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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Die armenisch-kurdische L^ge

Die Hauptmasse der armenischen Bevölkerung findet sich gegenwärtig in
den folgenden neun Wilajets: Erserum. Wein. Bitlis, Mamuret el asis.
Diarbekir. Siwas. Llleppo, Adana, Trapezunt. Ein erheblicher Teil sitzt zeit-
weise in Konstantinopel; in der der Hauptstadt gegenüberliegenden Nordwestecke
von Kleinasten (Provinz Jsmid) wohnen etwa 50000 Armenier 22 Prozent
der dortigen Bevölkerung. In den genannten neun Wilajets beträgt ihre Zahl
etwa 914000-^ 151/2 Prozent der Gesamtbevölkerung. Am meisten zusammen¬
gedrängt wohnen sie in den fünf Wilajets Wan, Erserum, Bitlis, Mamuret el
asis, Diarbekir. Hier bilden die Armenier mit 633000 etwa 24 Prozent gegen¬
über 69 Prozent Mohammedaner, also ein Viertel der Gesamtbevölkerung.
Nur in zwei Mutesarriflik (Regierungsbezirken) Wan und Musch (zu Bitlis
gehörig) haben die Armenier die Majorität mit 65 Prozent über 35 Prozent
Mohammedaner. Die Gesamtziffer aller im Türkischen Reiche lebenden Armenier
konnte auf höchstens eindreiviertel Millionen veranschlagt werden; nach der offi¬
ziellen türkischen belief sie sich auf nur 1150000.

Durch die letzte Statistik des armenischen Patriarchats von 1912 würde
diese Darstellung vollständig über den Haufen geworfen werden. Die Statistik
gibt für die sechs Provinzen: Erserum, Wan, Bitlis. Charput (-- Mamuret
el asis). Diarbekir und Siwas allein 1018000 Armenier an. reduziert so dann
die Ziffern der übrigen Völker, uni herauszubringen, daß die Armenier in diesen
Provinzen 38.4 Prozent der Gesamtbevölkerung bilden sollen. Die Zahlen fallen
durchweg durch ihre Höhe auf und werden durch ihre abgerundete Form von
vornherein verdächtig. In mehreren Fällen läßt sich die tendenziöse Über-
treibung direkt nachweisen. Zum Beispiel sind für Russtsch-Transkaukasien allein
1523 000 angegeben. Nach der offiziellen russischen Zählung von N. vou Seidlitz
(Petermannsche Mitteilungen 1896, S. 9 und 10) gab es aber 1893 nur 958000.
Es ist natürlich unmöglich, daß diese Ziffer in der Zeit von nur 17 Jahren
sich so vermehrt haben könnte, zumal da keine erhebliche Zuwanderung, wohl
aber eine durch den Tatarenaufstand verursachte Verminderung stattgefunden hat.
Weiter sind z. B. für Jerusalem 3200 Armenier angegeben, der dortige Orts¬
zensus zählt 950.

Wir ziehen es also vor, an der obigen Gesamtziffer von eindreiviertel
Millionen festzuhalten. Diese Zahl konnte bis 1894 als die der Wahrheit am
nächsten kommende gelten. Seitdem haben mehrfach (1894. 1895. 1896. 1905.
1909) umfangreiche Niedermetzlungeu von Armeniern, besonders in den erst¬
genannten neun Provinzen und in Konstantinopel stattgefunden, die mit ihrem
Gefolge, Hunger, Epidemien, Auswanderung jene Gesamtziffer erheblich herab¬
gemindert haben müssen. Die Zahl der von 1894 bis 1896 Angekommenen
ist mit 100000 schwerlich zu hoch angegeben; für 1905 und 1909 rechnet man
auf mindestens 50000, und 150000 wird die Minimalziffer derer sein, die
infolge der angeführten Gründe noch in Abgang zu stellen sind. Danach würde
man die Gesamtziffer der in der Türkei gegenwärtig lebenden Armenier auf ein-
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Die armenisch-kurdische L^ge

