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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Line Krisis im deutschen Wirtschaftsleben?

Reichsbank auf Grund der für sie günstigen Devisenkurse ermöglicht winde, in
den letzten Wochen bedeutende Mengen Goldes aus dem Auslande zu beziehen.

Im übrigen zeigt sich nicht nur bei uns, sondern auch in den anderen
Staaten, vor allem in England und Frankreich, ein starker Kapitalmangel, der
seine Ursachen hat in den riesigen Kapitalansprüchen der Neuländer, wie über¬
haupt in der intensiven Entwicklung der einzelnen Volkswirtschaften, die mehr
und mehr in die Weltwirtschaft verflochten werden. Die Nisikoprämie ist nicht
nur wegen der fortgesetzten Unsicherheit der Lage auf der Balkanhalbinsel größer
geworden, und wenn auch die Wirren im Orient unzweifelhaft dazu beitragen,
die Depression auf dem Geldmarkte zu verschärfen, so sind sie doch keineswegs
die Hauptursache. Diese ist einzig und allein darin zu suchen, daß die Kapital-
nachfrage ganz allgemein größer geworden ist, als die vorhandene und ständig
wachsende Menge.

Daß das Anziehen der Zinssätze völlig international ist, geht aus folgender
Tabelle hervor, nach welcher die Diskontsätze am 30. Juni betrugen in

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Brüssel . .. S4SV2Paris . . .. 433
Christiania .- 6V-6V24V-Petersburg .. 664'/2
Italien , .- 6VzSV26Schweiz . .. 643>/2
Kopenhagen .. s-/.,64'/-Stockholm5!/.- " /24V-4'/2
London . .- 4V-33Wien . . .. 6ö4

Man wird also auch in einer ruhigeren, nicht durch politische Konflikte
bewegten Zeit, mit einem Nachlassen der Geldteuerung nicht rechnen dürfen.

Daß sich gleichzeitig mit dem Steigen der Diskontsätze auch die Zins¬
ansprüche des Leihkapitals erhöhten, ist erklärlich, und als auch der Absatz der
Hypothekenpfandbriefe ins Stocken geriet, zeigte sich als erste bedeutsame Folge
das Nachlassen der Unternehmungslust auf dem Baumarkt der Großstädte. Wer
hatte zunächst unter der stockenden Bautätigkeit zu leiden? Die für unser ge¬
samtes Wirtschaftsleben ausschlaggebende Schwerindustrie. Der Stahlwerkverband
hatte einen erheblichen Rückgang in dem Versand von Formeisen und Halbzeug
aufzuweisen und daß auch von dem zweiten Halbjahr keine Besserung der Lage
zu erhoffen ist, hat der Verband dadurch zum Ausdruck gebracht, daß er die
Beteiligungsanteile für den Monat Juli in Kohlen von 105 auf 95 Prozent,
in Koth von 80 auf 75 Prozent und in Briketts von 95 auf 90 Prozent
herabsetzte.

Noch schärfer als in der Abnahme der Absatzziffern kommt die sinkende
Konjunktur zum Ausdruck in der allgemeinen Herabsetzung der Preise. Besonders
auf dem Markt der Montanaktien lastet schwer der Umstand, daß die einzelnen
Syndikate jetzt beginnen, die Konsequenzen aus der Konjunkturveränderung zu
ziehen. Nachdem die englischen, belgischen und französischen Halbzeugpreise
bedeutend herabgesetzt worden waren, mußte auch der deutsche Stahlwerkoerband
notgedrungen die Preise für Halbzeug im In- und Ausland reduzieren, und


Line Krisis im deutschen Wirtschaftsleben?

Reichsbank auf Grund der für sie günstigen Devisenkurse ermöglicht winde, in
den letzten Wochen bedeutende Mengen Goldes aus dem Auslande zu beziehen.

Im übrigen zeigt sich nicht nur bei uns, sondern auch in den anderen
Staaten, vor allem in England und Frankreich, ein starker Kapitalmangel, der
seine Ursachen hat in den riesigen Kapitalansprüchen der Neuländer, wie über¬
haupt in der intensiven Entwicklung der einzelnen Volkswirtschaften, die mehr
und mehr in die Weltwirtschaft verflochten werden. Die Nisikoprämie ist nicht
nur wegen der fortgesetzten Unsicherheit der Lage auf der Balkanhalbinsel größer
geworden, und wenn auch die Wirren im Orient unzweifelhaft dazu beitragen,
die Depression auf dem Geldmarkte zu verschärfen, so sind sie doch keineswegs
die Hauptursache. Diese ist einzig und allein darin zu suchen, daß die Kapital-
nachfrage ganz allgemein größer geworden ist, als die vorhandene und ständig
wachsende Menge.

Daß das Anziehen der Zinssätze völlig international ist, geht aus folgender
Tabelle hervor, nach welcher die Diskontsätze am 30. Juni betrugen in

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Man wird also auch in einer ruhigeren, nicht durch politische Konflikte
bewegten Zeit, mit einem Nachlassen der Geldteuerung nicht rechnen dürfen.

