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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Die Rodici

will nicht wissen, was sie sagten. Ich lösche sie alle aus meinem Gedächtnis.
Fortan gibt es für mich nur ein Licht, das mein Leben erleuchtet, nur ein
Herz, dem meines entgegenschlägt. Du hast mir ja vom Magnet erzählt, der
Stahl und Eisen festhält, wenn es ihn nur berührt. So taten unsere Körper
und wollen nun nicht mehr voneinander lassen."

Er legte dem Mädchen die Hand auf den Scheitel und fuhr fort:

"Ich habe sie Kuweni genannt. Der Held, dessen Namen ich trage,
eroberte diese Insel mit Hilfe einer Zauberin, die den Namen führte. Jene
Königin entstammte den verachteten Eingeborenen der Insel, die von den
erobernden Kriegern meines Volkes unterworfen wurden. Wie das Schicksal
des ersten Widschaja eine Verachtete wurde, so ist es auch das meine. Und
ich murre nicht."

Mich ergriffen seine Worte, die er mit ernster Stimme sprach.


"Liebe, die alles andre macht vergessen,
Entflammte ihn, als er mich kaum geseh'n,
Die Schönheit siegte..

Die Worte Dantes, die ich an jenem Abend gelesen, waren wie die Über¬
schrift des Kommenden gewesen.

"Willst du nicht bei mir wohnen, Widschaja," fragte ich und ergriff seine
Hand. "In meiner Pflanzung findest du Platz und Arbeit genug. Und ich
werde mich freuen über dich und deine Kuweni."

Mit warmem Blick sah er mich an. "Es tut mir wohl, daß du mich
nicht ausgibst. Aber auch bei dir kann ich nicht wohnen. Du hast Diener
meines Volkes und brauchst sie. Sie würden nicht in meiner Nähe weilen
wollen, sie würden mich aus der Ferne beschimpfen und dann dich verlassen.
Verachtung ertrage ich nicht. Freiwillig will ich auf meinen Stand verzichten
und die Folgen auf mich nehmen."

Er zog sich den Kamm aus dem Haar, warf ihn auf den Boden und
zertrat ihn. Dann schlang er den Arm um das sich an ihn schmiegende Mädchen
und schritt mit ihm dem Urwald zu.

Widschaja ging zu den Rodias.




(Schluß folgt)




Die Rodici

will nicht wissen, was sie sagten. Ich lösche sie alle aus meinem Gedächtnis.
Fortan gibt es für mich nur ein Licht, das mein Leben erleuchtet, nur ein
Herz, dem meines entgegenschlägt. Du hast mir ja vom Magnet erzählt, der
Stahl und Eisen festhält, wenn es ihn nur berührt. So taten unsere Körper
und wollen nun nicht mehr voneinander lassen."

Er legte dem Mädchen die Hand auf den Scheitel und fuhr fort:

„Ich habe sie Kuweni genannt. Der Held, dessen Namen ich trage,
eroberte diese Insel mit Hilfe einer Zauberin, die den Namen führte. Jene
Königin entstammte den verachteten Eingeborenen der Insel, die von den
erobernden Kriegern meines Volkes unterworfen wurden. Wie das Schicksal
des ersten Widschaja eine Verachtete wurde, so ist es auch das meine. Und
ich murre nicht."

Mich ergriffen seine Worte, die er mit ernster Stimme sprach.


„Liebe, die alles andre macht vergessen,
Entflammte ihn, als er mich kaum geseh'n,
Die Schönheit siegte..

Die Worte Dantes, die ich an jenem Abend gelesen, waren wie die Über¬
schrift des Kommenden gewesen.

„Willst du nicht bei mir wohnen, Widschaja," fragte ich und ergriff seine
Hand. „In meiner Pflanzung findest du Platz und Arbeit genug. Und ich
werde mich freuen über dich und deine Kuweni."

Mit warmem Blick sah er mich an. „Es tut mir wohl, daß du mich
nicht ausgibst. Aber auch bei dir kann ich nicht wohnen. Du hast Diener
meines Volkes und brauchst sie. Sie würden nicht in meiner Nähe weilen
wollen, sie würden mich aus der Ferne beschimpfen und dann dich verlassen.
Verachtung ertrage ich nicht. Freiwillig will ich auf meinen Stand verzichten
und die Folgen auf mich nehmen."

Er zog sich den Kamm aus dem Haar, warf ihn auf den Boden und
zertrat ihn. Dann schlang er den Arm um das sich an ihn schmiegende Mädchen
und schritt mit ihm dem Urwald zu.

Widschaja ging zu den Rodias.




(Schluß folgt)




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[0099] Die Rodici will nicht wissen, was sie sagten. Ich lösche sie alle aus meinem Gedächtnis. Fortan gibt es für mich nur ein Licht, das mein Leben erleuchtet, nur ein Herz, dem meines entgegenschlägt. Du hast mir ja vom Magnet erzählt, der Stahl und Eisen festhält, wenn es ihn nur berührt. So taten unsere Körper und wollen nun nicht mehr voneinander lassen." Er legte dem Mädchen die Hand auf den Scheitel und fuhr fort: „Ich habe sie Kuweni genannt. Der Held, dessen Namen ich trage, eroberte diese Insel mit Hilfe einer Zauberin, die den Namen führte. Jene Königin entstammte den verachteten Eingeborenen der Insel, die von den erobernden Kriegern meines Volkes unterworfen wurden. Wie das Schicksal des ersten Widschaja eine Verachtete wurde, so ist es auch das meine. Und ich murre nicht." Mich ergriffen seine Worte, die er mit ernster Stimme sprach. „Liebe, die alles andre macht vergessen, Entflammte ihn, als er mich kaum geseh'n, Die Schönheit siegte.. Die Worte Dantes, die ich an jenem Abend gelesen, waren wie die Über¬ schrift des Kommenden gewesen. „Willst du nicht bei mir wohnen, Widschaja," fragte ich und ergriff seine Hand. „In meiner Pflanzung findest du Platz und Arbeit genug. Und ich werde mich freuen über dich und deine Kuweni." Mit warmem Blick sah er mich an. „Es tut mir wohl, daß du mich nicht ausgibst. Aber auch bei dir kann ich nicht wohnen. Du hast Diener meines Volkes und brauchst sie. Sie würden nicht in meiner Nähe weilen wollen, sie würden mich aus der Ferne beschimpfen und dann dich verlassen. Verachtung ertrage ich nicht. Freiwillig will ich auf meinen Stand verzichten und die Folgen auf mich nehmen." Er zog sich den Kamm aus dem Haar, warf ihn auf den Boden und zertrat ihn. Dann schlang er den Arm um das sich an ihn schmiegende Mädchen und schritt mit ihm dem Urwald zu. Widschaja ging zu den Rodias. (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/99>, abgerufen am 27.07.2024.