Die Hauptmasse der armenischen Bevölkerung findet sich gegenwärtig in
den folgenden neun Wilajets: Erserum. Wein. Bitlis, Mamuret el asis.
Diarbekir. Siwas. Llleppo, Adana, Trapezunt. Ein erheblicher Teil sitzt zeit-
weise in Konstantinopel; in der der Hauptstadt gegenüberliegenden Nordwestecke
von Kleinasten (Provinz Jsmid) wohnen etwa 50000 Armenier 22 Prozent
der dortigen Bevölkerung. In den genannten neun Wilajets beträgt ihre Zahl
etwa 914000-^ 151/2 Prozent der Gesamtbevölkerung. Am meisten zusammen¬
gedrängt wohnen sie in den fünf Wilajets Wan, Erserum, Bitlis, Mamuret el
asis, Diarbekir. Hier bilden die Armenier mit 633000 etwa 24 Prozent gegen¬
über 69 Prozent Mohammedaner, also ein Viertel der Gesamtbevölkerung.
Nur in zwei Mutesarriflik (Regierungsbezirken) Wan und Musch (zu Bitlis
gehörig) haben die Armenier die Majorität mit 65 Prozent über 35 Prozent
Mohammedaner. Die Gesamtziffer aller im Türkischen Reiche lebenden Armenier
konnte auf höchstens eindreiviertel Millionen veranschlagt werden; nach der offi¬
ziellen türkischen belief sie sich auf nur 1150000.

Durch die letzte Statistik des armenischen Patriarchats von 1912 würde
diese Darstellung vollständig über den Haufen geworfen werden. Die Statistik
gibt für die sechs Provinzen: Erserum, Wan, Bitlis. Charput (-- Mamuret
el asis). Diarbekir und Siwas allein 1018000 Armenier an. reduziert so dann
die Ziffern der übrigen Völker, uni herauszubringen, daß die Armenier in diesen
Provinzen 38.4 Prozent der Gesamtbevölkerung bilden sollen. Die Zahlen fallen
durchweg durch ihre Höhe auf und werden durch ihre abgerundete Form von
vornherein verdächtig. In mehreren Fällen läßt sich die tendenziöse Über-
treibung direkt nachweisen. Zum Beispiel sind für Russtsch-Transkaukasien allein
1523 000 angegeben. Nach der offiziellen russischen Zählung von N. vou Seidlitz
(Petermannsche Mitteilungen 1896, S. 9 und 10) gab es aber 1893 nur 958000.
Es ist natürlich unmöglich, daß diese Ziffer in der Zeit von nur 17 Jahren
sich so vermehrt haben könnte, zumal da keine erhebliche Zuwanderung, wohl
aber eine durch den Tatarenaufstand verursachte Verminderung stattgefunden hat.
Weiter sind z. B. für Jerusalem 3200 Armenier angegeben, der dortige Orts¬
zensus zählt 950.

