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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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nicht fähig oder nicht würdig sind. Denn
ein vernünftiger Mensch kann an der an
sich bestehenden Gleichwertigkeit des Richter¬
und des Anwaltstandes, deren Vorbildung
und Prüfungen vollständig dieselben sind,
nicht den gelindesten Zweifel haben. Ist also
jemand zum Richter so unfähig, daß der Staat
ihn nicht definitiv anstellen will, so kann er
unmöglich noch so viele Fähigkeiten besitzen, den
Beruf eines Rechtsanwalts auszuüben. Man
kann hiergegen nicht einwenden, daß einer
durchaus nicht zum Richter, Wohl aber sehr
gut zum Rechtsanwalt geeignet sein kann
und daß daher die Verschließung desRichter-
berufes geradezu im eigenen Interesse des
Betreffenden liegen würde. Solche Fälle
können höchstens in der Theorie vorkommen.
Die Wirklichkeit wird niemals auch nur mit
einem einzigen derartigen Falle aufwarten
können. Wer so geringe Befähigung zum
Richterberufe und anderseits so erhebliche Be¬
fähigung zum Anwaltsberufe hat, bekommt
auch recht bald die Neigung zum Anwalt¬
berufe und wird, zumal auch bei Berück¬
sichtigung der finanziellen Seiten der beiden
Berufe, alsbald seiner Neigung folgen und
nicht erst warten, bis ihm dieses durch Ver¬
sagung der Richterlaufbahn seitens seiner vor¬
gesetzten Behörde angeraten wird. Jedenfalls
wird niemand den Beweis erbringen, daß
vom Staate als unbrauchbar entlassene
Assessoren noch zum Rechtsanwalt brauchbar
sind. Es ist schon aus diesem Grunde nichts
weiter als Konsequenz, diesen Assessoren auch
die Rechtsauwaltschaft zu verschließen.

Hierdurch würde allerdings, wenigstens
zurzeit, die Zunahme nicht erheblich ver¬
ringert werden, zumal dann häufig Assessoren
vor Empfang des "blauen Briefes" zur Rechts¬
anwaltschaft abschwenken werden, wogegen es
kaum ein Mittel geben dürfte. Bei der Zu¬
nahme spielt aber nicht allein die Quantität,
sondern auch dieQualität der Hinzukommenden
eine wichtige Rolle. Die Qualität der ent¬
lassenen Assessoren ist sicher, wenigstens in
den meisten Fällen, und bezüglich ihrer Be¬
fähigung sehr gering. Durch ihre Abweisung
würden also minderwertige Elemente vom
Anwaltsstande nach Möglichkeit ferngehalten.
Aber es ist noch gar nicht abzusehen, ob nicht
bei der ungeheuren Vermehrung der Assessoren

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die Justizverwaltung von den sogenannten
"blauen Briefen" in Zukunft in viel erheb¬
licheren Maße Gebrauch machen wird. Die
Vermutung hierfür liegt jedenfalls sehr nahe,
zumal die Justizverwaltung begreiflicherweise
bestrebt ist, tüchtige Kräfte durch schnellere
und bessere Beförderung sich zu erhalten, und
dieses naturgemäß immer nur durch Zu¬
rücksetzung und allmähliches Abschieben der
schlechteren Kräfte geschehen kann. Der Zu¬
fluß zur Anwaltschaft aus den Kreisen der
entlassenen Assessoren kann daher in Zukunft
auch quantitativ eine bedeutende Rolle spielen.

