Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.Kämpfe unserer Lehrerschaft Mehrzahl trotz jener Kurse heute noch. Dieser Zustand wird schon jahrzehnte¬ Aber es ist nicht der Mangel der Anerkennung allein, der die autodidaktische Kämpfe unserer Lehrerschaft Mehrzahl trotz jener Kurse heute noch. Dieser Zustand wird schon jahrzehnte¬ Aber es ist nicht der Mangel der Anerkennung allein, der die autodidaktische <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0164" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326334"/> <fw type="header" place="top"> Kämpfe unserer Lehrerschaft</fw><lb/> <p xml:id="ID_770" prev="#ID_769"> Mehrzahl trotz jener Kurse heute noch. Dieser Zustand wird schon jahrzehnte¬<lb/> lang als schwerer Mangel empfunden. Gewiß ist alle hervorragende Bildung<lb/> im eigentlichen Sinne autodidaktisch; im Ringen mit den Problemen wächst der<lb/> Starke durch die Selbstentfaltung der eigenen Kraft. Aber für den Durch¬<lb/> schnitt der Menschen, als System einer höheren Berufsbildung, ist der Grund¬<lb/> satz der Selbstbildung und Selbstvervollkommnung falsch. Kraftvergeudung.<lb/> Zufälligkeit und Zerfahrenheit des Bildungserwerbs, der notwendige Mangel<lb/> an systematischer Nundung des Bildungsinhalls müssen sich gerade in der Bildung<lb/> der Erzieher schwer rächen. Es ist darum auch nicht zu verwundern, daß fast<lb/> ein Drittel aller Mittelschullehrerprüflinge durchfällt. Daneben ergibt sich als<lb/> unangenehme Folge eine Sonderstellung. Nirgendwo im Staatsleben treffen<lb/> wir ein Beispiel, daß die höhere Berufsbildung sich auf den Zufall stützt, wie<lb/> in der Fortbildung der Lehrer für die leitenden Stellen. Die staatlichen Be¬<lb/> hörden haben auch die Befähigung für den Schulaufsichtsdienst, deren Nachweis<lb/> durch die Bestimmungen gewährleistet werden sollte, bei der Besetzung der Kreis¬<lb/> schulinspektionen bis heute nur in verschwindend kleinem Maßstabe anerkannt.<lb/> Die Berechtigungen der Mittelschullehrer und Rektoren stehen zum allergrößten<lb/> Teil nur auf dem Papier. Die Volksschullehrer klagen noch vierzig Jahre nach<lb/> Einrichtung dieser Prüfungen darüber, daß die Schulaufsicht in der Regel nicht<lb/> durch Männer ausgeübt wird, die Volksschularbeit durch eigene langjährige Arbeit<lb/> gut genug kennen, daß sie jüngere Berufsgenossen am besten zu beraten und zu<lb/> führen vermöchten. Sie empfinden das um so tiefer als Unrecht, als es an<lb/> fähigen Volksschulmännern für diesen Zweck nicht fehlt.</p><lb/> <p xml:id="ID_771" next="#ID_772"> Aber es ist nicht der Mangel der Anerkennung allein, der die autodidaktische<lb/> Fortbildung der Lehrer heute als einen schweren Fehler erscheinen läßt. Die Ent¬<lb/> wicklung der pädagogischen Fragen der Gegenwart drängt noch mehr zu dieser<lb/> Erkenntnis als die Unzufriedenheit der Volksschullehrer. Noch vor fünfzig Jahren<lb/> war die Gliederung des Schulwesens weit einfacher als heute. Der Kinder¬<lb/> garten, die Hilfsschulen mancherlei Art, die Volksschulen mit ihrer mehr oder<lb/> weniger entwickelten Organisation, die Mittelschulen, dazu die Entwicklung der<lb/> berufsmäßig gegliederten gewerblichen und kaufmännischen Fortbildungsschulen,<lb/> die Einrichtung von Schulen und Erziehungsanstalten, die der Beseitigung sozialer<lb/> und kultureller Mißstände dienen sollen, zeigen für unsere Frage, wie vielseitig<lb/> die Entwicklung sich gestaltet hat. Fast jeve Schulgattung erfordert für ihre<lb/> besonderen Absichten ein besonderes Vorstudium. So kann beispielsweise der<lb/> Hilfsschullehrer die Psychopathologie nicht entbehren; der Fortbildungsschullehrer<lb/> kann einen großen Teil seiner Aufgaben nur unvollkommen erfüllen, wenn er<lb/> sie nicht in ihrer umfassenden Bedeutung erkennt und sie im einzelnen methodisch<lb/> beherrscht. Für die Volksschule haben sich viele und bedeutsame Fragen erhoben,<lb/> denen gegenüber die ältere Pädagogik völlig versagt. Wir sehen die Fragen<lb/> der Erziehung und des Unterrichts vertieft und verfeinert an. Es gibt kein<lb/> pädagogisches Universalrezept mehr für die Belehrung sechs- bis vierzehnjähriger</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0164]
Kämpfe unserer Lehrerschaft
Mehrzahl trotz jener Kurse heute noch. Dieser Zustand wird schon jahrzehnte¬
lang als schwerer Mangel empfunden. Gewiß ist alle hervorragende Bildung
im eigentlichen Sinne autodidaktisch; im Ringen mit den Problemen wächst der
Starke durch die Selbstentfaltung der eigenen Kraft. Aber für den Durch¬
schnitt der Menschen, als System einer höheren Berufsbildung, ist der Grund¬
satz der Selbstbildung und Selbstvervollkommnung falsch. Kraftvergeudung.