Wir ziehen es also vor, an der obigen Gesamtziffer von eindreiviertel
Millionen festzuhalten. Diese Zahl konnte bis 1894 als die der Wahrheit am
nächsten kommende gelten. Seitdem haben mehrfach (1894. 1895. 1896. 1905.
1909) umfangreiche Niedermetzlungeu von Armeniern, besonders in den erst¬
genannten neun Provinzen und in Konstantinopel stattgefunden, die mit ihrem
Gefolge, Hunger, Epidemien, Auswanderung jene Gesamtziffer erheblich herab¬
gemindert haben müssen. Die Zahl der von 1894 bis 1896 Angekommenen
ist mit 100000 schwerlich zu hoch angegeben; für 1905 und 1909 rechnet man
auf mindestens 50000, und 150000 wird die Minimalziffer derer sein, die
infolge der angeführten Gründe noch in Abgang zu stellen sind. Danach würde
man die Gesamtziffer der in der Türkei gegenwärtig lebenden Armenier auf ein-
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[0015] Die armenisch-kurdische L^ge Die Hauptmasse der armenischen Bevölkerung findet sich gegenwärtig in den folgenden neun Wilajets: Erserum. Wein. Bitlis, Mamuret el asis. Diarbekir. Siwas. Llleppo, Adana, Trapezunt. Ein erheblicher Teil sitzt zeit- weise in Konstantinopel; in der der Hauptstadt gegenüberliegenden Nordwestecke von Kleinasten (Provinz Jsmid) wohnen etwa 50000 Armenier 22 Prozent der dortigen Bevölkerung. In den genannten neun Wilajets beträgt ihre Zahl etwa 914000-^ 151/2 Prozent der Gesamtbevölkerung. Am meisten zusammen¬ gedrängt wohnen sie in den fünf Wilajets Wan, Erserum, Bitlis, Mamuret el asis, Diarbekir. Hier bilden die Armenier mit 633000 etwa 24 Prozent gegen¬ über 69 Prozent Mohammedaner, also ein Viertel der Gesamtbevölkerung. Nur in zwei Mutesarriflik (Regierungsbezirken) Wan und Musch (zu Bitlis gehörig) haben die Armenier die Majorität mit 65 Prozent über 35 Prozent Mohammedaner. Die Gesamtziffer aller im Türkischen Reiche lebenden Armenier konnte auf höchstens eindreiviertel Millionen veranschlagt werden; nach der offi¬ ziellen türkischen belief sie sich auf nur 1150000. Durch die letzte Statistik des armenischen Patriarchats von 1912 würde diese Darstellung vollständig über den Haufen geworfen werden. Die Statistik gibt für die sechs Provinzen: Erserum, Wan, Bitlis. Charput (-- Mamuret el asis). Diarbekir und Siwas allein 1018000 Armenier an. reduziert so dann die Ziffern der übrigen Völker, uni herauszubringen, daß die Armenier in diesen Provinzen 38.4 Prozent der Gesamtbevölkerung bilden sollen. Die Zahlen fallen durchweg durch ihre Höhe auf und werden durch ihre abgerundete Form von vornherein verdächtig. In mehreren Fällen läßt sich die tendenziöse Über- treibung direkt nachweisen. Zum Beispiel sind für Russtsch-Transkaukasien allein 1523 000 angegeben. Nach der offiziellen russischen Zählung von N. vou Seidlitz (Petermannsche Mitteilungen 1896, S. 9 und 10) gab es aber 1893 nur 958000. Es ist natürlich unmöglich, daß diese Ziffer in der Zeit von nur 17 Jahren sich so vermehrt haben könnte, zumal da keine erhebliche Zuwanderung, wohl aber eine durch den Tatarenaufstand verursachte Verminderung stattgefunden hat. Weiter sind z. B. für Jerusalem 3200 Armenier angegeben, der dortige Orts¬ zensus zählt 950. Wir ziehen es also vor, an der obigen Gesamtziffer von eindreiviertel Millionen festzuhalten. Diese Zahl konnte bis 1894 als die der Wahrheit am nächsten kommende gelten. Seitdem haben mehrfach (1894. 1895. 1896. 1905. 1909) umfangreiche Niedermetzlungeu von Armeniern, besonders in den erst¬ genannten neun Provinzen und in Konstantinopel stattgefunden, die mit ihrem Gefolge, Hunger, Epidemien, Auswanderung jene Gesamtziffer erheblich herab¬ gemindert haben müssen. Die Zahl der von 1894 bis 1896 Angekommenen ist mit 100000 schwerlich zu hoch angegeben; für 1905 und 1909 rechnet man auf mindestens 50000, und 150000 wird die Minimalziffer derer sein, die infolge der angeführten Gründe noch in Abgang zu stellen sind. Danach würde man die Gesamtziffer der in der Türkei gegenwärtig lebenden Armenier auf ein- * 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/15>, abgerufen am 28.12.2024.