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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Kämpfe unserer Lehrerschaft

Aber Cauer weist mit anderen kritisch auf die Lehrpläne der Anstalten hin,
die zum Studium berechtigen und vergleicht damit die Leistungen des Seminars.
Unzweifelhaft steht fest, daß die Anforderungen nicht gleichartig sind. Aber
es ist doch eine offene Frage, ob die wissenschaftliche Reife so tief unter der
eines Abiturienten der höheren Schulen liegt, wie gemeinhin angenommen wird.
In Hessen hat man neben dem Wege durch das Seminar einen zweiten Weg
zur Lehrerbildung durch die allgemeinen Bildungsanstalten eingerichtet. Die
hessische Regierung hat zuerst den Versuch gemacht, Abiturienten, die die Reife¬
prüfung mit "gut" bestanden haben, in einem pädagogischen Jahreskursus zu
Lehrern auszubilden. Dieser Zeitraum hat sich als durchaus unzureichend er¬
wiesen; die Zeit der Ausbildung ist nunmehr auf zwei Jahre verlängert worden.
Daraus folgt zum mindesten, daß auch in der Lehrerbildung umfangreiche Arbeiten
erledigt werden müssen, die man nicht als eine bloße Technik mit beiläufigen
Belehrungen in einem Übungskursus leicht erlernen kann. Die Volksschul¬
pädagogik ist eine angewandte Wissenschaft mit mannigfachen Voraussetzungen
auf anderen Wissensgebieten. Darum ist auch die Bildung, die das Seminar
vermittelt, nicht als bloße Fachschulbildung gegenüber der wissenschaftlichen
Bildung auf höheren Lehranstalten abzutun. Dabei ist nicht zu ver¬
schweigen, daß unser heutiges Seminar einer Reform dringend bedürftig
ist. Diese Frage können wir hier nur soweit heranziehen, als sie für den Haupt¬
punkt der Erörterung von Wert ist. Die Vorschläge zahlreicher Lehrerbildner
stimmen darin überein, daß auch in fachwissenschaftlicher Beziehung höhere Ziele
verfolgt werden könnten. Wenn man bei einer Neuregelung des Seminar¬
wesens ernsthaft an den Plan heranginge, es in Beziehungen zu anderen
Bildungsanstalten zu bringen, so wären die Einwände gegen das geistige
Militärmaß der Volksschullehrer gefallen. Heut ist die Kluft zwischen den
Seminaren und den allgemeinen Bildungsanstalten so groß, daß es ein Hin¬
über und Herüber nicht gibt. Die Entscheidung für den Lehrerberuf muß
beim Volksschüler schon im vierzehnten Lebensjahr erfolgen, zu einer Zeit,
da er die Aufgaben dieses Berufes nicht abzuschätzen vermag. Von der höheren
Schule aus darf der Schüler mit dem "Einjährigenzeugnis" in die zweite
Präparandenklasse eintreten. Der Seminarabiturient erhält den Berechtigungs¬
schein erst fünf Jahre später mit dem Lehrbefähigungszeugnis. Lassen sich aus
dieser Tatsache Schlüsse ziehen, so sprechen sie nicht für einen so tiefen
Stand der Lehrerbildung. Aber sie wird so tief eingeschätzt, weil sie in einer
Sackgasse endet, abseits vom Wege der allgemeinen Bildungsanstalten, in be¬
sonders dafür eingerichteten Konvikten. Solange man sich nicht entschließen
kann, die Seminare zu einem neuen Typus höherer Schulen umzugestalten, oder die
Lehrerbildung ähnlich wie in Hessen an die Reifeprüfung anzuschließen, wird das Übel
der Sonderstellung und der Zurücksetzung sich von Geschlecht zu Geschlecht forterben.

