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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Beethovens Weltanschauung

je über den Meister geschrieben ward, eine das innerste Wesen seiner Musik
entschleiernde Darstellung, worin aus der Analyse der in die Hülle künstlerischer
Form eingegangener Ideen uns der Dichter und Denker Beethoven leibhaftig
entgegentritt. Ohne jede Gesuchtheit im Stil, meisterhaft einfach und schlicht,
wirkt es oft geradezu hinreißend. Better ist auch einer, dem die Musik Beethovens
die Seele tönen macht: das Buch ist erlebt -- und das ist wohl das höchste,
was man zu dessen Lobe sagen kann*).

Eine Biographie im eigentlichen Sinne ist es nicht, und die sachlich kühl
die Forschungsergebnisse über das Leben Beethovens referierende Art, noch mehr
die Trennung des Menschen vom Künstler scheinen nach dem Vorwort zur
zweiten Auflage einigen Widerspruch erregt zu haben; er ist zweifellos belang¬
los, aber eins muß hierzu doch bemerkt werden: gewiß ist Wahrheit unter
allen Umständen oberstes Gesetz aller Historie, indes die Korrekturen, die Better
an den landläufigen Vorstellungen von dem weltunerfahrenen, entrückten Träumer
vornimmt, wirken in ihrer langen Aneinanderreihung doch etwas schneidend und
und hart, weil er ein Moment im Wesen des Meisters zu wenig hervorhebt,
das pathologische, wodurch die unleugbaren Charakterschwächen Beethovens ihre
Erklärung finden. Gerade bei Beethoven treffen Schopenhauers Ausführungen
über das Genie aufs Haar zu: die übergroße Sensibilität, bedingt durch ein
abnorm erhöhtes Nerven- und Cerebralleben, die Heftigkeit und Leidenschaftlichkeit,
die sich physisch als Energie des Herzschlags darstellt, die daraus entspringende
Heftigkeit der Affekte, die Überspanntheit der Stimmung. Beethovens Mangel
an Selbstbeherrschung, sein fragwürdiges Gebaren in Geldangelegenheiten ver¬
tragen sicherlich keine Schönfärberei, aber zum Verständnis und zur Entschuldigung
muß gesagt werden, daß, wenn eine so ungeheure Erkenntniskraft mit all ihrer
Energie sich ans die Angelegenheiten und Miseren des täglichen Lebens richtet,
es diese nur zu leicht in zu grellen Farben und ins Ungeheure vergrößert er¬
blicken wird, wodurch das Individuum in lauter Extreme verfällt. Die
Zwangsvorstellungen, unter denen Beethoven zweifellos litt, erklären sich ohne
weiteres daraus, und aus ihnen wieder die Handlungsweisen, die zu seiner
angeborenen Herzensgüte in schärfsten Widerspruch stehen. Und wenn -- um
bei einem Beispiel zu bleiben -- sein Geiz und was damit zusammenhängt,
letzten Endes aus der Sorge um die völlige Freiheit seiner künstlerischen Existenz
fließen, wenn er seine Ersparnisse von 7000 Gulden nicht angreifen zu dürfen
glaubt, weil er sie als Erbteil seines Adoptivsohnes Karl betrachtet und sich
unter Vorspiegelung seiner Armut eine Unterstützung von seinen englischen
Freunden erbittet, so fällt selbst darauf der versöhnende Strahl eines Idealismus,



*) Verlag von Schuster u. Lo'ffler, Berlin. Zweite Auflage 1912. In demselben Jahre
erschien die für weitere Kreise geschriebene Beethoven - Biographie von Thomas San-Galli,
die auch manches Neue bringt und als "Haushund" empfohlen werden muß. Von kleineren
Studien sei besonders auf das Werkchen R. von der Pfordtens aufmerksam gemacht (Quelle
u. Meyer) als eine wertvolle Einführung in das Wesen der Beethovenschen Musik.
Beethovens Weltanschauung

je über den Meister geschrieben ward, eine das innerste Wesen seiner Musik
entschleiernde Darstellung, worin aus der Analyse der in die Hülle künstlerischer
Form eingegangener Ideen uns der Dichter und Denker Beethoven leibhaftig
entgegentritt. Ohne jede Gesuchtheit im Stil, meisterhaft einfach und schlicht,
wirkt es oft geradezu hinreißend. Better ist auch einer, dem die Musik Beethovens
die Seele tönen macht: das Buch ist erlebt — und das ist wohl das höchste,
was man zu dessen Lobe sagen kann*).

