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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Die Rodici

zurück und, während draußen Grillen und Zitaten schrillten und die Stimmen
unzähliger Frösche wie kleine olecherne Schellen dazwischenklangen, begann er:

"Ich habe dieses Estate bald fünfzehn Jahre. Meine erste Pflanzung, die
ich als blutjunger Mensch erwarb, lag im Südwestteil von Ceylon, mehrere
Stunden Wagenfahrt von Galle landeinwärts. Sie war nicht groß und trug
ausschließlich Kokospalmen, etwa zwölfhundert an der Zahl. Da jede Palme,
wie Sie wohl wissen, einen Wert von etwa 140 Mark darstellt, hatte ich mein
Auskommen. Eher hätte ich eine andere Eigenschaft des Estates als Nachteil
empfinden können. Die Pflanzung lag sehr fern von der Kultur. An einer
Seite zog der breite Gintotafluß vorüber, an allen anderen war sie von
freiem Urwald umgeben. Aber als Naturfreund, der ich schon damals war,
tröstete ich mich. Ich ward nie müde, den munteren Sprüngen der Affen zu¬
zusehen, dem schnellen Flug der Papageien mit den Augen zu folgen und die
großen Raubvögel, die in der blauen Luft kreisten, zu bewundern. Auf dem
anderen Ufer des Flusses war Steppe, da standen stets Scharen von Silber¬
reihern und es sah aus, als ob die Gräser sich mit Lilien geschmückt hätten.
Von Raubtieren gab es außer Leoparden und Schakalen, die im Walde genug
Nahrung hatten und mich nie belästigten, Krokodile im Flusse. Ich habe
mehrere geschossen, zum Teil acht Meter lange Exemplare. Sie haben die
Häute in meinem Zimmer natürlich schon längst bemerkt und die Art bestimmt."

"Lrocoäilus porosus, das Leistenkrokodil," sagte ich.

"Hier nennt man es nur das Flußkrokodil zum Unterschiede vom kleineren,
harmlosen Teichkrokodil. Am Gintota habe ich nicht von vielen Unglücksfällen
gehört, immerhin aber doch von einigen, die mir bewiesen, daß das Flußkrokodil
nachts und bei günstiger Gelegenheit sich an einem Menschen wohl zu vergreifen
wagt. Ich sah nicht selten die mächtigen Tiere im Strom dahinziehen, wenn
ich auf dem Wege schritt, der die einzige Verbindung meines Estates mit an¬
deren Menschen bedeutete. Es war eine schöne Wanderung. Auf der einen
Seite der breite, ruhig fließende Strom, auf der anderen der Urwald mit
Gebüsch und Lianengewirre, an dem zahllose Schmetterlinge entlang flogen.

Der Weg bog nach etwa einer Stunde vom Flusse ab und mündete in
eine breite Straße, die nach Galle führte. Hier lag ein Dorf, das nur von
Singhalesen, und zwar sehr reinblütigen bewohnt war, wie es in der ganzen
Südwestecke von Ceylon der Fall ist. Malerisch breitete sich das Dorf unter
Kokospalmen. Mango- und Brotfruchtbäumen aus, durch deren Kronen das
Sonnenlicht auf die strohgedeckten Hütten fiel und auf den Boden der Straße,
der wie im ganzen Tiefland von Ceylon, in festlichem Rot prangte. Ich war
häufig im Dorfe, denn etwas Unterhaltung mußte ich in meiner Einsamkeit
haben und das Singhalesische sprach ich bald wie ein Eingeborener.

Unter den Leuten des Dorfes war ein junger Mann, mit dem ich am
liebsten verkehrte. Er gehörte der ersten Kaste an und trug mit Ansehen den
Krummkamm im Haar, das er hinten zu einem Knoten aufgebunden hatte.


Die Rodici

zurück und, während draußen Grillen und Zitaten schrillten und die Stimmen
unzähliger Frösche wie kleine olecherne Schellen dazwischenklangen, begann er:

„Ich habe dieses Estate bald fünfzehn Jahre. Meine erste Pflanzung, die
ich als blutjunger Mensch erwarb, lag im Südwestteil von Ceylon, mehrere
Stunden Wagenfahrt von Galle landeinwärts. Sie war nicht groß und trug
ausschließlich Kokospalmen, etwa zwölfhundert an der Zahl. Da jede Palme,
wie Sie wohl wissen, einen Wert von etwa 140 Mark darstellt, hatte ich mein
Auskommen. Eher hätte ich eine andere Eigenschaft des Estates als Nachteil
empfinden können. Die Pflanzung lag sehr fern von der Kultur. An einer
Seite zog der breite Gintotafluß vorüber, an allen anderen war sie von
freiem Urwald umgeben. Aber als Naturfreund, der ich schon damals war,
tröstete ich mich. Ich ward nie müde, den munteren Sprüngen der Affen zu¬
zusehen, dem schnellen Flug der Papageien mit den Augen zu folgen und die
großen Raubvögel, die in der blauen Luft kreisten, zu bewundern. Auf dem
anderen Ufer des Flusses war Steppe, da standen stets Scharen von Silber¬
reihern und es sah aus, als ob die Gräser sich mit Lilien geschmückt hätten.
Von Raubtieren gab es außer Leoparden und Schakalen, die im Walde genug
Nahrung hatten und mich nie belästigten, Krokodile im Flusse. Ich habe
mehrere geschossen, zum Teil acht Meter lange Exemplare. Sie haben die
Häute in meinem Zimmer natürlich schon längst bemerkt und die Art bestimmt."

„Lrocoäilus porosus, das Leistenkrokodil," sagte ich.

„Hier nennt man es nur das Flußkrokodil zum Unterschiede vom kleineren,
harmlosen Teichkrokodil. Am Gintota habe ich nicht von vielen Unglücksfällen
gehört, immerhin aber doch von einigen, die mir bewiesen, daß das Flußkrokodil
nachts und bei günstiger Gelegenheit sich an einem Menschen wohl zu vergreifen
wagt. Ich sah nicht selten die mächtigen Tiere im Strom dahinziehen, wenn
ich auf dem Wege schritt, der die einzige Verbindung meines Estates mit an¬
deren Menschen bedeutete. Es war eine schöne Wanderung. Auf der einen
Seite der breite, ruhig fließende Strom, auf der anderen der Urwald mit
Gebüsch und Lianengewirre, an dem zahllose Schmetterlinge entlang flogen.

Der Weg bog nach etwa einer Stunde vom Flusse ab und mündete in
eine breite Straße, die nach Galle führte. Hier lag ein Dorf, das nur von
Singhalesen, und zwar sehr reinblütigen bewohnt war, wie es in der ganzen
Südwestecke von Ceylon der Fall ist. Malerisch breitete sich das Dorf unter
Kokospalmen. Mango- und Brotfruchtbäumen aus, durch deren Kronen das
Sonnenlicht auf die strohgedeckten Hütten fiel und auf den Boden der Straße,
der wie im ganzen Tiefland von Ceylon, in festlichem Rot prangte. Ich war
häufig im Dorfe, denn etwas Unterhaltung mußte ich in meiner Einsamkeit
haben und das Singhalesische sprach ich bald wie ein Eingeborener.

Unter den Leuten des Dorfes war ein junger Mann, mit dem ich am
liebsten verkehrte. Er gehörte der ersten Kaste an und trug mit Ansehen den
Krummkamm im Haar, das er hinten zu einem Knoten aufgebunden hatte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/92>, abgerufen am 22.12.2024.