Die Volksschullehrer sehen der Lösung ihrer Bildungsfrage in dem letzten
Sinne, wie sie auch der Königsberger Lehrertag 1904 wünschte, nicht mit hoff-


Kämpfe unserer Lehrerschaft

Aber Cauer weist mit anderen kritisch auf die Lehrpläne der Anstalten hin,
die zum Studium berechtigen und vergleicht damit die Leistungen des Seminars.
Unzweifelhaft steht fest, daß die Anforderungen nicht gleichartig sind. Aber
es ist doch eine offene Frage, ob die wissenschaftliche Reife so tief unter der
eines Abiturienten der höheren Schulen liegt, wie gemeinhin angenommen wird.
In Hessen hat man neben dem Wege durch das Seminar einen zweiten Weg
zur Lehrerbildung durch die allgemeinen Bildungsanstalten eingerichtet. Die
hessische Regierung hat zuerst den Versuch gemacht, Abiturienten, die die Reife¬
prüfung mit „gut" bestanden haben, in einem pädagogischen Jahreskursus zu
Lehrern auszubilden. Dieser Zeitraum hat sich als durchaus unzureichend er¬
wiesen; die Zeit der Ausbildung ist nunmehr auf zwei Jahre verlängert worden.
Daraus folgt zum mindesten, daß auch in der Lehrerbildung umfangreiche Arbeiten
erledigt werden müssen, die man nicht als eine bloße Technik mit beiläufigen
Belehrungen in einem Übungskursus leicht erlernen kann. Die Volksschul¬
pädagogik ist eine angewandte Wissenschaft mit mannigfachen Voraussetzungen
auf anderen Wissensgebieten. Darum ist auch die Bildung, die das Seminar
vermittelt, nicht als bloße Fachschulbildung gegenüber der wissenschaftlichen
Bildung auf höheren Lehranstalten abzutun. Dabei ist nicht zu ver¬
schweigen, daß unser heutiges Seminar einer Reform dringend bedürftig
ist. Diese Frage können wir hier nur soweit heranziehen, als sie für den Haupt¬
punkt der Erörterung von Wert ist. Die Vorschläge zahlreicher Lehrerbildner
stimmen darin überein, daß auch in fachwissenschaftlicher Beziehung höhere Ziele
verfolgt werden könnten. Wenn man bei einer Neuregelung des Seminar¬
wesens ernsthaft an den Plan heranginge, es in Beziehungen zu anderen
Bildungsanstalten zu bringen, so wären die Einwände gegen das geistige
Militärmaß der Volksschullehrer gefallen. Heut ist die Kluft zwischen den
Seminaren und den allgemeinen Bildungsanstalten so groß, daß es ein Hin¬
über und Herüber nicht gibt. Die Entscheidung für den Lehrerberuf muß
beim Volksschüler schon im vierzehnten Lebensjahr erfolgen, zu einer Zeit,
da er die Aufgaben dieses Berufes nicht abzuschätzen vermag. Von der höheren
Schule aus darf der Schüler mit dem „Einjährigenzeugnis" in die zweite
Präparandenklasse eintreten. Der Seminarabiturient erhält den Berechtigungs¬
schein erst fünf Jahre später mit dem Lehrbefähigungszeugnis. Lassen sich aus
dieser Tatsache Schlüsse ziehen, so sprechen sie nicht für einen so tiefen
Stand der Lehrerbildung. Aber sie wird so tief eingeschätzt, weil sie in einer
Sackgasse endet, abseits vom Wege der allgemeinen Bildungsanstalten, in be¬
sonders dafür eingerichteten Konvikten. Solange man sich nicht entschließen
kann, die Seminare zu einem neuen Typus höherer Schulen umzugestalten, oder die
Lehrerbildung ähnlich wie in Hessen an die Reifeprüfung anzuschließen, wird das Übel
der Sonderstellung und der Zurücksetzung sich von Geschlecht zu Geschlecht forterben.