Ein anderes Mittel, den Zufluß zur Rechts¬
anwaltschaft zu verringern, ist zweifellos die
Einführung des numerus clsusus, nämlich
nur eine bestimmte Anzahl von Rechtsanwälten
zuzulassen. Für und gegen den numerus
elsusus ist schon seit einigen Jahren so viel
geredet und geschrieben worden, daß kaum
etwas Neues in dieser Hinsicht noch vorge¬
bracht werden könnte. Ob die Anhänger oder
die Gegner des numerus el-usus die Mehr¬
zahl bilden, ist auch nicht durch den Be¬
schluß des Würzburger Anwaltstages fest¬
gestellt. Meines Erachtens läßt sich aber auch
ohne Einführung des numerus elausus, der
doch gegenüber der freien Zulassung ganz er¬
hebliche Schattenseiten hat, eine Verringerung
des Zuflusses zur Anwaltschaft herbeiführen.
Zwar wird der einzuschlagende Weg für die
nächsten fünf bis sechs Jahre eine Verringe¬
rung noch nicht bringen, aber von da ab
wird eine der Zunahme der Bevölkerung und
der Rechtssachen sowie der sonstigen in Be¬
tracht kommenden Faktoren entsprechende Re¬
gulierung des Zuflusses neuer Kräfte zur
Anwaltschaft eintreten. Dieses wird dadurch
leicht ermöglicht werden, daß man die
bisherige Praxis der Annahme einer unbe¬
schränkten Anzahl von Referendaren verläßt
und ebenso wie bei anderen Behörden nur
eine beschränkte Anzahl von Referendaren an¬
nimmt. Allerdings darf keine Auswahl wie
z. B. bei der Regierung getroffen werden.
Jeder mit Erfolg geprüfte Rechtskandidat muß
berechtigt sein, sich bei einem oder sogar bei
allen Qberlandesgerichten in die Liste der
Referendarkandidaten eintragen zu lassen.
Die Einberufung muß ganz streng nach der
Zeit der Eintragung erfolgen. Lehnt einer

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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nicht fähig oder nicht würdig sind. Denn
ein vernünftiger Mensch kann an der an
sich bestehenden Gleichwertigkeit des Richter¬
und des Anwaltstandes, deren Vorbildung
und Prüfungen vollständig dieselben sind,
nicht den gelindesten Zweifel haben. Ist also
jemand zum Richter so unfähig, daß der Staat
ihn nicht definitiv anstellen will, so kann er
unmöglich noch so viele Fähigkeiten besitzen, den
Beruf eines Rechtsanwalts auszuüben. Man
kann hiergegen nicht einwenden, daß einer
durchaus nicht zum Richter, Wohl aber sehr
gut zum Rechtsanwalt geeignet sein kann
und daß daher die Verschließung desRichter-
berufes geradezu im eigenen Interesse des
Betreffenden liegen würde. Solche Fälle
können höchstens in der Theorie vorkommen.
Die Wirklichkeit wird niemals auch nur mit
einem einzigen derartigen Falle aufwarten
können. Wer so geringe Befähigung zum
Richterberufe und anderseits so erhebliche Be¬
fähigung zum Anwaltsberufe hat, bekommt
auch recht bald die Neigung zum Anwalt¬
berufe und wird, zumal auch bei Berück¬
sichtigung der finanziellen Seiten der beiden
Berufe, alsbald seiner Neigung folgen und
nicht erst warten, bis ihm dieses durch Ver¬
sagung der Richterlaufbahn seitens seiner vor¬
gesetzten Behörde angeraten wird. Jedenfalls
wird niemand den Beweis erbringen, daß
vom Staate als unbrauchbar entlassene
Assessoren noch zum Rechtsanwalt brauchbar
sind. Es ist schon aus diesem Grunde nichts
weiter als Konsequenz, diesen Assessoren auch
die Rechtsauwaltschaft zu verschließen.

Hierdurch würde allerdings, wenigstens
zurzeit, die Zunahme nicht erheblich ver¬
ringert werden, zumal dann häufig Assessoren
vor Empfang des „blauen Briefes" zur Rechts¬
anwaltschaft abschwenken werden, wogegen es
kaum ein Mittel geben dürfte. Bei der Zu¬
nahme spielt aber nicht allein die Quantität,
sondern auch dieQualität der Hinzukommenden
eine wichtige Rolle. Die Qualität der ent¬
lassenen Assessoren ist sicher, wenigstens in
den meisten Fällen, und bezüglich ihrer Be¬
fähigung sehr gering. Durch ihre Abweisung
würden also minderwertige Elemente vom
Anwaltsstande nach Möglichkeit ferngehalten.
Aber es ist noch gar nicht abzusehen, ob nicht
bei der ungeheuren Vermehrung der Assessoren

