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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Beethovens Weltanschauung

kündigt sich schon an, was in Beethoven, je älter er wird, desto stärker und
beherrschender hervortritt: das metaphysische Bedürfnis. Erst durch die Klärung
des Verhältnisses des Individuums zum Transzendenten, zum Gottesbegriff,
erhält die sittliche Freiheit ihre höchste und letzte Weihe. Bei der Form der
"Konstitution" ward bereits darauf hingedeutet: "Der gestirnte Himmel über
uns" hieß es da weiter. Wie oft hat der Meister in stillen Nächten voll An¬
dacht zu ihm emporgeschaut. "Wenn ich am Abend den Himmel staunend
betrachte und das Heer der ewig in seinen Grenzen sich schwingenden Lichtkörper,
Sonnen oder Erden genannt, dann schwingt sich mein Geist über diese viele
Millionen Meilen entfernten Gestirne hin zur Urquelle, aus welcher alles Er¬
schaffene entströmt und aus welcher ewig neue Schöpfungen entströmen werden"*).
Zu dieser Urquelle führte ihn auch der Naturgenuß. Wie leidenschaftlich
Beethoven die Natur liebte, ist bekannt, "sie war gleichsam seine Nahrung, er
schien förmlich darin zu leben", bezeugt uns ein Zeitgenosse**) des Meisters,
und zahlreiche Stellen in seinen Briefen und Tagebüchern suchen, wenn auch
unbeholfen, der Stimmung Ausdruck zu geben, die ihn erfüllte, wenn er das
Gewühl der Stadt hinter sich wußte: "Allmächtiger! im Walde, ich bin selig,
glücklich im Wald, jeder Baum spricht durch dich. O Gott, welche Herrlichkeit
in einer solchen Waldgegend! In den Höhen ist Ruhe, Ruhe ihm zu dienen!"
Sein Ohr vernahm freilich nicht mehr das Rauschen der Buchenkronen und den
Gesang der Vögel, um so vernehmbarer sprach das Wesen der Welt selbst zu
seiner Seele: "Mein unglückseliges Gehör plagt mich hier nicht; ist es doch,
als wenn jeder Baum zu mir spräche auf dem Lande Heilig! Heilig! Im
Walde Entzücken, wer kann alles ausdrücken." Aber in Tönen gelang es ihm:
die köstliche v-aur - Sonate op. 28, die Pastoralsinfonie, beides wahrhafte
Sommerglücksmusik offenbarend, wie sich das Auge des Meisters sozusagen von
innen erleuchtet zur Erfassung und Widerstrahlung des Weltbildes, tiefer noch,
ergreifender, ins Metaphysische langend die wunderbare ^8-aur-Sonate c>p. 110.
mit der lieb und leise gestimmten Sehnsucht im ersten Satze, der unruhig,
dunkel - heiter sprudelnden Laune im Scherzo, bis nach den lastenden Anfangs¬
akkorden des Largo das Rezitativ vor uns steht, ein furchtbar ernstes Frage¬
zeichen. Und nun beginnt ein klagender Gesang, der uns zutiefst an die
Seele rührt--


Weh spricht: vergeh

Aber in festen, ewigen Gesetzen hängt die Welt, darum setzt ruhig und sicher,
kraftvoll den Schlußton des vorigen Satzes als Dominate nehmend die Fuge***)





*) Mündlich zu Stumpf im Jahre 1824. Thayer V, 130. Das Adagio des zweiten
Quartetts von op. 69 ist nach Beethovens eigenem Ausspruch die Eingebung einer solchen
Sternennacht und ins Sternendasein führt uns auch der Schluß der Sonate op. 111.
") Thayer III, ö05.
Man vergleiche dazu auch die Bemerkungen Hans von Bülows über Beethovens
Fuge und ihrer Bedeutung gegenüber der Bachs in der großen Cottaschen Ausgabe der
Beethovens Weltanschauung

kündigt sich schon an, was in Beethoven, je älter er wird, desto stärker und
beherrschender hervortritt: das metaphysische Bedürfnis. Erst durch die Klärung
des Verhältnisses des Individuums zum Transzendenten, zum Gottesbegriff,
erhält die sittliche Freiheit ihre höchste und letzte Weihe. Bei der Form der
„Konstitution" ward bereits darauf hingedeutet: „Der gestirnte Himmel über
uns" hieß es da weiter. Wie oft hat der Meister in stillen Nächten voll An¬
dacht zu ihm emporgeschaut. „Wenn ich am Abend den Himmel staunend
betrachte und das Heer der ewig in seinen Grenzen sich schwingenden Lichtkörper,
Sonnen oder Erden genannt, dann schwingt sich mein Geist über diese viele
Millionen Meilen entfernten Gestirne hin zur Urquelle, aus welcher alles Er¬
schaffene entströmt und aus welcher ewig neue Schöpfungen entströmen werden"*).
Zu dieser Urquelle führte ihn auch der Naturgenuß. Wie leidenschaftlich
Beethoven die Natur liebte, ist bekannt, „sie war gleichsam seine Nahrung, er
schien förmlich darin zu leben", bezeugt uns ein Zeitgenosse**) des Meisters,
und zahlreiche Stellen in seinen Briefen und Tagebüchern suchen, wenn auch
unbeholfen, der Stimmung Ausdruck zu geben, die ihn erfüllte, wenn er das
Gewühl der Stadt hinter sich wußte: „Allmächtiger! im Walde, ich bin selig,
glücklich im Wald, jeder Baum spricht durch dich. O Gott, welche Herrlichkeit
in einer solchen Waldgegend! In den Höhen ist Ruhe, Ruhe ihm zu dienen!"
Sein Ohr vernahm freilich nicht mehr das Rauschen der Buchenkronen und den
Gesang der Vögel, um so vernehmbarer sprach das Wesen der Welt selbst zu
seiner Seele: „Mein unglückseliges Gehör plagt mich hier nicht; ist es doch,
als wenn jeder Baum zu mir spräche auf dem Lande Heilig! Heilig! Im
Walde Entzücken, wer kann alles ausdrücken." Aber in Tönen gelang es ihm:
die köstliche v-aur - Sonate op. 28, die Pastoralsinfonie, beides wahrhafte
Sommerglücksmusik offenbarend, wie sich das Auge des Meisters sozusagen von
innen erleuchtet zur Erfassung und Widerstrahlung des Weltbildes, tiefer noch,
ergreifender, ins Metaphysische langend die wunderbare ^8-aur-Sonate c>p. 110.
mit der lieb und leise gestimmten Sehnsucht im ersten Satze, der unruhig,
dunkel - heiter sprudelnden Laune im Scherzo, bis nach den lastenden Anfangs¬
akkorden des Largo das Rezitativ vor uns steht, ein furchtbar ernstes Frage¬
zeichen. Und nun beginnt ein klagender Gesang, der uns zutiefst an die
Seele rührt—


