzungen zu gewinnen sei, im Gegenteil, die
Trugschlüsse, auf die er sich stützt, liegen klar zutage und das, was an ihm
wichtig und wertvoll ist, kommt nicht ihm allein zu — aber anzuerkennen ist
immerhin sein Tatsachenhunger, sein Sinn für das Reale.

Und hier begegnet er der Gegenwart.

Die Atmosphäre unserer Zeit ist gesättigt mit dem Streben nach greifbarer
Erkenntnis. Wir sammeln, sichten und suchen das Gesetz, von dem die Vor¬
gänge um uns her getragen werden. Man hat von einer Mechanisierung
unseres Zeitalters gesprochen und schier graust es uns vor dem Beginnen, auch
das, was uns ungreifbar schien — die Einzigartigkeit des Geistigen — in das
Prokrustesbett der Gesetzmäßigkeit einzuspannen. Mit Maß und Zahl durch¬
streift man das weite Land der menschlichen Seele. Aber nicht nur, daß wir
dem Ablauf des geistigen Geschehens sein Gesetz ablauschen wollen und die
eherne Notwendigkeiten des Kosmos auch in ihm erkennen — nein, der Mensch
in seiner körperlich-geistigen Organisation soll eingeschaltet werden in den
maschinellen Betrieb des großen, wirtschaftlichen Arbeitsprozesses. Mit mehr
Berechtigung denn je können wir von einem „Komme manlins" sprechen.




Die Bestrebungen, die zwischen Psychologie und Wissenschaft eine Brücke
schlagen wollen, sind nicht alt. Natürlich hat man von jeher, sowohl in der
theoretischen als auch in der praktischen Nationalökonomie von wirkenden
„psychischen" Faktoren gesprochen, da der Mensch als teils körperliches, teils
geistiges Wesen im Mittelpunkt der Volkswirtschaft steht, aber es handelt sich
hier immer nur um seine einfühlende Erfassung, die, wenn es nicht um
Primitivstes geht, mehr mit künstlerischer Intuition als mit strenger Wissen¬
schaftlichkeit zu tun hat. Die Wissenschaft erstrebt weitgehende, bis zum Elemen¬
taren dringende Analyse, Feststellung des ursächlichen Zusammenhangs von
Einzelvorgängen, und diese an der Ursächlichkeit orientierte Psychologie ist es,
die jetzt an die Tore der Volkswirtschaft klopft.

Daß es der praktische Sinn der Amerikaner war, der zuerst in systematischer
und umfassender Weise versuchte, die Methoden der exakten Psychologie unter
volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten in Anwendung zu bringen, kann nicht
wundernehmen. Schon seit längerer Zeit wird in Amerika das System der
sogenannten wissenschaftlichen Betriebsführung (scientific mena^euere) erörtert


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/180>, abgerufen am 19.10.2024.