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die Justizverwaltung von den sogenannten
„blauen Briefen" in Zukunft in viel erheb¬
licheren Maße Gebrauch machen wird. Die
Vermutung hierfür liegt jedenfalls sehr nahe,
zumal die Justizverwaltung begreiflicherweise
bestrebt ist, tüchtige Kräfte durch schnellere
und bessere Beförderung sich zu erhalten, und
dieses naturgemäß immer nur durch Zu¬
rücksetzung und allmähliches Abschieben der
schlechteren Kräfte geschehen kann. Der Zu¬
fluß zur Anwaltschaft aus den Kreisen der
entlassenen Assessoren kann daher in Zukunft
auch quantitativ eine bedeutende Rolle spielen.

Ein anderes Mittel, den Zufluß zur Rechts¬
anwaltschaft zu verringern, ist zweifellos die
Einführung des numerus clsusus, nämlich
nur eine bestimmte Anzahl von Rechtsanwälten
zuzulassen. Für und gegen den numerus
elsusus ist schon seit einigen Jahren so viel
geredet und geschrieben worden, daß kaum
etwas Neues in dieser Hinsicht noch vorge¬
bracht werden könnte. Ob die Anhänger oder
die Gegner des numerus el-usus die Mehr¬
zahl bilden, ist auch nicht durch den Be¬
schluß des Würzburger Anwaltstages fest¬
gestellt. Meines Erachtens läßt sich aber auch
ohne Einführung des numerus elausus, der
doch gegenüber der freien Zulassung ganz er¬
hebliche Schattenseiten hat, eine Verringerung
des Zuflusses zur Anwaltschaft herbeiführen.
Zwar wird der einzuschlagende Weg für die
nächsten fünf bis sechs Jahre eine Verringe¬
rung noch nicht bringen, aber von da ab
wird eine der Zunahme der Bevölkerung und
der Rechtssachen sowie der sonstigen in Be¬
tracht kommenden Faktoren entsprechende Re¬
gulierung des Zuflusses neuer Kräfte zur
Anwaltschaft eintreten. Dieses wird dadurch
leicht ermöglicht werden, daß man die
bisherige Praxis der Annahme einer unbe¬
schränkten Anzahl von Referendaren verläßt
und ebenso wie bei anderen Behörden nur
eine beschränkte Anzahl von Referendaren an¬
nimmt. Allerdings darf keine Auswahl wie
z. B. bei der Regierung getroffen werden.
Jeder mit Erfolg geprüfte Rechtskandidat muß
berechtigt sein, sich bei einem oder sogar bei
allen Qberlandesgerichten in die Liste der
Referendarkandidaten eintragen zu lassen.
Die Einberufung muß ganz streng nach der
Zeit der Eintragung erfolgen. Lehnt einer

