Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.Reichstag und Reichsfinanzen schlechter geworden ist als die ursprüngliche Vorlage, läßt sich doch wohl kaum Noch immer stehen wir vor der Streitfrage, wie die Finanzen des Reiches Reichstag und Reichsfinanzen schlechter geworden ist als die ursprüngliche Vorlage, läßt sich doch wohl kaum Noch immer stehen wir vor der Streitfrage, wie die Finanzen des Reiches <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0111" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326281"/> <fw type="header" place="top"> Reichstag und Reichsfinanzen</fw><lb/> <p xml:id="ID_518" prev="#ID_517"> schlechter geworden ist als die ursprüngliche Vorlage, läßt sich doch wohl kaum<lb/> leugnen. Der Hergang solcher Verhandlungen ist ja bereits typisch geworden.<lb/> Zuerst ein allgemeines Wettrennen der Parteien, um alle möglichen Ver¬<lb/> besserungen anzubringen; daraus entsteht zuletzt eine solches Tohuwabohu von<lb/> Anträgen, daß nur abgehärtete Parlamentarier noch daraus klug werden und<lb/> der simple Laienverstand an Stelle einer doch immerhin ein Ganzes bildenden<lb/> Vorlage nur noch einen Haufen von Trümmern und Scherben sieht. Dann<lb/> erheben sich aus diesem Trümmerhaufen in sieghafter Schönheit die Kompromisse,<lb/> die guten Geister des modernen Parlamentarismus; sie „wallen auf und ab,<lb/> weben hin und her", bis eines Tages alles in Ordnung ist, d. h. wenigstens<lb/> geleimt und gekittet. Über den Stolz, daß das Unmöglichschemende doch noch<lb/> möglich geworden ist, vergißt man dann ganz und gar, daß man ja eigentlich<lb/> aus der Vorlage etwas Besseres machen wollte. Das Ganze ist nun zuletzt<lb/> eine regelrechte Verballhornung geworden. Glücklicherweise geht es ja nicht<lb/> allen Materien der Gesetzgebung so schlecht. Es wirken da besondere Umstände<lb/> mit, die eine Art von Gegengewicht gegen die parlamentarische Verschandelung<lb/> herstellen helfen. Aber um so schlimmer geht es bei den Finanzvorlagen<lb/> her, den Fragen, bei denen die Gemütlichkeit und somit auch die politische<lb/> Gleichgültigkeit des Wählers am ehesten aufhört. Zugleich kommt hier noch<lb/> etwas anderes hinzu: es handelt sich hierbei um Streitfragen, deren Ausgleich<lb/> fast ebenso schwierig ist wie der Ausgleich der Parteigegensätze selbst, nur mit<lb/> dem Unterschiede, daß jene Streitfragen aus praktischen Gründen irgendwie<lb/> entschieden werden müssen, während die Prinzipien der kämpfenden Parteien sich<lb/> dauernd gegenüberstehen. Wir müssen hier auf die Eigenart unserer Reichs¬<lb/> finanzen etwas näher eingehen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p xml:id="ID_519" next="#ID_520"> Noch immer stehen wir vor der Streitfrage, wie die Finanzen des Reiches<lb/> und der Einzelstaaten am besten gegeneinander abzugrenzen sind. Bei den<lb/> letzten Beratungen im Reichstag haben sich die Konservativen wieder auf den<lb/> Standpunkt gestellt, daß die alte Trennung der Steuerarten aufrechterhalten<lb/> werden müsse: die indirekten Steuern dem Reiche, die direkten den Einzelstaaten.<lb/> Das sei der Grundsatz Bismarcks gewesen, und so sei es auch stets gehalten<lb/> worden; so müsse es auch bleiben. Öffentlich zu behaupten, daß das so in der<lb/> Verfassung stände, wird natürlich von Kundigen mit gutem Grund vermieden.<lb/> Dafür bedient man sich aber doch gern solcher Redewendungen, die bei Nicht¬<lb/> kundigen den Glauben erwecken müssen, die Verfassung selbst schreibe die bisher<lb/> geübte Praxis vor, und sicherlich sind viele des guten Glaubens, daß die Be¬<lb/> schränkung des Reiches auf die indirekten Steuern ein verfassungsmäßiger Grund-<lb/> satz sei. Man müsse — so sagen sie — um so eher dabei bleiben, als ein<lb/> Nachgeben in diesem Punkte Bresche lege in eine bisher fest behauptete Stellung.<lb/> Jetzt sei man auf eine schiefe Ebene geraten, und es sei unberechenbar, wohin</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0111]
Reichstag und Reichsfinanzen
schlechter geworden ist als die ursprüngliche Vorlage, läßt sich doch wohl kaum
leugnen. Der Hergang solcher Verhandlungen ist ja bereits typisch geworden.