Weh spricht: vergeh

Aber in festen, ewigen Gesetzen hängt die Welt, darum setzt ruhig und sicher,
kraftvoll den Schlußton des vorigen Satzes als Dominate nehmend die Fuge***)





*) Mündlich zu Stumpf im Jahre 1824. Thayer V, 130. Das Adagio des zweiten
Quartetts von op. 69 ist nach Beethovens eigenem Ausspruch die Eingebung einer solchen
Sternennacht und ins Sternendasein führt uns auch der Schluß der Sonate op. 111.
") Thayer III, ö05.
Man vergleiche dazu auch die Bemerkungen Hans von Bülows über Beethovens
Fuge und ihrer Bedeutung gegenüber der Bachs in der großen Cottaschen Ausgabe der
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[0126] Beethovens Weltanschauung kündigt sich schon an, was in Beethoven, je älter er wird, desto stärker und beherrschender hervortritt: das metaphysische Bedürfnis. Erst durch die Klärung des Verhältnisses des Individuums zum Transzendenten, zum Gottesbegriff, erhält die sittliche Freiheit ihre höchste und letzte Weihe. Bei der Form der „Konstitution" ward bereits darauf hingedeutet: „Der gestirnte Himmel über uns" hieß es da weiter. Wie oft hat der Meister in stillen Nächten voll An¬ dacht zu ihm emporgeschaut. „Wenn ich am Abend den Himmel staunend betrachte und das Heer der ewig in seinen Grenzen sich schwingenden Lichtkörper, Sonnen oder Erden genannt, dann schwingt sich mein Geist über diese viele Millionen Meilen entfernten Gestirne hin zur Urquelle, aus welcher alles Er¬ schaffene entströmt und aus welcher ewig neue Schöpfungen entströmen werden"*). Zu dieser Urquelle führte ihn auch der Naturgenuß. Wie leidenschaftlich Beethoven die Natur liebte, ist bekannt, „sie war gleichsam seine Nahrung, er schien förmlich darin zu leben", bezeugt uns ein Zeitgenosse**) des Meisters, und zahlreiche Stellen in seinen Briefen und Tagebüchern suchen, wenn auch unbeholfen, der Stimmung Ausdruck zu geben, die ihn erfüllte, wenn er das Gewühl der Stadt hinter sich wußte: „Allmächtiger! im Walde, ich bin selig, glücklich im Wald, jeder Baum spricht durch dich. O Gott, welche Herrlichkeit in einer solchen Waldgegend! In den Höhen ist Ruhe, Ruhe ihm zu dienen!" Sein Ohr vernahm freilich nicht mehr das Rauschen der Buchenkronen und den Gesang der Vögel, um so vernehmbarer sprach das Wesen der Welt selbst zu seiner Seele: „Mein unglückseliges Gehör plagt mich hier nicht; ist es doch, als wenn jeder Baum zu mir spräche auf dem Lande Heilig! Heilig! Im Walde Entzücken, wer kann alles ausdrücken." Aber in Tönen gelang es ihm: die köstliche v-aur - Sonate op. 28, die Pastoralsinfonie, beides wahrhafte Sommerglücksmusik offenbarend, wie sich das Auge des Meisters sozusagen von innen erleuchtet zur Erfassung und Widerstrahlung des Weltbildes, tiefer noch, ergreifender, ins Metaphysische langend die wunderbare ^8-aur-Sonate c>p. 110. mit der lieb und leise gestimmten Sehnsucht im ersten Satze, der unruhig, dunkel - heiter sprudelnden Laune im Scherzo, bis nach den lastenden Anfangs¬ akkorden des Largo das Rezitativ vor uns steht, ein furchtbar ernstes Frage¬ zeichen. Und nun beginnt ein klagender Gesang, der uns zutiefst an die Seele rührt— Weh spricht: vergeh Aber in festen, ewigen Gesetzen hängt die Welt, darum setzt ruhig und sicher, kraftvoll den Schlußton des vorigen Satzes als Dominate nehmend die Fuge***) *) Mündlich zu Stumpf im Jahre 1824. Thayer V, 130. Das Adagio des zweiten Quartetts von op. 69 ist nach Beethovens eigenem Ausspruch die Eingebung einer solchen Sternennacht und ins Sternendasein führt uns auch der Schluß der Sonate op. 111. ") Thayer III, ö05. Man vergleiche dazu auch die Bemerkungen Hans von Bülows über Beethovens Fuge und ihrer Bedeutung gegenüber der Bachs in der großen Cottaschen Ausgabe der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/126>, abgerufen am 20.10.2024.