Eine Biographie im eigentlichen Sinne ist es nicht, und die sachlich kühl
die Forschungsergebnisse über das Leben Beethovens referierende Art, noch mehr
die Trennung des Menschen vom Künstler scheinen nach dem Vorwort zur
zweiten Auflage einigen Widerspruch erregt zu haben; er ist zweifellos belang¬
los, aber eins muß hierzu doch bemerkt werden: gewiß ist Wahrheit unter
allen Umständen oberstes Gesetz aller Historie, indes die Korrekturen, die Better
an den landläufigen Vorstellungen von dem weltunerfahrenen, entrückten Träumer
vornimmt, wirken in ihrer langen Aneinanderreihung doch etwas schneidend und
und hart, weil er ein Moment im Wesen des Meisters zu wenig hervorhebt,
das pathologische, wodurch die unleugbaren Charakterschwächen Beethovens ihre
Erklärung finden. Gerade bei Beethoven treffen Schopenhauers Ausführungen
über das Genie aufs Haar zu: die übergroße Sensibilität, bedingt durch ein
abnorm erhöhtes Nerven- und Cerebralleben, die Heftigkeit und Leidenschaftlichkeit,
die sich physisch als Energie des Herzschlags darstellt, die daraus entspringende
Heftigkeit der Affekte, die Überspanntheit der Stimmung. Beethovens Mangel
an Selbstbeherrschung, sein fragwürdiges Gebaren in Geldangelegenheiten ver¬
tragen sicherlich keine Schönfärberei, aber zum Verständnis und zur Entschuldigung
muß gesagt werden, daß, wenn eine so ungeheure Erkenntniskraft mit all ihrer
Energie sich ans die Angelegenheiten und Miseren des täglichen Lebens richtet,
es diese nur zu leicht in zu grellen Farben und ins Ungeheure vergrößert er¬
blicken wird, wodurch das Individuum in lauter Extreme verfällt. Die
Zwangsvorstellungen, unter denen Beethoven zweifellos litt, erklären sich ohne
weiteres daraus, und aus ihnen wieder die Handlungsweisen, die zu seiner
angeborenen Herzensgüte in schärfsten Widerspruch stehen. Und wenn — um
bei einem Beispiel zu bleiben — sein Geiz und was damit zusammenhängt,
letzten Endes aus der Sorge um die völlige Freiheit seiner künstlerischen Existenz
fließen, wenn er seine Ersparnisse von 7000 Gulden nicht angreifen zu dürfen
glaubt, weil er sie als Erbteil seines Adoptivsohnes Karl betrachtet und sich
unter Vorspiegelung seiner Armut eine Unterstützung von seinen englischen
Freunden erbittet, so fällt selbst darauf der versöhnende Strahl eines Idealismus,



*) Verlag von Schuster u. Lo'ffler, Berlin. Zweite Auflage 1912. In demselben Jahre
erschien die für weitere Kreise geschriebene Beethoven - Biographie von Thomas San-Galli,
die auch manches Neue bringt und als „Haushund" empfohlen werden muß. Von kleineren
Studien sei besonders auf das Werkchen R. von der Pfordtens aufmerksam gemacht (Quelle
u. Meyer) als eine wertvolle Einführung in das Wesen der Beethovenschen Musik.
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[0122] Beethovens Weltanschauung je über den Meister geschrieben ward, eine das innerste Wesen seiner Musik entschleiernde Darstellung, worin aus der Analyse der in die Hülle künstlerischer Form eingegangener Ideen uns der Dichter und Denker Beethoven leibhaftig entgegentritt. Ohne jede Gesuchtheit im Stil, meisterhaft einfach und schlicht, wirkt es oft geradezu hinreißend. Better ist auch einer, dem die Musik Beethovens die Seele tönen macht: das Buch ist erlebt — und das ist wohl das höchste, was man zu dessen Lobe sagen kann*). Eine Biographie im eigentlichen Sinne ist es nicht, und die sachlich kühl die Forschungsergebnisse über das Leben Beethovens referierende Art, noch mehr die Trennung des Menschen vom Künstler scheinen nach dem Vorwort zur zweiten Auflage einigen Widerspruch erregt zu haben; er ist zweifellos belang¬ los, aber eins muß hierzu doch bemerkt werden: gewiß ist Wahrheit unter allen Umständen oberstes Gesetz aller Historie, indes die Korrekturen, die Better an den landläufigen Vorstellungen von dem weltunerfahrenen, entrückten Träumer vornimmt, wirken in ihrer langen Aneinanderreihung doch etwas schneidend und und hart, weil er ein Moment im Wesen des Meisters zu wenig hervorhebt, das pathologische, wodurch die unleugbaren Charakterschwächen Beethovens ihre Erklärung finden. Gerade bei Beethoven treffen Schopenhauers Ausführungen über das Genie aufs Haar zu: die übergroße Sensibilität, bedingt durch ein abnorm erhöhtes Nerven- und Cerebralleben, die Heftigkeit und Leidenschaftlichkeit, die sich physisch als Energie des Herzschlags darstellt, die daraus entspringende Heftigkeit der Affekte, die Überspanntheit der Stimmung. Beethovens Mangel an Selbstbeherrschung, sein fragwürdiges Gebaren in Geldangelegenheiten ver¬ tragen sicherlich keine Schönfärberei, aber zum Verständnis und zur Entschuldigung muß gesagt werden, daß, wenn eine so ungeheure Erkenntniskraft mit all ihrer Energie sich ans die Angelegenheiten und Miseren des täglichen Lebens richtet, es diese nur zu leicht in zu grellen Farben und ins Ungeheure vergrößert er¬ blicken wird, wodurch das Individuum in lauter Extreme verfällt. Die Zwangsvorstellungen, unter denen Beethoven zweifellos litt, erklären sich ohne weiteres daraus, und aus ihnen wieder die Handlungsweisen, die zu seiner angeborenen Herzensgüte in schärfsten Widerspruch stehen. Und wenn — um bei einem Beispiel zu bleiben — sein Geiz und was damit zusammenhängt, letzten Endes aus der Sorge um die völlige Freiheit seiner künstlerischen Existenz fließen, wenn er seine Ersparnisse von 7000 Gulden nicht angreifen zu dürfen glaubt, weil er sie als Erbteil seines Adoptivsohnes Karl betrachtet und sich unter Vorspiegelung seiner Armut eine Unterstützung von seinen englischen Freunden erbittet, so fällt selbst darauf der versöhnende Strahl eines Idealismus, *) Verlag von Schuster u. Lo'ffler, Berlin. Zweite Auflage 1912. In demselben Jahre erschien die für weitere Kreise geschriebene Beethoven - Biographie von Thomas San-Galli, die auch manches Neue bringt und als „Haushund" empfohlen werden muß. Von kleineren Studien sei besonders auf das Werkchen R. von der Pfordtens aufmerksam gemacht (Quelle u. Meyer) als eine wertvolle Einführung in das Wesen der Beethovenschen Musik.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/122>, abgerufen am 19.10.2024.