Zuerst ein allgemeines Wettrennen der Parteien, um alle möglichen Ver¬
besserungen anzubringen; daraus entsteht zuletzt eine solches Tohuwabohu von
Anträgen, daß nur abgehärtete Parlamentarier noch daraus klug werden und
der simple Laienverstand an Stelle einer doch immerhin ein Ganzes bildenden
Vorlage nur noch einen Haufen von Trümmern und Scherben sieht. Dann
erheben sich aus diesem Trümmerhaufen in sieghafter Schönheit die Kompromisse,
die guten Geister des modernen Parlamentarismus; sie „wallen auf und ab,
weben hin und her", bis eines Tages alles in Ordnung ist, d. h. wenigstens
geleimt und gekittet. Über den Stolz, daß das Unmöglichschemende doch noch
möglich geworden ist, vergißt man dann ganz und gar, daß man ja eigentlich
aus der Vorlage etwas Besseres machen wollte. Das Ganze ist nun zuletzt
eine regelrechte Verballhornung geworden. Glücklicherweise geht es ja nicht
allen Materien der Gesetzgebung so schlecht. Es wirken da besondere Umstände
mit, die eine Art von Gegengewicht gegen die parlamentarische Verschandelung
herstellen helfen. Aber um so schlimmer geht es bei den Finanzvorlagen
her, den Fragen, bei denen die Gemütlichkeit und somit auch die politische
Gleichgültigkeit des Wählers am ehesten aufhört. Zugleich kommt hier noch
etwas anderes hinzu: es handelt sich hierbei um Streitfragen, deren Ausgleich
fast ebenso schwierig ist wie der Ausgleich der Parteigegensätze selbst, nur mit
dem Unterschiede, daß jene Streitfragen aus praktischen Gründen irgendwie
entschieden werden müssen, während die Prinzipien der kämpfenden Parteien sich
dauernd gegenüberstehen. Wir müssen hier auf die Eigenart unserer Reichs¬
finanzen etwas näher eingehen.
Noch immer stehen wir vor der Streitfrage, wie die Finanzen des Reiches
und der Einzelstaaten am besten gegeneinander abzugrenzen sind. Bei den
letzten Beratungen im Reichstag haben sich die Konservativen wieder auf den
Standpunkt gestellt, daß die alte Trennung der Steuerarten aufrechterhalten
werden müsse: die indirekten Steuern dem Reiche, die direkten den Einzelstaaten.
Das sei der Grundsatz Bismarcks gewesen, und so sei es auch stets gehalten
worden; so müsse es auch bleiben. Öffentlich zu behaupten, daß das so in der
Verfassung stände, wird natürlich von Kundigen mit gutem Grund vermieden.
Dafür bedient man sich aber doch gern solcher Redewendungen, die bei Nicht¬
kundigen den Glauben erwecken müssen, die Verfassung selbst schreibe die bisher
geübte Praxis vor, und sicherlich sind viele des guten Glaubens, daß die Be¬
schränkung des Reiches auf die indirekten Steuern ein verfassungsmäßiger Grund-
satz sei. Man müsse — so sagen sie — um so eher dabei bleiben, als ein
Nachgeben in diesem Punkte Bresche lege in eine bisher fest behauptete Stellung.
Jetzt sei man auf eine schiefe Ebene geraten, und es sei unberechenbar, wohin
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