Die Volksschullehrer sehen der Lösung ihrer Bildungsfrage in dem letzten
Sinne, wie sie auch der Königsberger Lehrertag 1904 wünschte, nicht mit hoff-


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[0169] Kämpfe unserer Lehrerschaft Aber Cauer weist mit anderen kritisch auf die Lehrpläne der Anstalten hin, die zum Studium berechtigen und vergleicht damit die Leistungen des Seminars. Unzweifelhaft steht fest, daß die Anforderungen nicht gleichartig sind. Aber es ist doch eine offene Frage, ob die wissenschaftliche Reife so tief unter der eines Abiturienten der höheren Schulen liegt, wie gemeinhin angenommen wird. In Hessen hat man neben dem Wege durch das Seminar einen zweiten Weg zur Lehrerbildung durch die allgemeinen Bildungsanstalten eingerichtet. Die hessische Regierung hat zuerst den Versuch gemacht, Abiturienten, die die Reife¬ prüfung mit „gut" bestanden haben, in einem pädagogischen Jahreskursus zu Lehrern auszubilden. Dieser Zeitraum hat sich als durchaus unzureichend er¬ wiesen; die Zeit der Ausbildung ist nunmehr auf zwei Jahre verlängert worden. Daraus folgt zum mindesten, daß auch in der Lehrerbildung umfangreiche Arbeiten erledigt werden müssen, die man nicht als eine bloße Technik mit beiläufigen Belehrungen in einem Übungskursus leicht erlernen kann. Die Volksschul¬ pädagogik ist eine angewandte Wissenschaft mit mannigfachen Voraussetzungen auf anderen Wissensgebieten. Darum ist auch die Bildung, die das Seminar vermittelt, nicht als bloße Fachschulbildung gegenüber der wissenschaftlichen Bildung auf höheren Lehranstalten abzutun. Dabei ist nicht zu ver¬ schweigen, daß unser heutiges Seminar einer Reform dringend bedürftig ist. Diese Frage können wir hier nur soweit heranziehen, als sie für den Haupt¬ punkt der Erörterung von Wert ist. Die Vorschläge zahlreicher Lehrerbildner stimmen darin überein, daß auch in fachwissenschaftlicher Beziehung höhere Ziele verfolgt werden könnten. Wenn man bei einer Neuregelung des Seminar¬ wesens ernsthaft an den Plan heranginge, es in Beziehungen zu anderen Bildungsanstalten zu bringen, so wären die Einwände gegen das geistige Militärmaß der Volksschullehrer gefallen. Heut ist die Kluft zwischen den Seminaren und den allgemeinen Bildungsanstalten so groß, daß es ein Hin¬ über und Herüber nicht gibt. Die Entscheidung für den Lehrerberuf muß beim Volksschüler schon im vierzehnten Lebensjahr erfolgen, zu einer Zeit, da er die Aufgaben dieses Berufes nicht abzuschätzen vermag. Von der höheren Schule aus darf der Schüler mit dem „Einjährigenzeugnis" in die zweite Präparandenklasse eintreten. Der Seminarabiturient erhält den Berechtigungs¬ schein erst fünf Jahre später mit dem Lehrbefähigungszeugnis. Lassen sich aus dieser Tatsache Schlüsse ziehen, so sprechen sie nicht für einen so tiefen Stand der Lehrerbildung. Aber sie wird so tief eingeschätzt, weil sie in einer Sackgasse endet, abseits vom Wege der allgemeinen Bildungsanstalten, in be¬ sonders dafür eingerichteten Konvikten. Solange man sich nicht entschließen kann, die Seminare zu einem neuen Typus höherer Schulen umzugestalten, oder die Lehrerbildung ähnlich wie in Hessen an die Reifeprüfung anzuschließen, wird das Übel der Sonderstellung und der Zurücksetzung sich von Geschlecht zu Geschlecht forterben. Die Volksschullehrer sehen der Lösung ihrer Bildungsfrage in dem letzten Sinne, wie sie auch der Königsberger Lehrertag 1904 wünschte, nicht mit hoff-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/169>, abgerufen am 20.10.2024.