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[0154] Maßgebliches und Unmaßgebliches nicht fähig oder nicht würdig sind. Denn ein vernünftiger Mensch kann an der an sich bestehenden Gleichwertigkeit des Richter¬ und des Anwaltstandes, deren Vorbildung und Prüfungen vollständig dieselben sind, nicht den gelindesten Zweifel haben. Ist also jemand zum Richter so unfähig, daß der Staat ihn nicht definitiv anstellen will, so kann er unmöglich noch so viele Fähigkeiten besitzen, den Beruf eines Rechtsanwalts auszuüben. Man kann hiergegen nicht einwenden, daß einer durchaus nicht zum Richter, Wohl aber sehr gut zum Rechtsanwalt geeignet sein kann und daß daher die Verschließung desRichter- berufes geradezu im eigenen Interesse des Betreffenden liegen würde. Solche Fälle können höchstens in der Theorie vorkommen. Die Wirklichkeit wird niemals auch nur mit einem einzigen derartigen Falle aufwarten können. Wer so geringe Befähigung zum Richterberufe und anderseits so erhebliche Be¬ fähigung zum Anwaltsberufe hat, bekommt auch recht bald die Neigung zum Anwalt¬ berufe und wird, zumal auch bei Berück¬ sichtigung der finanziellen Seiten der beiden Berufe, alsbald seiner Neigung folgen und nicht erst warten, bis ihm dieses durch Ver¬ sagung der Richterlaufbahn seitens seiner vor¬ gesetzten Behörde angeraten wird. Jedenfalls wird niemand den Beweis erbringen, daß vom Staate als unbrauchbar entlassene Assessoren noch zum Rechtsanwalt brauchbar sind. Es ist schon aus diesem Grunde nichts weiter als Konsequenz, diesen Assessoren auch die Rechtsauwaltschaft zu verschließen. Hierdurch würde allerdings, wenigstens zurzeit, die Zunahme nicht erheblich ver¬ ringert werden, zumal dann häufig Assessoren vor Empfang des „blauen Briefes" zur Rechts¬ anwaltschaft abschwenken werden, wogegen es kaum ein Mittel geben dürfte. Bei der Zu¬ nahme spielt aber nicht allein die Quantität, sondern auch dieQualität der Hinzukommenden eine wichtige Rolle. Die Qualität der ent¬ lassenen Assessoren ist sicher, wenigstens in den meisten Fällen, und bezüglich ihrer Be¬ fähigung sehr gering. Durch ihre Abweisung würden also minderwertige Elemente vom Anwaltsstande nach Möglichkeit ferngehalten. Aber es ist noch gar nicht abzusehen, ob nicht bei der ungeheuren Vermehrung der Assessoren die Justizverwaltung von den sogenannten „blauen Briefen" in Zukunft in viel erheb¬ licheren Maße Gebrauch machen wird. Die Vermutung hierfür liegt jedenfalls sehr nahe, zumal die Justizverwaltung begreiflicherweise bestrebt ist, tüchtige Kräfte durch schnellere und bessere Beförderung sich zu erhalten, und dieses naturgemäß immer nur durch Zu¬ rücksetzung und allmähliches Abschieben der schlechteren Kräfte geschehen kann. Der Zu¬ fluß zur Anwaltschaft aus den Kreisen der entlassenen Assessoren kann daher in Zukunft auch quantitativ eine bedeutende Rolle spielen. Ein anderes Mittel, den Zufluß zur Rechts¬ anwaltschaft zu verringern, ist zweifellos die Einführung des numerus clsusus, nämlich nur eine bestimmte Anzahl von Rechtsanwälten zuzulassen. Für und gegen den numerus elsusus ist schon seit einigen Jahren so viel geredet und geschrieben worden, daß kaum etwas Neues in dieser Hinsicht noch vorge¬ bracht werden könnte. Ob die Anhänger oder die Gegner des numerus el-usus die Mehr¬ zahl bilden, ist auch nicht durch den Be¬ schluß des Würzburger Anwaltstages fest¬ gestellt. Meines Erachtens läßt sich aber auch ohne Einführung des numerus elausus, der doch gegenüber der freien Zulassung ganz er¬ hebliche Schattenseiten hat, eine Verringerung des Zuflusses zur Anwaltschaft herbeiführen. Zwar wird der einzuschlagende Weg für die nächsten fünf bis sechs Jahre eine Verringe¬ rung noch nicht bringen, aber von da ab wird eine der Zunahme der Bevölkerung und der Rechtssachen sowie der sonstigen in Be¬ tracht kommenden Faktoren entsprechende Re¬ gulierung des Zuflusses neuer Kräfte zur Anwaltschaft eintreten. Dieses wird dadurch leicht ermöglicht werden, daß man die bisherige Praxis der Annahme einer unbe¬ schränkten Anzahl von Referendaren verläßt und ebenso wie bei anderen Behörden nur eine beschränkte Anzahl von Referendaren an¬ nimmt. Allerdings darf keine Auswahl wie z. B. bei der Regierung getroffen werden. Jeder mit Erfolg geprüfte Rechtskandidat muß berechtigt sein, sich bei einem oder sogar bei allen Qberlandesgerichten in die Liste der Referendarkandidaten eintragen zu lassen. Die Einberufung muß ganz streng nach der Zeit der Eintragung erfolgen. Lehnt einer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/154>, abgerufen am 19.10.2024.