Zufälligkeit und Zerfahrenheit des Bildungserwerbs, der notwendige Mangel
an systematischer Nundung des Bildungsinhalls müssen sich gerade in der Bildung
der Erzieher schwer rächen. Es ist darum auch nicht zu verwundern, daß fast
ein Drittel aller Mittelschullehrerprüflinge durchfällt. Daneben ergibt sich als
unangenehme Folge eine Sonderstellung. Nirgendwo im Staatsleben treffen
wir ein Beispiel, daß die höhere Berufsbildung sich auf den Zufall stützt, wie
in der Fortbildung der Lehrer für die leitenden Stellen. Die staatlichen Be¬
hörden haben auch die Befähigung für den Schulaufsichtsdienst, deren Nachweis
durch die Bestimmungen gewährleistet werden sollte, bei der Besetzung der Kreis¬
schulinspektionen bis heute nur in verschwindend kleinem Maßstabe anerkannt.
Die Berechtigungen der Mittelschullehrer und Rektoren stehen zum allergrößten
Teil nur auf dem Papier. Die Volksschullehrer klagen noch vierzig Jahre nach
Einrichtung dieser Prüfungen darüber, daß die Schulaufsicht in der Regel nicht
durch Männer ausgeübt wird, die Volksschularbeit durch eigene langjährige Arbeit
gut genug kennen, daß sie jüngere Berufsgenossen am besten zu beraten und zu
führen vermöchten. Sie empfinden das um so tiefer als Unrecht, als es an
fähigen Volksschulmännern für diesen Zweck nicht fehlt.
Aber es ist nicht der Mangel der Anerkennung allein, der die autodidaktische
Fortbildung der Lehrer heute als einen schweren Fehler erscheinen läßt. Die Ent¬
wicklung der pädagogischen Fragen der Gegenwart drängt noch mehr zu dieser
Erkenntnis als die Unzufriedenheit der Volksschullehrer. Noch vor fünfzig Jahren
war die Gliederung des Schulwesens weit einfacher als heute. Der Kinder¬
garten, die Hilfsschulen mancherlei Art, die Volksschulen mit ihrer mehr oder
weniger entwickelten Organisation, die Mittelschulen, dazu die Entwicklung der
berufsmäßig gegliederten gewerblichen und kaufmännischen Fortbildungsschulen,
die Einrichtung von Schulen und Erziehungsanstalten, die der Beseitigung sozialer
und kultureller Mißstände dienen sollen, zeigen für unsere Frage, wie vielseitig
die Entwicklung sich gestaltet hat. Fast jeve Schulgattung erfordert für ihre
besonderen Absichten ein besonderes Vorstudium. So kann beispielsweise der
Hilfsschullehrer die Psychopathologie nicht entbehren; der Fortbildungsschullehrer
kann einen großen Teil seiner Aufgaben nur unvollkommen erfüllen, wenn er
sie nicht in ihrer umfassenden Bedeutung erkennt und sie im einzelnen methodisch
beherrscht. Für die Volksschule haben sich viele und bedeutsame Fragen erhoben,
denen gegenüber die ältere Pädagogik völlig versagt. Wir sehen die Fragen
der Erziehung und des Unterrichts vertieft und verfeinert an. Es gibt kein
pädagogisches Universalrezept mehr für die Belehrung sechs- bis vierzehnjähriger
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