Daß sich gleichzeitig mit dem Steigen der Diskontsätze auch die Zins¬
ansprüche des Leihkapitals erhöhten, ist erklärlich, und als auch der Absatz der
Hypothekenpfandbriefe ins Stocken geriet, zeigte sich als erste bedeutsame Folge
das Nachlassen der Unternehmungslust auf dem Baumarkt der Großstädte. Wer
hatte zunächst unter der stockenden Bautätigkeit zu leiden? Die für unser ge¬
samtes Wirtschaftsleben ausschlaggebende Schwerindustrie. Der Stahlwerkverband
hatte einen erheblichen Rückgang in dem Versand von Formeisen und Halbzeug
aufzuweisen und daß auch von dem zweiten Halbjahr keine Besserung der Lage
zu erhoffen ist, hat der Verband dadurch zum Ausdruck gebracht, daß er die
Beteiligungsanteile für den Monat Juli in Kohlen von 105 auf 95 Prozent,
in Koth von 80 auf 75 Prozent und in Briketts von 95 auf 90 Prozent
herabsetzte.

Noch schärfer als in der Abnahme der Absatzziffern kommt die sinkende
Konjunktur zum Ausdruck in der allgemeinen Herabsetzung der Preise. Besonders
auf dem Markt der Montanaktien lastet schwer der Umstand, daß die einzelnen
Syndikate jetzt beginnen, die Konsequenzen aus der Konjunkturveränderung zu
ziehen. Nachdem die englischen, belgischen und französischen Halbzeugpreise
bedeutend herabgesetzt worden waren, mußte auch der deutsche Stahlwerkoerband
notgedrungen die Preise für Halbzeug im In- und Ausland reduzieren, und


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[0158] Line Krisis im deutschen Wirtschaftsleben? Reichsbank auf Grund der für sie günstigen Devisenkurse ermöglicht winde, in den letzten Wochen bedeutende Mengen Goldes aus dem Auslande zu beziehen. Im übrigen zeigt sich nicht nur bei uns, sondern auch in den anderen Staaten, vor allem in England und Frankreich, ein starker Kapitalmangel, der seine Ursachen hat in den riesigen Kapitalansprüchen der Neuländer, wie über¬ haupt in der intensiven Entwicklung der einzelnen Volkswirtschaften, die mehr und mehr in die Weltwirtschaft verflochten werden. Die Nisikoprämie ist nicht nur wegen der fortgesetzten Unsicherheit der Lage auf der Balkanhalbinsel größer geworden, und wenn auch die Wirren im Orient unzweifelhaft dazu beitragen, die Depression auf dem Geldmarkte zu verschärfen, so sind sie doch keineswegs die Hauptursache. Diese ist einzig und allein darin zu suchen, daß die Kapital- nachfrage ganz allgemein größer geworden ist, als die vorhandene und ständig wachsende Menge. Daß das Anziehen der Zinssätze völlig international ist, geht aus folgender Tabelle hervor, nach welcher die Diskontsätze am 30. Juni betrugen in 191319121911191319121911 Brüssel . .. S4SV2Paris . . .. 433 Christiania .- 6V-6V24V-Petersburg .. 664'/2 Italien , .- 6VzSV26Schweiz . .. 643>/2 Kopenhagen .. s-/.,64'/-Stockholm5!/.- " /24V-4'/2 London . .- 4V-33Wien . . .. 6ö4 Man wird also auch in einer ruhigeren, nicht durch politische Konflikte bewegten Zeit, mit einem Nachlassen der Geldteuerung nicht rechnen dürfen. Daß sich gleichzeitig mit dem Steigen der Diskontsätze auch die Zins¬ ansprüche des Leihkapitals erhöhten, ist erklärlich, und als auch der Absatz der Hypothekenpfandbriefe ins Stocken geriet, zeigte sich als erste bedeutsame Folge das Nachlassen der Unternehmungslust auf dem Baumarkt der Großstädte. Wer hatte zunächst unter der stockenden Bautätigkeit zu leiden? Die für unser ge¬ samtes Wirtschaftsleben ausschlaggebende Schwerindustrie. Der Stahlwerkverband hatte einen erheblichen Rückgang in dem Versand von Formeisen und Halbzeug aufzuweisen und daß auch von dem zweiten Halbjahr keine Besserung der Lage zu erhoffen ist, hat der Verband dadurch zum Ausdruck gebracht, daß er die Beteiligungsanteile für den Monat Juli in Kohlen von 105 auf 95 Prozent, in Koth von 80 auf 75 Prozent und in Briketts von 95 auf 90 Prozent herabsetzte. Noch schärfer als in der Abnahme der Absatzziffern kommt die sinkende Konjunktur zum Ausdruck in der allgemeinen Herabsetzung der Preise. Besonders auf dem Markt der Montanaktien lastet schwer der Umstand, daß die einzelnen Syndikate jetzt beginnen, die Konsequenzen aus der Konjunkturveränderung zu ziehen. Nachdem die englischen, belgischen und französischen Halbzeugpreise bedeutend herabgesetzt worden waren, mußte auch der deutsche Stahlwerkoerband notgedrungen die Preise für Halbzeug im In- und Ausland reduzieren, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/158>, abgerufen am 20.10.2024.